Wer die Deckungsgrade der 26 kantonalen Pensionskassen vergleicht, der erkennt ein klares Gefälle von Ost nach West. In der lateinischen Schweiz (FR, GE, JU, NE, VD, VS und TI) beträgt der Deckungsgrad per Ende 2011 im Durchschnitt 62%. Er ist damit um satte 30 Prozentpunkte tiefer als in den anderen Kantonen. Den tiefsten Wert weist der Kanton Genf mit 53% auf, den besten der Romandie findet man in Fribourg (77%). Am anderen Ende des Spektrums zeichnen sich die Kantone Appenzell (AR und Al) und Obwalden mit Deckungsgraden von über l00% aus. Die fehlenden Mittel für eine Vollkapitalisierung der kantonalen Kassen in Unterdeckung belaufen sich schweizweit auf 27 Mrd. Fr. Von diesem Betrag fallen 65% (16 Mrd. Fr.) in der lateinischen Schweiz an bei nur 30% der Bevölkerung.

Als Ausnahme in der Nordostschweiz mit ihren solideren Pensionskassen fällt nur der Kanton Zürich auf. Immerhin steht er mit einem Deckungsgrad von 83 Prozent noch besser da als der beste welsche Kanton. Die Bestechungsskandale bei der BVK werden jetzt (endlich) von der Justiz und der Politik aufgearbeitet sie sind aber, entgegen der verbreiteten Meinung, nicht direkt die Ursache für die schlechte Lage. Die ungetreuen Kassenverwalter verloren zwar mit ihren fragwürdigen Investitionen Vorsorgegelder in dreistelliger Millionenhöhe, in der Kasse fehlen aber 3,6 Milliarden Franken, und dies vorwiegend aufgrund politischer Fehlentscheide: Rund ein Drittel des Lochs kommt von den sogenannten «Beitragsferien» in den Jahren 1998 und 2001 aufgrund der vermeintlich glänzenden Performance an der Börse, ein weiteres Drittel von freiwilligen Teuerungszulagen bei den laufenden Renten zwischen 1995 und 2000 und das letzte Drittel von der Veränderung der technischen Grundlagen zwischen 2000 und 2002.

Die Frage, woher die Unterschiede bei den Deckungsgraden der kantonalen Pensionskassen kommen, lässt sich denn auch einfach beantworten: von der Politik. Alle kantonalen Pensionskassen unterstehen dem Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG). Ihre Einnahmen, primär die Höhe der Lohnbeiträge, und ihre Ausgaben, z.B. die Höhe der Renten oder die Möglichkeiten zur Frühpensionierung, sind jedoch im Pensionskassenreglement und manchmal auch in kantonalen Gesetzen festgelegt. Es sind also politische Entscheide in den Kantonen, die das Gleichgewicht zwischen Ein- und Ausgaben bestimmen.

Die tiefen Deckungsgrade in der lateinischen Schweiz reflektieren deshalb andere politische Prioritäten. Es ist in der Romandie schwieriger, das Thema «Vorsorge der Verwaltung» anzugehen. Die Gewerkschaften der öffentlichen Hand sind stark, und Streikdrohungen von Staatsangestellten gibt es am Genfersee häufiger als in der übrigen Schweiz. Regierungsräte können kaum auf eine Wiederwahl hoffen, wenn sie zu offensiv gegen ihre eigene Verwaltung vorgehen.

Die Politik kann und muss die Situation ändern. Die Bürger in der lateinischen Schweiz müssen erkennen, dass sie die desolate Situation ihrer kantonalen Pensionskassen nicht mit dem Privatsektor vergleichen müssen, sondern mit deren Pendants der öffentlichen Hand in der Ostschweiz. In der Deutschschweiz sollte man sich allerdings nicht zurücklehnen. Der Vergleich mit der Romandie darf nicht täuschen: Ganze drei kantonale Pensionskassen weisen einen Deckungsgrad von über wo% aus, von Wertschwankungsreserven, um einen allfälligen Börsencrash aufzufangen, ganz zu schweigen. Die Bürger müssen deshalb ihre Vertreter dazu bewegen, das Ausmass dieses Problems anzuerkennen und entsprechend zu handeln. Natürlich ist es für Politiker weniger attraktiv, sich für die Sanierung der Beamtenkasse statt für den Ausbau einer S-Bahn oder eines Stadions zu engagieren. Doch es ist unverantwortlich, die schwierige, aber notwendige Aufräumarbeit unseren Kindern zu überlassen.

Lesen Sie hierzu auch «Verjüngungskur für die Altersvorsorge».

Dieser Artikel erschien in der «Zürcher Wirtschaft» vom 18. Oktober 2012.