Sieben Jahre nach Basel III sind die Banken nicht nur stärker reguliert denn je. Die staatlichen Aufsichtsbehörden und die Notenbanken, die genauso ihren Anteil an der Entstehung der Finanzkrise hatten, verfügen über zahlreiche neue Instrumente und Eingriffsmöglichkeiten. Dessen ungeachtet steht Basel III im Fadenkreuz der wissenschaftlichen Kritik. Diese fällt hart aus. Im Einzelnen geht es um die folgenden Punkte:

  • Basel III führe nicht nur die Mängel von Basel I und II mit dem Value at Risk als regulatorisches Standardmass weiter, sondern potenziere diese noch. Der Ansatz sei deshalb zu wenig streng, zu löcherig und intransparent. Zudem sei er von der Vorstellung besessen, dass sich alle Risiken wissenschaftlich ermitteln lassen, ohne zu sehen, dass sich die Risiken selbst ständig verändern.
  • Die Risikogewichtung der Banken erfolge z.T. willkürlich und sei politisch verzerrt. So müssten Staatsanleihen eigentlich ebenso risikogerecht mit Eigenkapital unterlegt werden wie andere Aktiva, würden aber heute z.B. in der Eurozone davon befreit. Unterschiedlich behandelt werden auch die «asset-backed securities», die in der EU durch die Lockerung der Bankunterlegung wieder belebt werden sollen. So sei der risikogewichtete Eigenkapitalstandard derart komplex geworden, dass die Einhaltung der Regeln von der Politik und der breiten Öffentlichkeit kaum noch verstanden, geschweige denn kontrolliert werden könne.
  • Selbst wenn das risikogewichtete Eigenkapital erhöht würde, bliebe das Problem der inhärenten Prozyklität (Bolton) bestehen. In guten Zeiten können Banken Kredite, Eigenkapital und Bilanzsumme problemlos ausweiten; in schlechten verhalte es sich gerade umgekehrt, mit negativen Folgen für die Banken selbst, die Wirtschaft und die Finanzstabilität. Mit dem antizyklischen Kapitalpuffer wird dem Problem wenigstens teilweise begegnet. Die Schweiz misst deshalb den sog. Cocos (convertible contingent bonds) zu Recht eine grössere Bedeutung bei, weil Banken dadurch gerade in dem Moment zu günstigem Eigenkapital kommen, wenn sie es am dringendsten benötigen.
  • Namhafte Wissenschafter (z.B.Admati/Hellwig, Fama) plädieren deshalb für eine viel stärkere Gewichtung der Leverage-Quote, weil der risikogewichtete Ansatz letztlich einem Mikromanagement der Banken gleichkomme. Es sei zudem «fundamentally misleading to express equity as a fraction of the bank’s assets» (Myerson). Eine Bank brauche Eigenkapital nicht für ihre Aktiva, sondern für ihre Verpflichtungen, um sich gegenüber ihren Gläubigern glaubwürdig zu machen. Deshalb müsste die Regulierung an der Finanzierungsseite ansetzen, weil die für die Solvenz der einzelnen Banken und die für die Systemstabilität wichtigen Verbundrisiken in erster Linie von der kurzfristigen Refinanzierung über den Interbankenmarkt abhängen. Sie schlagen deshalb u.a. Lenkungsabgaben auf dem kurzfristigen Fremdkapital vor, um die implizite Staatssubvention vor allem von Grossbanken einzuspielen und damit das «Too big to fail»-Problem in den Griff zu bekommen (Cochrane).

«Too big to fail» bleibt ein Thema

Die Tatsache, dass für Grossbanken ein Konkurs kaum möglich ist, weil das Risiko für das gesamte Finanzsystem zu gross ist, bleibt beim gegenwärtigen Stand von Basel III auf der politischen Agenda. Von den drei denkbaren Lösungsmöglichkeiten – Aufspaltung der Grossbanken, höhere Eigenkapitalanforderungen und ex-ante Festlegung der Grösse eines «bailouts» – ist die zweite die volkswirtschaftlich  überzeugendste, denn Politik und Verwaltung haben in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht über Geschäftsmodelle von Banken zu entscheiden. Zudem gerät die Politik sehr schnell in die Zeitinkonsistenz-Falle , indem sie nachträglich das macht, was sie vorher ausgeschlossen hat, so dass ex-ante Erklärungen in aller Regel wenig Glaubwürdigkeit haben.  Nur eine signifikant höhere Eigenkapitalquote zwingt Banken dazu, mit ihren Risiken sorgsamer umzugehen. Avenir Suisse hat in ihrem Ideenbuch eine mittelfristig anzustrebende Leverage-Quote von 10% vorgeschlagen. Damit  könnte die risikogewichtete Eigenkapitalkomponente vereinfacht und vielleicht später ganz aufgegeben werden.

Regulierung ist das Geschäftsmodell der Verwaltung

Die staatliche Verwaltung und die Aufsichtsbehörden leben von der Regulierung. Sie sind deshalb auf der Spielwiese der staatlichen Macht nicht einfach wohlwollende, nur am Gemeinwohl orientierte  Akteure, sondern sie haben auch ihre eigennützigen Interessen. Darauf ist es möglicherweise zurückzuführen, dass sie sich von der Wissenschaft nicht gerne stören lassen. Sie führen weitgehend ein Eigenleben. So stellt Roger B. Myerson in der Besprechung  des mittlerweile zum Standardwerk gewordenen Bestseller von Admadi/Hellwig  «The Bankers‘ New Clothes» ernüchternd fest, dass die Regulierungsbehörden «made very little use of outside professional advice from any social scientists».

Zwischenfazit

Verantwortung lässt sich in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht durch Regulierung ersetzen. Es braucht die entsprechenden Anreize, damit das zentrale Haftungsprinzip auch für Banken und ihre Eigentümer zur Anwendung kommt. Banken dürfen sich nicht darauf verlassen können, dass sie den Stresstest bestanden haben. Es braucht deshalb eine vernünftige Balance zwischen einer wirkungsvollen, einfachen und transparenten Regulierung und einem funktionierenden profitablen Finanzplatz. Eine Überregulierung fördert nicht nur die Organisation von  Interessengruppen  und «regulatory capture»), sondern führt immer auch zu Ausweichhandlungen der Regulierten.

Von den Banken werden derzeit wohl  zu viele Dinge verlangt, so dass es zwischen strengeren Regulierungen, neuen Abgaben (z.B. für einen Abwicklung- oder Prozessfonds,  eine Finanztransaktionssteuer) und  der Stärkung der Kapitalbasis unweigerlich zu Zielkonflikten kommt. Hinzu kommt nun noch, dass die Banken ebenfalls zur Abklärung der Steuerehrlichkeit von Kunden in die Pflicht genommen werden sollen.

Gleichzeitig steigt der administrative  Aufwand bei den Banken unaufhörlich. Der damit verbundene Kostenschub muss auch bezahlt werden, vor allem von den Aktionären und zuletzt von den Bankkunden und Anlegern. Das ist nicht nur rechtspolitisch, sondern auch aus strukturellen Gründen problematisch. Zum einen stellt sich zunehmend die Frage, was mit den Steuern eigentlich noch für staatliche Leistungen abgegolten werden. Zum andern können viele  kleinere Banken  den administrativen Aufwand kaum noch bewältigen, so dass sie entweder ausscheiden oder mit anderen Instituten fusionieren.

Es ist richtig und wichtig, dass die Banken für ihre rechtlichen Sünden bestraft werden. Zur Verantwortung müssen aber auch jene gezogen werden, die an Verfehlungen und Manipulationen beteiligt waren oder bei Kontrollen versagt haben. Gerne zieren sich heute Justiz- und Aufsichtsbehörden in der Öffentlichkeit mit hohen, kaum noch nachvollziehbaren Geldstrafen. Sie wollen damit  gegenüber den Banken nicht nur abschreckende Signale aussenden, sondern sich auch als harte Hüter des Gesetzes darstellen. Auf  diese Weise lässt sich leichter und besser vom eigenen Versagen ablenken.

Schliesslich ist auch die aktuelle ultraexpansive Geldpolitik für die Regulierungspolitik von Relevanz. Denn die Niedrigzinspolitik führt zu einer sinkenden Risikoaversion und begünstigt damit die Blasenbildung an den Finanz- und Immobilienmärkten. Sie trägt zudem zur Überschuldung bei und verzögert die Strukturanpassung mit negativen Folgen für die volkswirtschaftliche Produktivität.

Die Vorstellung, man könne Finanzstabilität allein durch Regulierung wieder herstellen, ist unvermindert stark. Die Regulierungsmaschinerie betrifft aber nicht nur den Finanzsektor. Er hat längst auch andere Politikfelder erfasst und droht, die persönliche und unternehmerische Freiheit zunehmend einzuschränken.  Deshalb wird sich Avenir Suisse in den nächsten Wochen und Monaten speziell mit dieser  Problematik befassen.

Weiterer Beitrag zu diesem Thema: 

Bankenregulierung ohne klare Perspektive  (1/2)