Im Kontext der Volksabstimmung über die beiden AHV-Vorlagen vom 3. März 2024 wurde die Quote der Bezüger von Ergänzungsleistungen (EL) oft als Armutsindikator ins Feld geführt. Doch auch wenn viele EL-Bezüger in prekären Verhältnissen leben, so eignet sich deren absolute Zahl schlecht, um die Wirksamkeit des Drei-Säulen-Prinzips zu beurteilen.

Zugang leichter als bei der Sozialhilfe

Ergänzungsleistungen werden oft als «Sozialhilfe für Pensionierte» dargestellt. Die Anführungszeichen sind hier entscheidend, denn die Anspruchsvoraussetzungen sind bei der Sozialhilfe ganz anders. Besitzt eine alleinstehende Person im arbeitsfähigen Alter ein Vermögen von mehr als 4000 Franken, verliert sie ihren Anspruch auf Sozialhilfe. Bei den EL ist diese Schwelle 25- mal höher und beträgt 100 000 Franken. Dies erklärt denn auch, weshalb die Quote der EL-Bezüger (12 % im Jahr 2022) höher ist als jene der Sozialhilfebezüger (3% im Jahr 2021). Doch dafür gibt es auch andere Gründe: Oft geht vergessen, dass die EL drei Bedürfnisse abdecken.

Anstelle von IV und Sozialhilfe

Erstens treten die EL an die Stelle anderer Sozialversicherungen wie Invalidenversicherung oder Sozialhilfe, wenn der Empfänger das Pensionsalter erreicht. Dies ist bei mehr als einem Drittel der Bezüger von EL zur AHV der Fall. Diese Personen lebten bereits im erwerbsfähigen Alter in einer prekären Situation, sei dies aufgrund einer Behinderung, einer Krankheit oder nach der Aussteuerung aus der Arbeitslosenkasse. Für diese Personen stellt der Rentenbeginn kein zusätzliches Risiko mehr dar, denn das «Schadenereignis», wie dies im Versicherungsjargon heisst, ist bereits vorher eingetreten.

Rentner beim Wandern. EL Ergänzungsleistungen

Die Voraussetzungen für Ergänzungsleistungen sind ganz anders als jene für Sozialhilfe. (Adobe Stock)

Das Gegenteil ist der Fall. Die Finanzlage von Haushalten mit sehr bescheidenem Einkommen (weniger als 60% des medianen Einkommens) verbessert sich mit dem Zugang zu Vorsorgeleistungen schlagartig, denn für Alleinstehende steigt das Einkommen im Durchschnitt von 28 300 auf 37 800 Franken. Bei Paarhaushalten beträgt der Anstieg gemäss einer Studie im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen 16 000 Franken, womit das Einkommen nach der Pensionierung auf 55 000 Franken steigt.

Kompensation des Einkommensverlusts

Zweitens besteht der Zweck der AHV und der 2. Säule darin, ein Einkommen von 60% des letzten Bruttolohns zu gewährleisten. Da die Pensionierten keine Arbeitnehmerbeiträge (AHV, IV, BVG, ALV) mehr zahlen und ihre Steuerbelastung sinkt, entspricht das Rentenziel mindestens 75% des letzten Nettoeinkommens.

In gewissen Fällen ist dieser Rückgang jedoch zu gross, um die finanzielle Unabhängigkeit zu gewährleisten, oder die Ersatzquote wird von jenen Personen nicht erreicht, die keine volle AHV-Rente beziehen oder die keine oder nur eine geringe 2. Säule haben. Für 4% der Neurentner, d. h. für beinahe ein Drittel der EL-Bezüger, birgt der Übergang in den Ruhestand (und der damit verbundene Einkommensverlust) tatsächlich ein Armutsrisiko.

Finanzierung der Pflegekosten

Beim letzten Drittel der vom Staat abhängigen EL-Bezüger handelt es sich um auf Langzeitpflege angewiesene Menschen, die in ein Pflegeheim eingewiesen werden müssen. Die eigentlichen Pflegekosten werden zwar von der Krankenversicherung und vom Staat mitfinanziert, doch die Kosten für die Hotellerie und Betreuung müssen die Heimbewohner selbst tragen. Diese belaufen sich im Durchschnitt auf ca. 5600 Franken pro Monat. Wer die nötigen Mittel nicht aufbringen kann, erhält EL vom Kanton. Diese Pensionierten verursachen mehr als die Hälfte (55%) der EL-Kosten, die vom Bund, von den Kantonen und den Gemeinden getragen werden.

Dennoch können nicht alle diese Bezüger als arm bezeichnet werden. Sie bewohnen ein Zimmer in einem Pflegeheim, das demjenigen ihrer Nachbarn, die es aus der eigenen Tasche bezahlen, sehr ähnlich ist. Ihre Situation ist vergleichbar mit jener der anderen Heimbewohner.

Diese Beispiele zeigen: Die EL sind eine Form der «Vollkaskoversicherung» für die soziale Sicherheit der Senioren. Sie decken drei Arten von Risiken ab und erfüllen unterschiedliche Bedürfnisse. Daher braucht es zur Bekämpfung dieser Risiken auch unterschiedliche Ansätze. Eine Verbesserung des Ersatzeinkommens durch das Drei-Säulen-System könnte zu einer Senkung der EL-Quote beitragen. Es braucht indessen auch andere Massnahmen, nämlich in Bezug auf die Zeit vor der Pensionierung sowie im Bereich der Langzeitpflege.

Dieser Text ist in der Märzausgabe der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» erschienen.