So sehr können sich die Geister scheiden. An der Buchvernissage zur jüngsten Avenir Suisse Publikation «Ideen für die Schweiz» wurde unter anderem der Vorschlag, die Unterschriftenhürden für die Einreichung von Initiativen und Referenden zu erhöhen, diskutiert. Beziehungsweise eben nicht, denn unter den vier Podiumsteilnehmern Pascal Couchepin, Andreas Spillmann, Jobst Wagner und Gerhard Schwarz war der Konsens für diese Massnahme so gross, dass eine richtige Diskussion darüber gar nicht erst aufkommen wollte.

Von der SP Schweiz hingegen wird der Vorschlag mit dem simplen Kommentar abgewatscht, es bestehe kein Anlass, die Volksrechte zu beschneiden, nur weil sie derzeit von den verschiedenen politischen Gruppierungen rege genutzt würden.

So knapp die SP-Kritik auch sein mag, sie irrt in zwei Punkten:

  1. Avenir Suisse will die Volksrechte nicht beschneiden, sondern sie effizienter einsetzen. Darum folgt auf Vorschlag Nr. 39 «Anpassung der Hürden für Volksinitiativen und Referenden» Vorschlag Nr. 40 «Das Volk als Schiedsrichter zwischen National- und Ständerat», der die Idee Michael Hermanns aufnimmt, Geschäfte, über die sich die beiden Parlamentskammern nicht einigen können, zukünftig dem Volk zur Abstimmung zu unterbreiten. Beide Vorschläge zielen darauf ab, den politischen Gesetzgebungsprozess zu optimieren, um die Reformfähigkeit der Schweiz zu erhöhen. Die Anhebung der Unterschriftenhürden bewirkt, dass es nicht mehr ganz so einfach wie heute ist, durch die blosse Androhung von Initiativen oder Referenden ganze Gesetzgebungsprozesse zu beeinflussen oder zu bremsen.  Das Volk als Schiedsrichter zwischen National- und Ständerat wiederum verhindert, dass wichtige Gesetzesvorlagen schon an der Uneinigkeit beider Parlamentskammern scheitern. Unter dem Strich resultiert aus beiden Vorschlägen keine Einbusse an direktdemokratischen Mitspracherechten.
  2. Dass die Volksrechte von den verschiedenen politischen Gruppierungen «rege genutzt» werden, ist nicht das Problem – bzw. es WÄRE nicht das Problem, wenn nämlich diese rege Nutzung auf ein gesteigertes Interesse an der Politik zurückzuführen wäre. In Wirklichkeit ist sie aber bloss das Resultat eines enormen «Preiszerfalls» für die Einreichung von Volksbegehren: Heute müssen 1,94% der Stimmberechtigten – also weniger als jede/r fünfzigste –  eine Initiative unterschreiben, damit Sie zur Abstimmung gelangt. 1848, in einer Zeit mit ungleich geringerer Mobilität und Kommunikationsmöglichkeiten, lag die Schwelle beinahe bei 10%. Diesem Rückgang der Partizipationshürden liegt kein expliziter politischer Wille zugrunde, sondern eine simple mathematische Tatsache: die ständig steigende Einwohnerzahl bei unveränderten, absoluten Unterschriftenhürden.

Oft wird argumentiert, eine Anhebung der Hürden schwäche vor allem die kleinen Verbände und wahre (breit abgestützte, aber schlecht organisierte) Bürgerinteressen. Das darf zumindest bezweifelt werden. Grössere Verbände können heute mit dem nötigen Geldeinsatz im Alleingang so gut wie jede Initiative oder jedes Referendum durchboxen, die Motivation der Unterschriftensammler wird mit Barem sichergestellt.  Die Anhebung der Hürden würde ein solches Vorgehen deutlich erschweren. Interessen, die WIRKLICH vom Volk getragen werden, liessen sich hingegen auch bei höheren Unterschriftenhürden noch mit relativ geringem Ressourceneinsatz durchsetzen.