Es ist noch nicht allzu lange her, da war klar, woher die Bedrohung der offenen Gesellschaft kam. Sie ging aus von einer national-sozialistischen und einer international-sozialistischen Ideologie und von einem darauf basierenden militärischen und politischen Machtapparat. Die Herausforderung und die Bedrohung waren gross, aber zugleich waren die Verhältnisse klar. Man wusste, wer die Feinde der freiheitlichen Ordnung waren. Das vermeintliche «Ende der Geschichte», das Francis Fukuyama ausrief, wirkte zuerst wie ein Triumph. Bald aber begannen neue Bedrohungen der individuellen Freiheit zu keimen.

Autoritarismus contra Demokratismus

Zu den neuen «Ismen» zählen zum einen politphilosophische Grundhaltungen, die sich von den alten Ideologien losgelöst und verselbständigt haben. Es sind keine umfassenden Weltanschauungen, sondern eine Art strukturelle Akzentsetzungen mit Blick auf die Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft, etwa die Vorstellung, zentrale Lösungen seien meist besser als dezentrale, oder die Idee, eine möglichst vollständige Offenlegung von allem und jedem sei dem Schutz von Privatheit und Diskretion vorzuziehen. Zum anderen gibt es neue und zum Teil nicht so neue «Ismen», die andere Inhalte ins Zentrum ihrer Weltsicht rücken, wie der Ökologismus und der Feminismus. Beide, die strukturellen Denkhaltungen und die inhaltlichen Akzentsetzungen, kommen oft massvoller und weniger sichtbar daher als die alten Ideologien – das macht sie vielleicht gefährlicher.

Zur Gruppe der politischen «Ismen» gehört der Autoritarismus. Gemeint ist damit die Tendenz, Wohlstand ohne politische Mitsprache als ein valables Konzept für die Ordnung einer Gesellschaft anzusehen. Der Verlockung der «autoritären Technokratie», wie sie Ian Buruma nannte, erliegen weniger Intellektuelle als vielmehr Unternehmer und Politiker, die Sympathie für die vermeintliche Stabilität dieses Ordnungsmodells erkennen lassen, nicht nur in Ländern wie Singapur oder früher Chile, Südkorea und Taiwan, sondern neuerdings nicht zuletzt in der Volksrepublik China.

Das Gegenteil des Autoritarismus ist ebenso gefährlich. Zwar ist die Demokratie die am wenigsten schlechte Regierungsform. Aber sie gehört an den ihr zustehenden Platz, wo es darum geht, Entscheide für Angelegenheiten zu treffen, die alle angehen, wo es um veritable Kollektivgüter geht. Das scheint bei vielen vergessen zu gehen. Wie oft hört man doch den Vorwurf, irgendwelche Vorgänge in der Wirtschaft seien undemokratisch und dieses oder jenes müsse demokratisch entschieden werden. Ein aktuelles Beispiel ist die Diskussion über die Corporate Governance, die in der Schweiz derzeit vermutlich eine Mehrheit der Bevölkerung bis ins Detail gesetzlich regeln möchte, statt sie den Aktionären, also den Eigentümern, zu überlassen.

Die Demokratie ist nur der liberalere Weg zur Entscheidfindung als die Diktatur oder die Monarchie, aber sie ist der weniger liberale Weg als der Entscheid eines jeden Einzelnen. Deshalb sollte die Demokratie in der Politik ausgebaut werden, aber nicht in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft. Auch zu viel Demokratie kann eine Gefahr für die individuelle Freiheit darstellen.

Auch der Zentralismus bringt eine gefährliche Vorstellung über die politische Organisation der Gesellschaft zum Ausdruck. Er erfährt heute im Rahmen der EU eine fast unglaubliche Renaissance, wenn man an all die Ideen für eine Bankenunion oder eine Vergemeinschaftung der Schulden denkt. Die Grundphilosophie ist dabei immer die gleiche: Man suche die Lösung (und die finanziellen Mittel) auf der nächsthöheren oder jedenfalls grösseren Ebene, in der Hoffnung, dass dann andere etwas von der eigenen Last übernehmen.

Pragmatismus und Transparentismus

Zu den neuen «Ismen» mit politphilosophischer Akzentsetzung gehören schliesslich der Pragmatismus, der Transparentismus und der Moralismus. Die Pragmatiker wollen die Probleme vom Tisch haben – ob dabei die Freiheit gefährdet wird, ist ihnen gleich. Und noch in einem Sinne sind sie für die freie Ordnung gefährlich: Pragmatiker sind beseelt von einem grossen Machbarkeitsglauben und haben wenig am Hut mit der liberalen Position, dass wir bezogen auf Wirtschaft und Gesellschaft nur wenig wissen und gestalten können.

Ebenfalls freiheitsgefährdend ist der Ruf nach fast totaler Transparenz. Die Attitüde, der gläserne Bürger sei nur für jene ein Problem, die nichts zu verbergen hätten, ist eines freien Staates nicht würdig. Dies führt zu einer schleichenden Entwicklung des Staates zum «Big Brother» und zur Einschränkung der Privatheit, diesem Sauerstoff der Freiheit. Der Moralismus schliesslich ist eindeutig als eine Gegenposition zum Liberalismus erkennbar. Seine Grundannahme lautet, es gebe ein für alle gültiges, moralisch richtiges Handeln. Und deshalb dürfe, ja müsse das moralisch richtige Verhalten in der Gesellschaft durchgesetzt werden, notfalls durchaus mit einer gehörigen Portion Zwang. Besonders deutlich kommt der Moralismus heute im Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Finanzbranche zum Ausdruck. Wer die Ursachen der Krise im Finanzsektor ausschliesslich in der Gier und Masslosigkeit von Spitzenmanagern sieht, ist ein Moralist und blendet die ordnungs- und wirtschaftspolitischen Fehler, die am Anfang der Krise stehen, aus.

Ein wunderbares Beispiel für den Etikettenschwindel, mit dem die neuen «Ismen» operieren, ist die Bezeichnung «libertarian paternalism». «Nudge» von Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein, dem «Regulierungszar» von Präsident Obama, ist eine Verführung zur sanften Lenkung hin zu «vernünftigem» Verhalten – und deshalb ohne Zweifel von grossem Sex-Appeal für Intellektuelle auf der linken, aber auch auf der rechten Seite des politischen Spektrums.

Dieser sanfte Paternalismus, das Stupsen in eine bestimmte, vermeintlich richtige Richtung, ist anfällig für Missbrauch durch den Staat und kann rasch zu einem Paternalismus tout court mutieren. Ein abschreckendes Beispiel ist, wie nach den Tabaksteuern und den Warnungen vor dem Krebstod nun das Rauchverbot in ganz Europa um sich greift. Natürlich gibt es aus liberaler Sicht gute Gründe, die Nichtraucher vor den externen Effekten der Raucher zu schützen. Aber man schiesst dabei weit übers Ziel hinaus: Den Entscheid, ob ein Restaurant rauchfrei ist oder nicht, kann man getrost dem Wirt überlassen, den Entscheid, ob man in einem solchen Lokal essen will, dem Kunden, und den Entscheid, ob man in einem solchen Lokal arbeiten will, dem Arbeitnehmer.

Ökologismus und Feminismus

Eine besonders harte Nuss stellt für Freunde der Freiheit der Ökologismus dar, denn viele Umweltanliegen sind durchaus wichtig und richtig. Aber so wichtig sie sein mögen, unterliegen auch sie dem Kosten-Nutzen-Kalkül. Das heisst nicht nur, dass ihre Umsetzung Geld kostet, es heisst vor allem, dass in einer Welt knapper Mittel die Realisierung eines Ziels immer bedeutet, dass ein anderes Ziel nicht verwirklicht werden kann. Ökonomen nennen das Opportunitätskosten. Es ist das in einer breiteren Öffentlichkeit vielleicht am wenigsten verwurzelte Konzept der Ökonomie. Bei all jenen, die überzeugt sind, dass wir auf eine Klimakatastrophe zusteuern, dass uns die natürlichen Rohstoffe ausgehen und dass die Umwelt immer mehr und dauerhaft zerstört wird, scheint es jedoch völlig unbekannt zu sein.

Für den eklatanten Mangel an Kompromiss- und Dialogbereitschaft gibt es mindestens drei Gründe: Erstens berufen sich Ökologisten auf naturwissenschaftliche Fakten. Wissen anzuzweifeln, ist noch schwieriger, als Glaube infrage zu stellen; erst recht, wenn das Wissen durch Experten gegen Zweifel immunisiert wird. Genau das scheint in der Klimadebatte abzulaufen, denn der sogenannte Konsens besteht wohl unter den Klimatologen, ist jedoch ausserhalb dieses Zirkels keineswegs unumstritten. Er wird aber von den Experten mit allen Mitteln gegen Kritik geschützt. Zweitens argumentieren die Ökologisten mit den Interessen von Generationen, die in hundert Jahren oder sogar noch später leben werden. Wenn Anwälte Klienten vertreten, die niemand zu Gesicht bekommt – in diesem Fall nicht einmal sie selber –, vertreten sie letztlich immer eigene Interessen und Überzeugungen. Drittens geht es den Ökologisten um etwas, das unsere Lebensbedingungen massiv verändern kann. Da wird behauptet, ohne Gegensteuer würden wir zurück in die Steinzeit katapultiert (in der meist Eiszeit herrschte) oder jedenfalls stehe das Leben von Hunderten von Millionen Menschen auf dem Spiel. Wer eine Gegenposition einnimmt, setzt sich dem Vorwurf des Zynismus aus, weil es heisst, jedes Menschenleben sei unendlich viel wert und entziehe sich einer ökonomischen Betrachtung.

In der Energiepolitik wie in der Klimapolitik hat kaum mehr jemand den Mut, zu sagen, dass eine Klimaveränderung per se nicht unbedingt schlecht sein muss, dass die Bewahrung des Status quo keineswegs zwingend menschengerecht ist, vor allem aber, dass es gegenüber Veränderungen immer zwei Strategien gibt, Anpassung oder Widerstand. Menschen zeichnet aus, dass sie im Gegensatz zu anderen Lebewesen in Sibirien wie in der Sahara leben können.

Wenn schliesslich vom Feminismus als freiheitsgefährdender Strömung die Rede ist, dann nicht von der Selbstverständlichkeit, dass Frauen und Männer in einer offenen Gesellschaft von Staates wegen grundsätzlich die gleichen Freiheiten, Rechte und Pflichten haben müssen. In dieser Seite des Feminismus liegt eine befreiende Kraft. Aber es gibt einen anderen Feminismus. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er Ungleiches gleich behandeln will, etwa mit der Forderung, dass bei Beförderungen in der Berufswelt Unterbrüche in der Laufbahn wegen Schwangerschaft, Geburt und Kinderbetreuung nicht berücksichtigt werden dürften. Er strebt danach, die Kosten der Mutterschaft und der Kombination von Mutterschaft und Karriere zu sozialisieren. Und er verfolgt Interessenpolitik zugunsten der Frauen. Dazu ist er bereit, mit dem Argument der Diskriminierung in freie Verträge freier Menschen einzugreifen und Männer von Gesetzes wegen zu benachteiligen.

Die hier diskutierten «Ismen» – die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – weisen einige Gemeinsamkeiten auf; solche, die sie mit den alten «Ismen» teilen, und solche, die typisch sind für die neueren Strömungen. Wie Sozialismus und Faschismus sind die neuen «Ismen», aber auch der eigentlich schon uralte Moralismus durch ein normatives Menschenbild geprägt. Ihr Ziel ist der neue Mensch, darin sind sie dem Christentum verwandt, nur dass dieses realistischerweise erst im Jenseits mit der Vervollkommnung des Menschen rechnet. Deshalb muss gemäss vielen neuen «Ismen» der Mensch geformt, zu etwas gezwungen werden. Die Freiheit, die die neuen «Ismen» meinen, ist bedingt: Jeder ist frei, zu tun, was er will, solange er das tun will, was er nach Ansicht der Paternalisten, Ökologisten und Feministen tun sollte.

Eng verbunden mit dem normativen Menschenbild ist die Absage an jegliche Subjektivität. Die neuen «Ismen» postulieren, ähnlich wie die alten, so etwas wie eine Objektivität der Moral und des Wissens bzw. einen für alle gültigen Gemeinwillen. Dieser bezieht sich meist bloss auf das im Zentrum stehende Anliegen. Dort haben Abweichungen von der Norm, ja selbst das Recht auf (vermeintliche) Unvernunft und auf Selbstschädigung, zwei Pfeiler des Liberalismus, keinen Platz.

Schliesslich ist den neuen «Ismen» jene Anmassung von Wissen eigen, die Friedrich A. von Hayek immer wieder kritisiert hat. Die bescheidene Sicht, dass kein einzelner Mensch und keine Behörde über so viel Wissen verfügen kann, wie nötig wäre, um die Gesellschaft in ihrer Komplexität vollständig zu verstehen, und erst recht, um sie zu lenken, geht den freiheitsgefährdenden «Ismen» völlig ab. Intellektuelle Hybris und Machbarkeitsglaube zählen heute zu den grössten Gefahren für die Freiheit – Gewaltenteilung, Föderalismus, Gemeindeautonomie und Kleinheit sind mögliche Gegengifte.

Vermeintlich unideologisch

Was aber ist anders an den neuen «Ismen»? Sie wirken, erstens, weniger umfassend, sondern eher punktuell auf ein Thema ausgerichtet, dem alles untergeordnet wird. Sie geben sich, zweitens, deutlich weniger politisch und unideologischer als die traditionellen weltanschaulichen Strömungen und Parteien. Vertreter von Denkrichtungen wie dem Zentralismus mit seiner Harmonisierungsfreude, dem Pragmatismus und dem Transparentismus behaupten oft, es gehe nur um Effizienz – ein gewissermassen wertfreies Anliegen. Die neuen «Ismen» stellen sich, drittens, als weniger radikal dar als die alten freiheitsfeindlichen Parteien. Zum Teil ist dies geschickte Verpackung, die die Radikalität im Kernanliegen bewusst kaschieren soll. Viele Paternalisten, Ökologisten und Feministen führen aber durchaus aus innerer Überzeugung Werte wie Freiheit, Demokratie, Markt und Wettbewerb im Mund. Sie sind sich bloss nicht bewusst, dass es zwischen ihren Kernanliegen, vor allem aber der Ungeduld, mit der sie diese vertreten, und einer offenen, spontanen Ordnung zwingend Widersprüche gibt. Viertens erfolgt die Erosion der liberalen Ordnung durch die neuen «Ismen» schleichend, fast unbemerkt. Diese treten nicht mit dem Anspruch an, die bestehende Ordnung umzukrempeln; sie bewegen sich innerhalb der Ordnung. Und es geht fast immer um auf den ersten Blick legitime, wichtige Anliegen, zu deren Realisierung man leicht liberalen Boden preisgibt.

Aus diesen Gründen sind die neuen «Ismen» verführerisch und verlockend – selbst für manche Liberale. Die Finanz- und Wirtschaftskrise und die in ihrem Gefolge spriessende Systemkritik haben auch Freunde der Freiheit in ihrem Selbstbewusstsein geschwächt und nachlässig werden lassen gegenüber den Bedrohungen der Freiheit. Genau das aber braucht es gegenüber den neuen «Ismen»: klare Überzeugung und grosse Wachsamkeit.

Zugleich sollten Liberale die berechtigten Interessen dieser neueren Bewegungen ernst nehmen und in den Liberalismus integrieren. Sie sollten klarmachen, dass Liberale im Umweltschutz nicht die Anliegen als solche ablehnen, im Gegenteil, sondern nur die freiheitsbedrohenden, fundamentalistischen, manchmal fast totalitären Aspekte der Umsetzung. Liberale sollten keine Zweifel daran aufkommen lassen, dass der Vorwurf der sozialen Kälte an die Adresse des Liberalismus genauso absurd ist wie der Vorwurf der ökologischen Sorglosigkeit oder der Geringschätzung der Anliegen der Frauen. In einer freiheitlicheren Ordnung als den real existierenden westlichen Gesellschaften ginge es den sozial Schwachen besser, der Umwelt besser und den Frauen besser als heute. Allerdings steht in einer offenen, freiheitlichen Gesellschaft jedes Anliegen – ausser dem der Freiheit – im Wettbewerb mit anderen Anliegen, es lässt sich also nicht absolut setzen, wie dies die neuen «Ismen» tun.

Dieser Artikel erschien am 8. September 2012 in der Neuen Zürcher Zeitung.

Den Vortrag in seiner ganzen Länge finden Sie hier.