Atomkraft-Gegner verlangen, dass Reaktorbetreiber sich gegen die Folgen eines Super-GAUs versichern müssen. Atomstrom soll damit unrentabel werden. Es ist aber unmöglich, die richtige Versicherungssumme zu bestimmen. Der Entscheid für oder gegen Kernenergie bleibt zutiefst politisch.

In einer Marktwirtschaft kommt dem Preis ­eine zentrale Aufgabe zu. Er schafft die richtigen Verbrauchs- und Investitionsanreize. Natürlich setzt das voraus, dass Preise die tatsächlichen Kosten und den Nutzen spiegeln und nicht durch externe Effekte verzerrt werden. Solche Effekte können den Wohlstand Dritter mehren oder beeinträchtigen.

Bei der Stromproduktion fallen unterschiedliche externe Kosten an. So können die CO2-Emissionen von Gas- oder Kohlekraftwerken zur Klimaerwärmung beitragen. Da sich solche Kosten nicht direkt in den Marktpreisen niederschlagen, kann der Staat korrigierend eingreifen – etwa über Lenkungssteuern. Externe Kosten können auch bei nicht versicherten Unfallrisiken entstehen, etwa beim Betrieb von Kernkraftwerken (KKW). In der Schweiz beträgt die gesetzliche Mindestversicherungssumme 1,8 Milliarden Franken. Bei einem schweren Unfall reichte dieser Betrag sicher nicht aus. Der nicht versicherte Schaden stellt dann einen externen Effekt dar. In diesem Ausmass sparen Kraftwerksbetreiber und Stromverbraucher Versicherungskosten, was einer Subventionierung durch die Allgemeinheit gleichkommt.

Die Ereignisse in Fukushima illustrieren, dass das Restrisiko einer Kernschmelze real ist. Häufig argumentieren Kernkraftgegner daher, dass sich bei einer angemessenen Versicherung der Betrieb eines KKWs nicht mehr lohnt, so dass alle Diskussionen, ob man solche bauen soll, hinfällig würden. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Das Risiko ist kaum zu kalkulieren

Eine Versicherungsdeckung setzt voraus, dass man weiss, wie gross das Risiko ist. Aufgrund der geringen Zahl von Vorfällen fehlen jedoch ausreichende statistische Grundlagen, weshalb die Schätzungen stark variieren. Ältere Studien für die Schweiz beziffern die externen Kosten des Unfallrisikos der Kernenergie auf 0 bis 35 Rappen pro Kilowattstunde (kWh) Strom. Schätzungen für Deutschland variieren zwischen 0 und dem Extremwert von 320 Rappen. Zum Vergleich: An der European Energy Exchange wurde Grundlaststrom 2010 bei etwa sieben Rappen pro kWh gehandelt. Müssten KKW, deren Produktionskosten momentan bei etwa fünf Rappen pro kWh ausgewiesen werden, diese externen Kosten decken, würden die tiefsten Schätzungen die Rentabilität nur geringfügig beeinträchtigen, während die maximalen Werte einen wirtschaftlichen Betrieb nicht mehr zuliessen.

Die grossen Differenzen bei den externen Kosten stammen einerseits daher, dass der mögliche Schaden und dessen Eintretenswahrscheinlichkeit sehr unterschiedlich geschätzt werden. So liegen für Deutschland die geschätzten Kosten eines grossen Unfalls bei 500 bis 5000 Milliarden Euro, während die Wahrscheinlichkeit zwischen 1:33 000 und 1:10 Millionen veranschlagt wird. Andererseits wird die Risikoaversion unterschiedlich berücksichtigt. Damit ist die gesellschaftliche Abneigung gegenüber seltenen, aber katastrophalen Ereignissen gemeint. Vor allem die Kostenschätzungen am oberen Ende unterstellen zusätzlich einen Aufschlag, um die Risikoaversion monetär zu erfassen. Naturgemäss ist diese Quantifizierung mit grosser Unsicherheit oder gar Willkür behaftet.

An der enormen Bandbreite der Schätzungen zum Risiko eines grossen Unfalls erkennt man, dass es äusserst schwierig ist, die richtige Versicherungsdeckung für ein KKW festzulegen. Die Kalkulation einer angemessenen Prämie ist in diesem Kontext kaum möglich. Aus ähnlichen Gründen sind bislang auch die internationale Bündelung von Risiken und eine Versicherung über den internationalen Kapitalmarkt (Katastrophen-Bonds) theoretische Möglichkeiten geblieben.

Als Alternative zur privaten Versicherung bieten sich Prämienzahlungen an den Staat an, der faktisch als Versicherer auftritt. Die Grundfragen bleiben jedoch: Braucht es überhaupt eine vollständige Versicherung für unwahrscheinliche Extremereignisse, etwa den Einschlag eines Meteoriten direkt auf das KKW? Wie hoch soll die Prämie sein? Schätzt man Eintrittswahrscheinlichkeit, Schaden und Risikoaversion als besonders gross ein, werden die Prämien derart hoch sein, dass sich Bau und Betrieb eines KKW nicht lohnen. Liegen dagegen die Schätzungen zu niedrig, führt dies zu einer Subvention. Die riesige Bandbreite der Berechnungen externer Kosten zeigt, dass die Festlegung der Prämie zwangsläufig zur politischen Entscheidung über den Einsatz der Kernkraft wird. Selbst mit einer Versicherungslösung kommt man daher nicht um eine Debatte über die Akzeptanz von Restrisiken in ­einer Gesellschaft herum. Das gilt auch für andere Technologien wie die Wasserkraft.

Nach der Katastrophe in Japan dürfte das Vertrauen in die KKW einen Tiefpunkt erreicht haben. Sollten künftig gänzlich neue Kraftwerkstypen verfügbar sein, könnte die Akzeptanz jedoch wieder steigen.

Dieser Artikel erschien in der Weltwoche am 21. Juli 2011.
Der Originaltitel lautete: «Ausreichende Grundlagen fehlen»