Darf der Staat als Unternehmer tätig sein? Dass es problematisch sein kann, wenn sich öffentliche Unternehmen in privatwirtschaftlichen Märkten ausbreiten, darüber waren sich die Experten am siebten Wettbewerbspolitischen Workshop von Avenir Suisse einig. Heiss diskutiert wurde die Frage, welche Grenzen der staatlichen Beihilfe zu setzen seien.

7. Wettbewerbspolitischer Workshop von Avenir Suisse: Samuel Rutz, Johannes Reich und Oliver Stehmann (von links nach rechts)

7. Wettbewerbspolitischer Workshop von Avenir Suisse: Samuel Rutz, Johannes Reich und Oliver Stehmann (von links nach rechts)

«Der Grundkonsens über die Rolle des Staates ist leider etwas verloren gegangen»,  eröffnete Rudolf Minsch, Chefökonom von Economiesuisse, die abschliessende Podiumsdiskussion am jährlichen Wettbewerbspolitischen Workshop von Avenir Suisse im «Puls 5» in Zürich. Experten aus Wirtschaft, Universität und Verwaltung diskutierten die Folgen des wachsenden Engagements öffentlicher Unternehmen in der Privatwirtschaft. Warum dem so ist? «Durch die erfolgreiche Rettung der UBS fühlt sich der Staat erst recht befähigt, selber die Ärmel hochzukrempeln, statt sich streng an die Ordnungspolitik zu halten»: Rudolf Minsch befürchtet eine schleichende Verstaatlichung der wirtschaftlichen Aktivitäten in der Schweiz. Es gelte nun, den wirtschaftspolitischen Kompass wieder richtig zu stellen, denn die Schweiz sei nicht dank Subventionen und Industriepolitik reich geworden, die beide hohe Opportunitätskosten verursachten.

Unerwünschte Folgen des Steuerwettbewerbs

Für Johannes Reich, Assistenzprofessor für Staats- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich, sind es nicht zuletzt der Steuerwettbewerb und die Ökonomisierung der Verwaltung («New Public Management»), die die öffentliche Hand dazu verleiteten, unternehmerisch tätig zu werden. Am Lehrbuchbeispiel des Bundesgerichtsentscheides «Glarnersach» vom 2. Mai 2010 zeigte er, wie die Glarner Sachversicherung mit dem Monopol der obligatorischen kantonalen Gebäudeversicherung im Rücken ihre Geschäftstätigkeit zunehmend in andere Kantone und Sachgebiete ausdehnte. Die Expansion des Monopolisten wurde gleich dreifach demokratisch legitimiert: durch die glarnerische Landsgemeinde, die Kantonsverfassung und sogar die Bundesversammlung. Letztere hatte in der entsprechenden Klausel der Kantonsverfassung keinen Verstoss gegen Bundesrecht ausmachen können. Dieses Beispiel zeige exemplarisch die Problematik, die entstehe, wenn staatsnahe Unternehmen, die in einem Monopolbereich tätig sind, zu einem späteren Zeitpunkt expandieren und in Wettbewerb mit privatwirtschaftlichen Unternehmen treten.

Ein Subventionswettlauf ist kostspielig

7. Wettbewerbspolitischer Workshop von Avenir Suisse: Johannes Reich, Oliver Stehmann, Rudolf Minsch und Matthias Oesch (von links nach rechts)

7. Wettbewerbspolitischer Workshop von Avenir Suisse: Johannes Reich, Oliver Stehmann, Rudolf Minsch und Matthias Oesch (von links nach rechts)

«Nicht jede Beihilfe ist schlecht»: Oliver Stehmann von der Generaldirektion für Wettbewerb der EU-Kommission erklärte in seinem Referat, welche ökonomischen Abwägungen jeweils zum Entscheid führten, ob eine staatliche Beihilfe zulässig sei oder nicht. Es gebe Beihilfen, die erlaubt und deshalb von der Kosten-Nutzen-Prüfung ausgenommen seien – etwa gewisse regionale Förderprogramme, Restrukturierungen oder Bereiche von öffentlichem Interesse (Service Public).  Als unzulässig gelten Beihilfen dann, wenn sie den Wettbewerb erheblich einschränkten und die negativen Effekte überwiegten. Die EU-Beihilfekontrolle habe eine disziplinierende Wirkung auf die Ordnungspolitik der einzelnen Mitgliedsländer, die dadurch den früheren Zollschutz nicht einfach durch neue staatliche Unterstützungsmassnahmen wie vergünstigte Kredite, Exportrisikogarantien oder Steuererleichterungen ersetzen könnten. Denn ein derartiger Subventionswettlauf würde zu hohen Kosten für alle Beteiligten und für den Binnenmarkt führen.

Matthias Oesch, Professor für öffentliches Recht, Europarecht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Zürich, zeigte in seinem Vortrag auf, wie stark die Schweiz bereits heute staatsvertraglich akzeptierte Beihilferegimes beachten muss. Dies gelte insbesondere mit Blick auf das WTO-Recht und einzelne bilaterale Abkommen mit der EU (FHA von 1972, Luftverkehrsabkommen von 1999). Für Matthias Oesch ist klar, dass die EU auch bei den laufenden Verhandlungen über ein umfassendes Energieabkommen auf einer Übernahme des EU-Beihilferechts bestehen werde. Er äusserte die Vermutung, dass sich die Umsetzung des EU-Beihilferechts in diesem Bereich aufgrund der verschachtelten Eigentumsverhältnisse im Schweizer Energiemarkt zwischen privaten, halbprivaten und öffentlichen Unternehmen als kompliziert erweisen werde. Es sei durchaus denkbar, dass ein derartiges Beihilfeverbot auch in andere Gebiete «mäandrieren» könnte.

Welche Schranken für die öffentlichen Unternehmen?

Braucht die Schweiz ein Beihilfeverbot, wie es die EU kennt? Diese Frage sorgte für Diskussionen: Für die beiden Rechtsprofessoren Matthias Oesch und Johannes Reich reicht der bestehende gesetzliche Rahmen der Schweiz nicht aus, um wettbewerbsverzerrende Subventionen zu verhindern. Die Wirtschaftsfreiheit sei strukturell nicht in der Lage, die fehlenden Regeln auszugleichen. Rudolf Minsch wünscht sich ein Zurück zu einer sauberen Ordnungspolitik ohne neue Gesetze, da letztere, wie das Beispiel der EU zeige, mit grossem administrativen Aufwand und Kosten verbunden seien. Samuel Rutz von Avenir Suisse beendete die Podiumsdiskussion mit dem Fazit, dass man sich weitgehend einig sei über die Problematik der Ausbreitung öffentlicher Unternehmen in privatwirtschaftlichen Märkten. Die Diskussion darüber, welche Schranken diesen am besten zu setzen seien, müsste aber in nächster Zukunft noch aufgegriffen und weitergeführt werden.