Industriepolitik feiert international ein Comeback. Als Antwort auf gestiegene geopolitische Spannungen, den Klimawandel oder Bedenken um die eigene Wettbewerbsfähigkeit gewähren Regierungen weltweit Subventionen in bisher unvorstellbarem Umfang. Allein 2023 beliefen sich diese gemäss Berechnungen des IWF auf mehr als 1700 Mrd. Dollar. Damit ist ein politisches Versprechen verbunden: Eine starke einheimische Industrie schafft die Basis für höheren Wohlstand, eine intakte Umwelt und mehr Sicherheit.

Die Solothurner Volks- und Standesvertreter wollen den Bundesrat zur Rettung des Stahlwerks Gerlafingen verpflichten. (Symbolbild Adobe Stock)

In der Schweiz fallen die Versprechen nicht ganz so vollmundig aus. Industriepolitik ist aber auch hierzulande sehr aktuell. Zwar hat man bisher auf die im Ausland verbreitete Förderung von Schlüsseltechnologien verzichtet. Allerdings gibt es – zusätzlich zu bekannten Subventionssündenfällen wie im Tourismussektor – derzeit problematische Entwicklungen, die auf eine Förderung ausgewählter Industriebranchen abzielen. Allen voran die missliche Geschäftslage in der Stahlbranche hat die Politik dazu bewogen, den betroffenen Unternehmen unter die Arme zu greifen.

Oft Strukturerhalt

Vergangene Woche haben die Solothurner Volks- und Standesvertreter sogar in corpore einen Vorstoss eingereicht, der den Bundesrat zur Rettung des Stahlwerks Gerlafingen verpflichten will. Damit könnte der Ableger eines italienischen Stahlkonzerns vermutlich eine Weile am Leben erhalten werden. Doch auch mit staatlicher Unterstützung ist zu befürchten, dass das Werk in naher Zukunft abermals in Schwierigkeiten geraten könnte. Manuelle Tätigkeiten sind in der Schweizer Industrie schon länger auf dem Rückzug. Das Stahlwerk in Gerlafingen zählte in den Sechzigerjahren etwa 3000 Mitarbeiter, heute sind es noch 500.

Es hat sich in den vergangenen 25 Jahren für die Schweiz ausgezahlt, einen solchen Strukturwandel zuzulassen. Trotz zahlreicher Herausforderungen – wie dem Frankenschock oder der staatlichen Unterstützung zugunsten der Industrie in anderen Ländern – ist die Schweiz von einer Deindustrialisierung verschont geblieben. Zu verdanken ist dies vor allem einer sektorweiten Tertiarisierung. Den typischen Industriearbeiter findet man heute immer häufiger an einem Schreibtisch.

Dass die hiesige Politik Strukturerhalt betreibt, hat einen handfesten Grund. Mit der Unterstützung lässt sich das Versagen in anderen Bereichen kaschieren. Die hohen Energiepreise sind die Folge einer verfehlten Energiepolitik. Statt diese Versäumnisse mit Subventionen für einzelne Gesellschaften wettzumachen, sollte die Politik die energiepolitischen Rahmenbedingungen – etwa mit dem Ausbau der inländischen Stromerzeugung – verbessern.

Schädlicher Green Deal

Industriepolitik in der Schweiz macht sich bisher vor allem in alteingesessenen Branchen bemerkbar. Doch was manchen Parlamentariern der Stahl ist, sind anderen die Solarpanels. So sieht die kürzlich eingereichte Initiative für einen Klimafonds unter anderem eine Solaroffensive vor. Im Parlament ist ausserdem ein Vorstoss hängig, der die inländische Solarindustrie begünstigen will.

Industriepolitik ist allerdings ein denkbar schlechtes Instrument zur Erreichung der Klimaziele. Bei der Bewältigung des Klimawandels ist Technologieoffenheit zentral. Gerade grüne Subventionen erfüllen dieses Kriterium in der Regel nicht. Eine auf Subventionen ausgelegte Klimapolitik läuft so Gefahr, die falschen Technologien zu fördern und letztlich das Ziel der Dekarbonisierung zu verfehlen. Das Fehlen von Technologieoffenheit reduziert den Innovationsdruck und verlangsamt damit den Fortschritt.

Zudem dürfte sich die Hoffnung auf ein durch grüne Subventionen getriebenes Wirtschaftswachstum als ökonomische Illusion erweisen. Solche Subventionen binden nämlich Arbeitskräfte und finanzielle Mittel, die in anderen Bereichen eingesetzt werden könnten. Wie die OECD in einer neuen Untersuchung zeigt, könnten damit erhebliche Wachstumseinbussen verbunden sein. So wird geschätzt, dass die Wirtschaftsleistung in der EU 2035 rund 2,3% geringer ausfallen wird als ohne den Green Deal, der zahlreiche Subventionsprogramme zur Dekarbonisierung der Wirtschaft enthält.

Das heisst nicht, dass die Schweiz keine Klimapolitik betreiben soll. Für den Klimaschutz wäre jedoch mehr gewonnen, wenn alle Subventionen für fossile Energieträger (sie betragen zurzeit 260 Fr. pro Kopf und Jahr) wie verzerrende Entlastungen zugunsten von Unternehmen (z.B. die CO₂-Abgabebefreiung) aufgehoben würden. Zudem sollte der CO₂-Ausstoss bepreist und sollten die Einnahmen an die Bevölkerung rückvergütet werden.

Weder effizient noch effektiv

Sollte trotz dieser Bedenken auch hierzulande die Politik wieder mehr Sympathien für Industriepolitik entwickeln, empfiehlt sich ein Blick zurück in die eigene Vergangenheit. Denn die Wirtschaftsgeschichte der Schweiz offenbart zahlreiche industriepolitische Abenteuer, die allesamt gescheitert sind.

Prominent gescheitert: Schweizer Versuchsreaktor in Lucens, Aufnahme von 1968. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Im 20. Jahrhundert führten Preisabsprachen und Marktabschottung während Jahrzehnten zu höheren Preisen für die Konsumenten und lähmten die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Zudem verkalkulierte sich der Bund bei der Förderung von Zukunftstechnologien – etwa bei der Entwicklung eines Schweizer Atomreaktors in den Sechzigerjahren.

Auf Kosten von Konsumenten und Steuerzahlern

Diese Erfahrungen haben die Risiken von Industriepolitik auch im Schweizer Kontext schonungslos aufgezeigt. Industriepolitik hilft primär den begünstigten Unternehmen oder Branchen auf Kosten von Wettbewerbern, Konsumenten und Steuerzahlern. Einmal eingeführt, ist sie nur schwer rückgängig zu machen, da die Interessen der Begünstigten sehr mächtig werden können. Zudem bremsen derartige Eingriffe oft Innovationen. Am Ende drohen schädliche Subventionswettläufe und kostspielige Überkapazitäten.

Industriepolitik wird die Schweiz nicht in eine prosperierende Zukunft führen. Zu diesem Schluss kommt im Übrigen auch die OECD in ihrer jüngst publizierten Neuauflage des Länderberichts zur Schweiz. Wer als kleine, offene Volkswirtschaft attraktiv sein will, erlangt Standortqualität und Wettbewerbsfähigkeit über die Pflege der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dieser Appell mag bekannt sein, doch er ist in Zeiten industriepolitischer Revivals und finanzieller Schwierigkeiten wichtiger denn je.

Dieser Beitrag wurde am 22. März 2024 in der «Finanz und Wirtschaft» publiziert.