Dank eines von ETH-Professor Dirk Helbing entwickelten Systems zur Ampelsteuerung liessen sich, so heisst es, die Verkehrsflüsse in Zürich bei bestehender Infrastruktur deutlich verflüssigen: Sensoren würden an jeder einzelnen Ampel Verkehrsmenge und Fliessgeschwindigkeit messen, und ein zentrales Steuerungssystem in Echtzeit würde die Ampelphasen optimieren. Somit würde ein solches System auch auf Unfälle, Baustellen oder Ausweichverkehr reagieren und helfen, hohe Staukosten in Form von Zeitverlusten, Spritverbrauch, Lärm und Stress zu vermeiden.

Die neue Software für das Strassensystem brächte also Effizienzgewinne ohne teuren Kapazitätsausbau der Verkehrsinfrastruktur. Aber statt eines breiten Konsenses für seine Einführung entwickelt sich in Zürich handfester politischer Streit. Stadtverwaltung und Grüne fürchten, ein flüssiger innerstädtischer Verkehr würde den Druck zur Nutzung des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) reduzieren und noch mehr Pendler in die Stadt locken. Dahinter steckt die geradezu zynische Haltung, bewusst Staukosten als Steuerungsinstrument für die Verkehrsnachfrage einzusetzen.

Die absurd anmutende Debatte hat tieferliegende Ursachen, ähnlich wie jene über die zweite Gotthardröhre. Die Nachfrage nach Mobilität übersteigt vielfach das Angebot, aber statt Angebot und Nachfrage wie in anderen Märkten über den Preis ins Gleichgewicht zu bringen, betreibt die Verkehrspolitik Engpassbewirtschaftung: Man dämpft die bei den gegebenen, zu tiefen Preisen vorhandene Übernachfrage über die Staukosten und ihre abschreckende Wirkung. Die dadurch in Kauf genommenen Reibungsverluste stellen einen Wohlfahrtsverlust («Dead Weight Loss») für die Schweizer Wirtschaft dar – in Höhe von schätzungsweise 1 Mrd. bis 1,5 Mrd. Fr. pro Jahr. Gemäss dem Mikrozensus Mobilität und Verkehr 2010 steht jeder fünfte Pendler mindestens einmal pro Woche im Stau.

Umfrage zu Verkehrsfragen

Eine effizientere Lösung wäre ein «Mobility Pricing» mit Hilfe eines modernen Mautsystems. Dieses würde eine preisliche Differenzierung nach Strecken und Zeiten erlauben – mit Knappheitspreisen für zeitliche Spitzen und auf Engpassstrecken. Die Folgen wäre eine Drosselung der Nachfrage nur dort, wo die Kapazitäten zu klein sind, geringere Staukosten und eine gleichmässigere Auslastung der Infrastruktur. Zudem würde es zwei allgemein anerkannten Prinzipien auch im Verkehr Nachachtung verschaffen: der Kostenwahrheit und dem Verursacherprinzip. Durch proportionale Senkung anderer Steuern liesse sich eine Maut zudem fiskalisch neutral gestalten. Warum zögert man mit der Einführung eines solchen Systems?

Erstens müsste hierfür die Verfassung geändert werden. Zweitens würden Einführung und Betrieb eines solchen Systems viel Geld kosten – wenn auch möglicherweise weniger als die jetzigen Staukosten oder die milliardenschweren Infrastrukturinvestitionen zur Beseitigung von Kapazitätsengpässen. Und drittens ist «Road Pricing» höchst unpopulär. Gemäss dem Mikrozensus ist nur ein Drittel der Schweizer Bevölkerung für Kostenwahrheit im Strassenverkehr. Somit werden uns Staukosten einerseits, eine auf Engpassüberwindung ausgerichtete Infrastrukturpolitik im Verkehr anderseits wohl noch länger erhalten bleiben.