Das Schweizer Berggebiet, das gut die Hälfte der Landesfläche umfasst, hat schon lange mit schwachem Wachstum und Abwanderung zu kämpfen. In kantonalen Standortrankings belegen die Gebirgskantone regelmässig hintere Rangierungen. Neu hinzu kommen äussere Einflüsse wie der harte Franken und die Zweitwohnungsinitiative, die die Prosperität in den Alpen und im Jurabogen tangieren. Die wirtschaftliche Zukunft der Berggebiete ist aber kein topografisches Schicksal, sondern lässt sie sich durch entsprechende Rahmenbedingungen gestalten. Avenir Suisse und ihr Studienautor Daniel Müller-Jentsch präsentieren marktwirtschaftlich-liberale Reformideen und zeigen Optionen auf zur Stärkung bestehender und Erschliessung neuer Wertschöpfungsquellen:

  • Die Zweitwohnungsinitiative hat zu einem starken Einbruch der Neubauaktivität im Berggebiet geführt. Der grosse Bestand von 350’000 bis 400‘000 Zweitwohnungen bietet Chancen für neues Wachstum. Innovative Vermietungsmodelle ermöglichen die nachhaltige touristische Nutzung bestehender Objekte und neue Geschäftsmodelle zur Sanierung des Bestands sichern die Wertschöpfung im Baugewerbe.
  • Das grösste brachliegende Potenzial sind die unzähligen Zweitwohnungsbesitzer. Ihr Potenzial, Wissen und Engagement für das Gemeinwesen im Berggebiet gilt es zu nutzen. Berggemeinden und -kantone müssen sie als Partner einbinden, z.B. über politische Mitsprache­rechte oder durch eine Beziehungspflege nach Vorbild der Alumni-Organisationen an Hochschulen.
  • Innovation ist der Schlüssel für künftige Jobs, Investitionen und Steuereinnahmen. Vielversprechende regionale Innovationscluster mit Vorbildcharakter gibt es in der Industrie und in der Bildung, aber auch in traditionellen Branchen.
  • Die natürlichen Handlungsräume des Berggebiets sind die Talschaften. Dort gilt es, die Kräfte zu bündeln. Die vorliegende Studie dokumentiert erstmals den Trend zur Talgemeinde. Zwischen 2000 und 2015 kam es in der Schweiz zu nicht weniger als 43 Talschaftsfusionen mit durchschnittlich 5,5 beteiligten Gemeinden.
  • Periphere Gebiete sind oft besonders vom Strukturwandel betroffen. «Potenzialarmen Räumen» bieten sich Chancen durch die Digitalisierung (z.B. Online-Vertrieb regionaler Produkte), durch eine pragmatische Ausgestaltung des Service Public oder durch Regionalpärke mit sanftem Tourismus. Wo Schrumpfungsprozesse nicht aufzuhalten sind, bedarf es eines «geordneten Rückzugs».
  • Zentral für das Berggebiet ist auch die Neuausrichtung im Tourismus. Die überhöhten Preise für landwirtschaftliche Produkte bringen klare Wettbewerbsnachteile für die Gastronomie. Darum muss der Grenzschutz für Agrarprodukte zugunsten der Berggebiete abgebaut werden. Auch eine stärkere Profilbildung einzelner Destinationen, die Produktbündelung oder der Zusammenschluss regionaler Marketing-Organisationen sind einige der Massnahmen, die in der Studie diskutiert werden.

Viele bisherige Ansätze zur Bewältigung des Strukturwandels im Berggebiet greifen zu kurz. Infrastrukturelle Prestigebauten lenken erhebliche Steuermittel in unproduktive Bereiche. Die politische Tabuisierung von Schrumpfungsprozessen behindert die Entwicklung geeigneter Gegenmass­nahmen, ein «Ansubventionieren» gegen das Schrumpfen ist ineffektiv. Die Verteilung begrenzter Mittel nach dem Giesskannenprinzip weckt keine neuen Wachstumskräfte.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen bedarf es in der Schweiz einer neuen Debatte zum Berggebiet. Der Bund sollte seine relativ vage Berggebietspolitik strategisch und operativ schärfen. Vertreter des Berggebiets wie die Regierungskonferenz der Gebirgskantone (RKGK) sollten sich stärker auf Fragen des Strukturwandels fokussieren. Am Ende sind es jedoch die Berggemeinden, ihre Einwohner und Unternehmer, die die Erneuerung der wirtschaftlichen Basis vorantreiben werden.