Der Übergang von der Ausbildung in die Arbeitswelt – die sogenannte zweite Schwelle – ist die kritische Schnittstelle schlechthin: Viele Volkswirtschaften sind mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit konfrontiert, was die zunehmenden Schwierigkeiten spiegelt, die Bildungssysteme mit den Dynamiken der Arbeitsmärkte zu koordinieren. Dabei ist die Arbeitslosigkeit, vor allem wenn sie länger anhält, nur das offensichtlichste und schwerwiegendste Symptom dieser Malaise. Mildere und weniger offensichtliche Varianten der Übergangsproblematik sind instabile Arbeitsverhältnisse, ungewollte Unterbeschäftigung, Überqualifikation, tiefe Löhne, welche die Leistungsfähigkeit und Produktivität junger Erwerbspersonen nicht wiedergeben.

Früher Einstieg in den Arbeitsmarkt fördert das Selbstbewusstsein

Die Berufsbildung bringt hier einen klaren Vorteil: Sie besetzt genau diese Schnittstelle. Wer eine Lehre beginnt, hat den Übergang zum Teil schon vollzogen. Entsprechend äussert sich die Selbstwahrnehmung der Lehrlinge; sie sehen sich eher als junge Arbeitskräfte denn als Jugendliche in Ausbildung, was sich langfristig günstig auswirkt. Die frühe Verhinderung von Arbeitslosigkeit senkt das entsprechende Risiko auch in späteren Erwerbsphasen. Nicht zu unterschätzen ist ferner die Persönlichkeitsentwicklung der jungen, angehenden Berufsleute, die früh lernen, sich in einer ausserfamiliären Hierarchie einzufügen.

Die Schweiz zählt seit langem zu den Ländern mit der tiefsten Arbeitslosigkeit in Europa. Die standardisierte Arbeitslosenrate betrug in der Periode 2001 bis 2007 mit 3,8% wenig mehr als die Hälfte des OECD-Durchschnitts von 6,5%. Gleichzeitig erreichen die Erwerbspartizipation und die Arbeitszeiten Spitzenwerte. Während in der EU nur knapp zwei Drittel der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren einer bezahlten Arbeit nachgehen, liegt die Quote in der Schweiz bei knapp 80%. Kaum einem anderen Land gelingt es so gut, seine Bevölkerung in den Erwerbsprozess zu integrieren. Das ist ein immenser Standortvorteil: Eine tiefe Arbeitslosigkeit spart nicht nur Sozialkosten, sie reduziert auch soziale Konflikte und fördert das allgemeine Wohlbefinden.

Praxisnahe Ausbildungen

Fast unisono wird argumentiert, dass die tiefe Schweizer Arbeitslosigkeit eine primäre Folge der starken Berufsbildung ist. Tatsächlich erweist sich der statistische Zusammenhang zwischen dem Anteil der Berufsbildung und der Arbeitslosenquote als signifikant und robust. In Kantonen mit starker Stellung der Berufslehre – vornehmlich in der Deutschschweiz – liegt die Arbeitslosigkeit wesentlich tiefer als in der lateinischen Schweiz, wo Allgemeinbildung und schulische Berufsbildung stärker vertreten sind. Dasselbe gilt für die Unterschiede zwischen Stadt und Land.

Die institutionelle Ausgestaltung der Berufsbildung kommt den Ansprüchen und dem Qualifikationsbedarf des Arbeitsmarktes entgegen. Bedenkt man, wie eng die Lehrinhalte und die erworbenen Kompetenzen mit den Bedürfnissen der Wirtschaft verzahnt sind, verwundert der Zusammenhang nicht. Etwas zugespitzt könnte man sagen, dass darin die «raison d’être» der Lehre liegt: Die Arbeitsmarktnähe der dualen Bildung wirkt als Filter, der verhindert, dass in grossem Stil Ausbildungen absolviert werden, die nicht nachgefragt werden.

Die Unterschiede in den Arbeitslosenquoten resultieren aber nicht ausschliesslich aus dem Bildungssystem. Ungleiche Branchenportfolios, deren zyklische Entwicklung, das Tempo des Strukturwandels, daraus folgende Anpassungskosten und Reibungsverluste, die Mobilität von Firmen und Arbeitskräften, aber auch die Personalpolitik spielen eine Rolle, ebenso Anreizeffekte. Menschen in schwierigen Beschäftigungsverhältnissen und mit entsprechend höherem Arbeitslosigkeits-Risiko neigen dazu, in urbane Gegenden zu ziehen, wo die Sozialkontrolle und die Stigmatisierung tiefer sind. Das führt dazu, dass die Arbeitslosigkeit in Städten regelmässig höher liegt als in ländlichen Gegenden.

Statistisch kein Zusammenhang nachweisbar

Den Zusammenhang zwischen Bildungssystem und Arbeitsmarkt sollte man nur mit der «relativen Jugendarbeitslosigkeit» untersuchen: Dieser Begriff hat sich in internationalen Vergleichsstudien durchgesetzt. Er misst den isolierten Effekt des Bildungssystems auf den kritischen Übergang zwischen Lehrabschluss und den ersten Jahren im Arbeitsmarkt.

Die Analyse der Schweizer Situation bringt ein überraschendes Bild hervor: Die relative Jugendarbeitslosigkeit in den Kantonen hängt nicht systematisch von der Bedeutung des dualen Systems ab (vgl. Abb.). Gemessen an der Gesamtarbeitslosigkeit stehen die Westschweizer Kantone in Sachen Jugendarbeitslosigkeit nicht schlechter da als die Deutschschweiz. Der Wert für die Schweiz lag im Jahr 2009 bei 154%, das heisst, das Arbeitslosenrisiko für die 19- bis 24-jährigen Erwerbstätigen war um 54% erhöht. Die Kantone Genf (119%) und Waadt (139%), aber auch Basel Stadt (129%) liegen unter dieser Marke, sind aber vergleichsweise schwach vom dualen System geprägt. Auf der anderen Seite ist die relative Jugendarbeitslosigkeit im Aargau (179%) und im Thurgau (184%) überdurchschnittlich hoch, obschon diese Kantone hohe Lehrlingsanteile aufweisen.

Fazit: Die einfache Formel, wonach eine gute Berufsbildung Garant für einen reibungslosen Eintritt in den Arbeitsmarkt ist, gilt nicht mehr uneingeschränkt.

Weitere Informationen zur Berufslehre in der Schweiz finden Sie in der Publikation «Die Zukunft der Lehre».