«Revitalisieren statt abschaffen» lautet das Motto des von Michael Hermann für Avenir Suisse verfassten Buchs über die Konkordanz. Trotz Krisensymptomen ist das Schweizer Regierungsmodell bis heute eine Erfolgsgeschichte. Es hat mitgeholfen, ein schlankes, robustes und zugleich bürgernahes Staatswesen zu schaffen. Der Autor liefert einen vertieften Einblick in die Entstehung und Entwicklung des eigentümlichen Regierungsmodells dieses Landes und zeigt anhand von drei konkreten Reformideen auf, wie dieses, ohne es aus den Angeln zu heben, für Gegenwart und Zukunft fit gemacht werden kann.

Die auf Stabilität angelegte Konkordanz ist angesichts des Aufstiegs der SVP und des anhaltenden Niedergangs der bürgerlichen Traditionsparteien FDP und CVP in eine Krise geraten. Polarisierung und schwindende Konsenskultur stellen das an eine feste (Zauber‑)Formel gebundene Regierungssystem der Schweiz in Frage. Ein Wechsel von der Konkordanz- zur Konkurrenzdemokratie, wie er in letzter Zeit vermehrt gefordert  oder als unvermeidlich dargestellt wird, ist für die Schweiz keine kluge Option. Da sich die politischen Institutionen und die politische Kultur eines Landes nicht beliebig umgestalten lassen, entstünde mit der Abkehr von der Konkordanz bloss ein Zwitter, der statt der Stärken die Schwächen beider Ansätze vereinte: Mehr politische Streitereien und trotzdem keine klaren Verantwortlichkeiten, wie sie voll entwickelte Konkurrenzdemokratien auszeichnen.

Erfolgsmodell revitalisieren

Trotz aller Krisensymptome bleibt die Konkordanz ein Erfolgsmodell. Nicht nur ist das Vertrauen in die Regierung in der Schweiz bis heute eines der höchsten Europas – es sind auch harte wirtschaftliche Fakten, die für das Regieren nach Schweizerart sprechen. Das Land hat sich in der internationalen  Wirtschafts-, Währungs- und Schuldenkrise als besonders gut gerüstet und robust erwiesen. Fast geräuschlos wurde 2003 eine Schuldenbremse eingeführt, während ringsum Staatshaushalte in Schieflage geraten sind. Diese im Rahmen der Konkordanz geschaffene Schuldenbremse wird heute von vielen in der Schuldenfalle steckenden Konkurrenzregierungen zum Vorbild genommen.

Die der Konkordanz zugrundeliegende Tradition der Machtbeschränkung und Machtteilung trägt zum Masshalten und zu einer hohen Zuverlässigkeit bei. Damit lassen sich zwar keine spektakulären Würfe realisieren, aber es ist ein leistungsfähiges, bürgernahes Staatswesen entstanden, das erst noch als besonders wetterfest gelten kann. Statt das eigenwillige Regierungsmodell der Schweiz vorschnell in Frage zu stellen, zeigt das Buch Wege auf, wie man die Konkordanz angesichts der veränderten Rahmenbedingungen revitalisieren könnte. Konkret werden drei weitgehend neue Reformideen vorgestellt.

Vertrauensvotum

Zu den Schwächen der schweizerischen Konkordanz gehört, dass sich die Regierung weder einem direkten noch einem indirekten Plebiszit stellen muss (wie es in präsidialen und parlamentarischen Demokratien üblich ist). Weil die politische Führung des Landes nicht zur Debatte steht, ist der Wahlkampf in der Schweiz zu einem Wettbewerb der Problembenennung statt der Lösungskompetenz verkommen. Die erste Reformidee zielt auf die Einführung eines Vertrauensvotums, dem sich am Ende der Legislatur alle Bundesräte, die im Amt verbleiben wollen, stellen müssten. Bundesräte, die das Vertrauen der Mehrheit der Stimmenden erhalten, sind wiedergewählt, die anderen müssten sich der Wiederwahl durch die Bundesversammlung stellen – in der Reihenfolge des Abschneidens im Vertrauensvotum. Im Gegensatz zu einer Volkswahl des Bundesrats führt das Vertrauensvotum nicht zu einem Dauerwahlkampf, es erhöht jedoch die Legitimität der Regierung und die für die Konkordanz entscheidende Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament. Zugleich steigert es den Handlungsspielraum des Parlaments bei den Erneuerungswahlen, da die Bundesräte nicht mehr durch Anciennität geschützt sind und die Bedeutung der Arithmetik relativiert wird.

Präsidialdepartement

Der oft beklagte Mangel an Kollegialität im Bundesrat ist weniger eine Folge des breiten politischen Spektrums, als vielmehr des ausgeprägten Departementsdenkens, das durch sieben eigenständige Generalsekretariate institutionell verstärkt wird. Um das Zusammenwirken in der Regierung zu verbessern, sollte die ganzheitliche Perspektive gestärkt werden. Hierzu wird ein Präsidialdepartement mit vollamtlichem Bundespräsidenten vorgeschlagen. Dieses schafft als Strategie- und Querschnittsorgan ein Gegengewicht zu den Fachdepartementen und bringt Kontinuität in die Aussenbeziehungen des Bundes. Der Bundespräsident bleibt primus inter pares – am Prinzip der Machtteilung wird nicht gerüttelt. Um der ausgeprägten Schwäche der Regierung in Krisensituationen entgegen zu wirken, wird der Bundespräsident vom Gesamtbundesrat in Krisensituationen pro tempore und themenspezifisch mit der Vollmacht eines Regierungschefs ausgestattet.

Der Bundespräsident ersetzt als achter Bundesrat den Bundeskanzler (dessen Aufgabenbereich wird ins Präsidialdepartement integriert). Er stimmt nur in Pattsituationen. Das reduzierte Stimmengewicht unterstreicht seine überparteiliche Position und sorgt für ein Machtgleichgewicht im Bundesrat.

Wettbewerb zwischen National- und Ständerat

Polarisierung und abnehmende Kompromisskultur belasten nicht nur die Arbeit der Regierung, sondern auch jene des Parlaments. Mittels einer geteilten Beschlussfassung sollen daher Blockierungen in der Legislative gelöst und ein massvoller Wettbewerb zwischen den beiden Kammern ermöglicht werden. Können sich National- und Ständerat bei einem Geschäft trotz Differenzbereinigungsverfahren nicht einigen, werden die abweichenden Beschlüsse dem Volk im Rahmen eines obligatorischen Referendums zur abschliessenden Beurteilung vorgelegt.

Tradition in die Zukunft führen

Jede der drei Reformideen beruht auf einer Verfassungsänderung und verlangt politischen Mut. Die Ideen setzen jedoch weder eine Veränderung der politischen Kultur noch einen Umbau des gewachsenen institutionellen Gefüges voraus. Sie ankern in der institutionellen Tradition des Landes und tragen diese Tradition in die Zukunft fort, indem sie die Schwächen der Konkordanz beheben, ohne ihre Stärken zu untergraben.

Der Erfolg des Schweizer Politikmodells beruht in einer unaufgeregten Behäbigkeit und einer gesunden Skepsis gegenüber grossen Würfen, er liegt aber ebenso sehr in einer Offenheit gegenüber pragmatischen, innovativen Antworten auf veränderte Rahmenbedingungen. Die 2003 eingeführte Schuldenbremse ist ein Beispiel für die pragmatische Innovationskraft, die im Schweizer Konkordanzmodell steckt. Die Schuldenbremse ist heute ein Exportschlager. Wenn es gelingt, das Schweizer Regierungsmodell besser für Krisensituationen zu rüsten und die Regierung demokratisch klarer abzustützen, wird in Zukunft das einzigartige Regierungsmodell dieses Landes womöglich selber zum Vorbild für Konkurrenzdemokratien, die nach mehr Robustheit und Bürgernähe streben.

Das Buch «Konkordanz in der Krise – Ideen zur Revitalisierung» kommt am 8. Juli in den Buchhandel. Dazu ist ein französisches Résumé von Edgar Bloch «Concordance en crise – idées pour la revitaliser» bei Avenir Suisse als Broschüre und als Download erhältlich.