In vielen Ländern – darunter in der Schweiz – fragte man sich in der Vergangenheit, was Regulierung kostet. Dazu wurden sogenannte Regulierungskostenmessungen durchgeführt. Resultat dieser Bemühungen sind Franken-, Euro- oder Dollarbeträge und Angaben in Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP), die als nüchterne Statistiken in den politischen Diskurs einfliessen. Doch das Eindampfen Tausender von Seiten an Regulierungen in eine einzelne Zahl täuscht über die Komplexität der Fragestellung hinweg. Am Anfang der Kostenmessung tun sich unweigerlich weitere Fragen auf: Wer ist von der Regulierung betroffen? Welche Pflichten ergeben sich aus den Regulierungen? Was für Kosten verursachen diese Pflichten? Welche Kosten sollen bzw. können überhaupt erfasst werden? Die Qualität der Kostenmessung hängt wesentlich von der Beantwortung dieser Fragen ab, weshalb viele Länder versucht haben, systematische Schätzmethoden für die Regulierungskosten zu entwickeln. In der kürzlich erschienenen Avenir-Suisse-Publikation «Auswege aus dem Regulierungsdickicht II», werden u.a. die von unterschiedlichen Ländern entwickelten Methoden zur Kostenmessung verglichen.

Vielzahl von Pflichten und Kosten

Die mit Regulierungen verbundenen Pflichten sind vielfältig (vgl. Abbildung). Ein paar Beispiele verdeutlichen dies:

  • Das Obligationenrecht verpflichtet Firmen, eine Rechnungslegung zu führen (Informationspflicht).
  • Wer in der Schweiz Autofahren möchte, benötigt einen gültigen Fahrausweis (Handlungspflicht).
  • Beim Bau eines Hauses auf eigenem Grund und Boden muss ein Grenzabstand zum Nachbarn eingehalten werden (Duldungspflicht).
  • Einem Anwalt ist es verboten, mit grosser Leuchtreklame für seine Kanzlei zu werben (Unterlassungspflicht).

Aus diesen Pflichten wiederum fallen für Unternehmen, Individuen und den Staat unterschiedliche Arten von Regulierungskosten an. Um bei den obigen Beispielen zu bleiben: Ein Unternehmen muss einen Buchhalter einstellen (Personalkosten); der künftige Autofahrer muss Unterricht nehmen (Sachkosten); ein Streit um den Grenzabstand kann zu einem Verzug beim Bau führen (Kosten aus Verzögerung); und der Anwaltskanzlei entgehen aufgrund schlecht sichtbarer Werbung Kunden (Opportunitätskosten). Regulierungen verursachen aber in den meisten Fällen nicht nur Kosten für die direkt Beteiligten, sondern auch für die gesamte Volkswirtschaft. So führt beispielsweise eingeschränkter Wettbewerb zu überhöhten Preisen für die Konsumenten. Diese Kosten zu schätzen, ist sehr anspruchsvoll, weshalb sie bei den meisten Regulierungskostenerhebungen ausgeklammert werden.

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Unterschiedliche Schätzmethoden

Angesichts der Vielzahl an unterschiedlichen Kosten war man in verschiedenen Ländern bemüht, allgemein akzeptierte Standards für die Erfassung von Regulierungskosten zu entwickeln. Als erstes entstand in den Niederlanden im Jahr 2003 das Standard-Kosten-Modell (SKM). Sukzessive adaptierten fast alle EU-15-Mitgliedstaaten das SKM. Auch die Schweiz führte ab 2007 mit Hilfe des SKM in mehreren Regulierungsbereichen Kostenschätzungen durch.

Das SKM erfasst nur die direkten Regulierungskosten, die den Unternehmen aus Informationspflichten erwachsen (vgl. Abbildung). Dieser enge Analyserahmen ist einerseits ein Vorteil (Einfachheit), andererseits hat er zur Folge, dass nur ein kleiner Teil der gesamten Regulierungskosten erfasst wird. Weiterentwicklungen des SKM, wie das im Jahr 2009 in Deutschland entwickelte Regulierungskostenmodell (RKM) oder das niederländische «compliance cost assessment» (CCA) definieren den Begriff der Regulierungskosten breiter. In der Schweiz wurde mit dem Regulierungs-Checkup im Jahr 2011 eine an das RKM angelehnte Berechnungsmethode eingeführt. Wie beim RKM werden Kosten aus Informations- und Handlungspflichten berücksichtigt. Im Unterschied zum RKM werden im Regulierungs-Checkup aber nur die direkten Kosten für Unternehmen erhoben. Indirekte Kosten und Regulierungskosten für die Volkswirtschaft oder die Bevölkerung werden also auch hierzulande nicht berücksichtigt.

Richtwerte statt harte Fakten

Was kostet nun Regulierung? Genau wissen wir das weiterhin nicht. Die Resultate der Regulierungskostenschätzungen geben aber immerhin gewisse Richtwerte vor. In Grossbritannien wurden die Informationskosten im Jahr 2006 auf 19,8 Mrd. £ oder 1,6% des BIP geschätzt. Basierend darauf sollen die gesamten Kosten der Regulierung rund 10 bis 12% des BIP betragen (124 bis 149 Mrd. £). In Deutschland ergab die Regulierungskostenschätzung im Jahr 2007, dass die Kosten aus Informationspflichten rund 49 Mrd. € betragen (1,9% des BIP).

Und in der Schweiz? Bisher fand noch keine systematische Erfassung der Regulierungskosten statt. Im Jahr 2013 wurden aber mithilfe des Regulierungs-Checkups die direkten Kosten für Unternehmen aus Informations- und Handlungspflichten in 12 Regulierungsbereichen quantifiziert (vgl. Bericht des Bundesrates über die Regulierungskosten, 2013). Diese Kosten, die einen Bruchteil der tatsächlichen Regulierungskosten ausmachen dürften, betragen 9,1 Mrd. Fr. (1,4% des BIP). Relativ gesehen befindet sich die Schweiz hinsichtlich direkter Regulierungskosten also im Umfeld von Grossbritannien und Deutschland.

Auch wenn die Berechnungsmethoden nicht alle Regulierungskosten in ihre Analyse miteinbeziehen: Die ausländischen Erfahrungen zeigen, dass eine standardisierte, verbindliche und von breiten politischen Kreisen akzeptierte Berechnungsmethode notwendige Voraussetzung für alle weiteren Bemühungen für bessere Regulierung ist. Erst wenn diese bekannt sind, kann über die Ausgestaltung von Reduktionszielen oder eine Regulierungsbremse diskutiert werden. Für die Schweiz bedeutet dies: Einer der ersten Schritte zu weniger Regulierung muss eine systematische Erhebung der Regulierungskosten sein.