Informationsungleichgewichte stellen die klassische Begründung für die Notwendigkeit eines staatlichen Konsumentenschutzes dar, denn für die Konsumenten kann es mitunter schwierig sein, die Qualität eines Gutes oder einer Dienstleistung abzuschätzen. Zu denken ist etwa an Erfahrungs- und Vertrauensgüter, deren Qualität sich erst nach dem Konsum offenbart: Hält das Produkt – das Buch, der Film, die Flasche Wein etc. – was es verspricht? Ist die Genesung effektiv auf die Therapie zurückzuführen oder anderen Umständen zu verdanken? Überdies wird moniert, Konsumentscheidungen seien – als Kehrseite der Liberalisierung – in vielen Märkten komplexer geworden: Bündelungspraktiken (z.B. Telefonie, Internet und Fernsehen als Paket), verklausulierte juristische Sprache, unterschiedliche Typen von Verträgen und hohe Ausstiegskosten würden eine informierte Entscheidung oft erschweren. In der globalisierten Welt, so eine weitere Befürchtung, sei es zudem schwieriger, Informationen über Herkunft, Sicherheit, Produktionsbedingungen usw. eines ausländischen Produktes zu beschaffen.

Informationsprobleme rechtfertigen staatliche Interventionen kaum

Das Bestehen solcher Informationsprobleme darf allerdings keinesfalls als Persilschein für staatliche Interventionen verstanden werden. So gibt es etwa für alle Beteiligten starke Anreize, Informationsungleichgewichte auf privater Basis zu überwinden: Der seriöse Gebrauchtwagenhändler, der eine längere Garantie als marktüblich gewährt und damit ein «Qualitätssignal» aussendet, ist ein typisches Beispiel hierfür. Ebenso dient das von unabhängiger Seite überwachte Bio-Label dazu, dem Konsumenten zu signalisieren, dass das erworbene Produkt effektiv nach biologischen Standards produziert wurde. Auch die allenfalls zunehmende Komplexität von Konsumentscheidungen ist kein Argument für staatliche Marktinterventionen, denn die Digitalisierung der Gesellschaft hat die Konsumentensouveränität markant erhöht. Zwei Entwicklungen sind in diesem Kontext hervorzuheben:

  • Informierten sich die Konsumenten früher vor allem über Fernseh- und Radiosendungen sowie Printpublikationen, ist heute das Internet zu ihrer zentralen Informationsquelle avanciert (vgl. z.B. «The Consumer Barometer Survey»). Die Digitalisierung hat die Suchkosten für Informationen jeglicher Art massiv gesenkt und die Informationsdichte stark erhöht: Mittels einer einfachen Suchmaschinenanfrage lassen sich heute weltweit und in Echtzeit Konsumenteninformationen beschaffen. Das Internet deckt dabei die unterschiedlichsten Informationsbedürfnisse ab. Neben der Möglichkeit, sich über die Homepages von Produzenten und Vertreibern zu informieren, ist in den letzten Jahren ein eindrückliches Angebot an Vergleichs- und Ratgeberplattformen entstanden, die allgemeiner Natur, aber auch auf spezifische Bereiche und Themen zugeschnitten sein können (vgl. Abbildung). Über solche Plattformen lassen sich Preisvergleiche, Produktinformationen, Erfahrungsberichte, Kundenbewertungen etc. einsehen. Immer mehr entwickelt sich der Konsument überdies vom passiven Informationsrezipienten zum aktiven Informationsbeschaffer und -vermittler: In sozialen Netzwerken, Online-Foren oder Blogs werden Erst- und Zweitmeinungen ausgetauscht, Empfehlungen abgegeben und technische Debatten geführt.
  • Das Internet hat aber nicht nur Informationsungleichgewichte verringert, sondern stellt auch ein äusserst effizientes Disziplinierungsmittel dar: In der digitalisierten Welt ist «Schummeln» für die Unternehmen zu einer höchst riskanten Strategie geworden. Wer ertappt wird, muss mit dem Totalverlust seiner Reputation rechnen – die Fälle «Carne Grischa» (Falschdeklaration von Fleisch) und der Abgasskandal von VW sprechen für sich selbst. Ratgeberplattformen für Konsumenten

Die Auffassung, der Konsument stelle das schwächste Glied im Wirtschaftssystem dar und müsse vor Benachteiligung, Ausnutzung und Übervorteilung durch besser informierte Dritte bewahrt werden, stellte schon immer ein Zerrbild dar und entspricht in der heutigen Informationsgesellschaft erst recht nicht mehr der Realität. Gefährlich ist auch die Tendenz, die sich öffnende Rechtfertigungslücke für staatliche Interventionen im Konsumbereich mit dem Argument zu füllen, die Konsumenten seien mit der explodierenden Auswahl an Gütern und Dienstleistungen sowie der zunehmenden Informationsflut überfordert und müssten deshalb vom Staat (sanft) an die Hand genommen werden. Eine zeitgemässe Konsumentenpolitik sollte nicht auf Bevormundung, sondern auf die Stärkung von Wahlfreiheit und Eigenverantwortung setzen.

 

Weitergehende Informationen zum Thema finden Sie im avenir debatte «Gefährdete Konsumentenfreiheit».