Die Befürworter der Erbschaftssteuer berufen sich als Kronzeuge immer gern auf die liberale Lichtgestalt John Stuart Mill (1806-1873). Für diesen war die Erbschaftssteuer in der Tat ein geeignetes Instrument zur Herstellung von Chancengerechtigkeit im Sinne von «Startgerechtigkeit» oder doch wenigstens einer gleichmässigeren Vermögensverteilung.

Allerdings stellte sie nur einen kleinen Teil der Millschen Gedankenwelt dar.

So lehnte er mit allem Nachdruck jede Tyrannei der Mehrheit ab, was gerade im Hinblick auf die Tatsache, dass die geplante Erbschaftssteuer laut den Initianten nur 2% der Stimmberechtigten betreffe, wogegen die grosse Mehrheit ungeschoren davon komme, demokratiepolitisch zu denken geben muss. John Stuart Mill billigte das Wahl-und Stimmrecht deshalb auch nur Personen zu, die Steuern entrichten. Im Weiteren bevorzugte er Konsumsteuern gegenüber progressiven Einkommenssteuern. Diese Gedanken werden von den Promotoren der Erbschaftssteuer natürlich gerne verschwiegen, so dass leicht der Eindruck entstehen könnte, diese Steuerart sei unter liberalen Ökonomen unbestritten.

Keine zentrale Steuer

In Tat und Wahrheit stand die Erbschaftssteuer nie im Zentrum der finanz- und steuertheoretischen Auseinandersetzung um die bestmögliche Gestaltung des Steuersystems eines Landes, auch wenn sie zu den ältesten Steuern gehört. So hatte diese schon in der «civil society» des urliberalen John Locke (1632-1704)  überhaupt keinen Platz. Je nachdem , ob das Leistungsfähigkeits- oder das Äquivalenzprinzip im Sinne der Gleichheit von Leistung und Gegenleistung als Richtschnur benutzt werden, fällt das Urteil über die Erbschaftssteuer unterschiedlich aus. Allgemein wird jedoch anerkannt, dass die Erbschaftssteuer isoliert betrachtet zu den weniger verzerrenden Steuerarten gehört.

Während Heinz Haller und Abel Musgrave als wohl bekannteste Finanzwissenschafter der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Erbschaftssteuer als ein Instrument zur Glättung von Vermögensungleichgewichten anerkannten — sofern gewisse Nebenbedingungen wie die Vermeidung von Mehrfachbesteuerungen erfüllt sind — fällt das Urteil bei jüngeren Fachkollegen skeptischer aus. Für Walter Wittmann hat die Erbschaftssteuer in einem wachstums- und innovationsfreundlichen Steuersystem schlicht keinen Platz, weil sich das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht auf Vermögenstransaktionen wie Erbschaften anwenden lasse. Im zurzeit wohl modernsten finanzwissenschaftlichen Lehrbuch von Charles Blankart «Öffentliche Finanzen in der Demokratie» fristet die Erbschaftssteuer nur eine Randexistenz.

In den führenden  Lehrbüchern der Finanzwissenschaft steht deshalb die Effizienz (Äquivalenz ) fast immer vor, zumindest aber gleichberechtigt neben der Gerechtigkeit (Leistungsfähigkeitsprinzip). Für Stefan Homburg, den führenden deutschen Finanzwissenschafter, ist die Effizienz von allen Begründungen für Steuern am tragfähigsten und passt deshalb am besten zum liberalen Rechtsstaat.

Auf den Zusammenhang kommt es an

Dieser kurze Streifzug durch die Finanzwissenschaften zeigt, dass die Erbschaftssteuer viel umstrittener ist, als die Promotoren der Initiative glauben machen wollen. Vor allem aber lehrt die moderne Finanzwissenschaft, dass es stets auf die Gesamtwirkung des Steuersystems eines Landes ankommt, weshalb die Erbschaftssteuer auch nicht einfach isoliert betrachtet und deshalb befürwortet werden kann.

Avenir Suisse wird im Januar ein neues Buch mit dem Titel «Steuerpolitische Baustellen. Fiskalische Irrwege und Herausforderungen» veröffentlichen. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus einem umfassenden Essay zur Erbschaftssteuer.