Eine extreme Folge falscher Geldpolitik: Hyperinflation in Ungarn 1946 (Quelle: Wikimedia Commons)

Eine extreme Folge falscher Geldpolitik: Hyperinflation in Ungarn 1946 (Quelle: Wikimedia Commons)

Der bekannte Chicago-Ökonom John H. Cochrane schrieb unlängst  «our views of central banks have changed every generation or so for centuries » (vgl. Wall Street Journal Europe vom  4.9.2012). Stehen wir heute wie vor über 40 Jahren wieder vor einer Wende, als eine Reihe von bekannten akademischen Ökonomen zu einem Angriff auf die damals herrschende keynesianische Doktrin ansetzte? Dieser sollte als «monetaristische Revolution» in die Dogmengeschichte eingehen.  Zu ihren Wortführern gehörten bedeutende Persönlichkeiten wie Karl Brunner, Milton Friedman, Harry Johnson, Alan Meltzer, um nur einige zu nennen. Sie stellten die Lehre von Keynes und seinen  Anhängern gleichsam auf den Kopf.  Konkret: sie interpretierten die Quantitätstheorie neu,  sie standen diskretionären Massnahmen generell skeptisch gegenüber, die von der Fiskalpolitik ausgehenden Wirkungen schätzten sie als gering ein.  Sie modellierten den geldpolitischen Transmissionsmechanismus wesentlich detaillierter als im schlichten IS-LM Rahmen, und sie zogen kleine Modelle grossen volkswirtschaftlichen Strukturmodellen vor.

Was nahm man damals als  junger Doktorand an der Universität St. Gallen aus dieser höchst spannenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung, die in Europa ihresgleichen suchte,  mit auf den Weg? Vereinfacht und verkürzt:

  1. Das volkswirtschaftliche Gesamtangebot ist stabiler als die volkswirtschaftliche Gesamtnachfrage. Denn  in der Realität  ist die Variationsbreite der hinter der Gesamtnachfrage stehenden Faktoren (vor allem die Geld-und Fiskalpolitik)  wesentlich breiter als diejenige der hinter dem Gesamtangebot stehenden Faktoren (Produktivität, Arbeitskräfte).
  2. Es braucht deshalb vor allem eine Kontrolle des Geldangebots, entweder über jährliche Geldmengenziele oder feste Regelbindungen. Inflation ist letztlich immer ein monetäres Phänomen.
  3. Die zentrale Aufgabe der Geldpolitik ist die Sicherung der Preisstabilität. Deshalb darf sie nicht mit weiteren Zielen überfrachtet werden (Tinbergen-Regel).
  4. Die Geldpolitik muss der Politik durch die Unabhängigkeit der Notenbank entzogen werden.
  5. Flexible Wechselkurse sind einem Festkursystem stabilitätspolitisch überlegen.

Die «Monetaristen» haben in der Folge nicht nur die geldtheoretische Forschung, sondern auch die Geld- und Wirtschaftspolitik stark geprägt.  Nach dem Zusammenbruch des  festen Wechselkurssystems von Bretton Woods fanden sie für ihre Vorstellungen und Empfehlungen vor allem in der Schweizerischen Nationalbank und der Deutschen Bundesbank offene Ohren.  Auch die US-Notenbank konnte sich dem Einfluss der «Monetaristen» nicht entziehen. Im Zuge der weiteren geldtheoretischen Fortschritte wurden später die Geldmengenziele durch Inflationsziele abgelöst und die Erwartungsbildung erhielt eine wichtige Rolle. Die Taylor-Rule fand in der Geldpolitik Eingang. Und ganz generell kamen die «Monetaristen» und «Keynesianern» einander  wieder näher, wie das heute dominierende Lehrbuch von Michael Woodford  «Interest and Prices. Foundations  of a Theory of Monetary Policy» zeigt.

Möglicherweise stehen wir aber heute wieder vor einer  geldpolitischen «Revolution», wenn man sich die «unkonventionellen» Massnahmen der Notenbanken zur Bekämpfung der Finanzkrise vor Augen  führt.  Das Mandat der Geldpolitik scheint zumindest beim FED und der Europäischen Zentralbank keine Grenzen mehr zu kennen. So wird munter mit dem «Konzept der optimalen Inflation» gespielt, wonach eine kontrollierte Inflation von 4% bis 5% nicht schädlich sei.  Die Geldpolitik wird als Stabilisierungsinstrument der Güter-, Arbeits- und Finanzmärkte betrachtet  und auch grosszügig eingesetzt.  Die Notenbank ist nicht mehr nur «lender of last resort» für Banken, sondern auch für Staaten, womit sie unweigerlich ins Schlepptau der Fiskalpolitik gerät.  Mit der Nullzinspolitik wird das Gespenst der finanziellen Repression, wonach die Nominalzinsen auf tiefem Niveau, aber immer unter dem Wachstum gehalten werden sollen, immer realer. Nicht umsonst macht in Deutschland die Rede von der Umstellung der EZB vom «deutschen» auf das «angelsächsiche Modell» die Runde.

Zwar mag die ultralockere Geldpolitik eine Verschnaufpause und Zeit bringen für die Sanierung der Staatshaushalte, strukturelle Reformen und die Rückkehr von Wachstum. Gleichwohl beschleichen einen ungute Gefühle, zumal die amerikanische Zentralbank den Zeithorizont ihrer ultraexpansiven Geldpolitik sehr weit spannt. Es ist nicht nur die Sorge über die Fehlleitung von Ressourcen, die Risiken der Fehlbewertung von Kapital, die Umverteilung zwischen Schuldnern und Gläubigern, sondern auch die Frage: Wie können die gewaltige Liquiditätsschwemme und die aufgeblähten Notenbankbilanzen wieder rückgängig gemacht werden, bevor der Schaden- durch Inflationsdruck und einen starken Anstieg der langfristigen Zinsen mit riesigen Vermögensverlusten für private und institutionelle Anleger – irreversibel wird?  William White, der frühere Chefökonom der BIZ, stellte unlängst  im geldpolitischen Mekka von Jackson-Hole lakonisch fest, dass sich die Zentralbanken mit der monetären Lockerung auf eines der grössten wirtschaftlichen Experimente eingelassen hätten. Die «Monetaristen» ebneten seinerzeit den Weg  für eine stabilitätsorientierte Geldpoltik. Wohin wird die heutige «unkonventionelle Geldpolitik» führen?