Die meisten Industriestaaten haben einen «keynesianischen Endpunkt» erreicht. Drohende Staatsbankrotte und die Eurokrise werden dem Instrument der Schuldenbremse zum Durchbruch verhelfen. Dabei spielen die Schweiz und Deutschland eine wichtige Vorreiterrolle.

Angesichts der explodierenden Staatsverschuldung in Europa und den USA entwickelt sich die Schuldenbremse zum Exportartikel. Nachdem Deutschland sie 2009 im Grundgesetz verankerte, verfolgt die Bundesregierung – auch dank sprudelnden Steuereinnahmen – einen strikten Konsolidierungskurs. Auch vier Bundesländer haben inzwischen eine eigene Schuldenbremse in der Landesverfassung festgeschrieben und in weiteren gibt es hierfür konkrete Pläne. In Hessen wurde die Schuldenbremse sogar bei einer Volksabstimmung mit 70% Ja-Stimmen angenommen. In der Euro-Zone planen Italien und Frankreich dieses Instrument einzuführen und auch in den USA wird dies diskutiert. In Osteuropa haben bereits Polen, Bulgarien und Ungarn eine Schuldenbremse in ihrer Verfassung festgeschrieben.

Beeindruckende Trendwende

Die Erfolgsgeschichte dieses Instruments begann jedoch in der Schweiz, wo es 2001 in einer Volksabstimmung auf nationaler Ebene mit 85% Ja-Stimmen angenommen wurde und 2003 in Kraft trat. Auch mehrere Kantone haben eine eigene Schuldenbremse. Dank der dadurch erzwungenen Haushaltskonsolidierung während einer Wachstumsphase gelang es der Schweiz selbst in den Krisenjahren 2009 und 2010 Haushaltsüberschüsse zu erwirtschaften. Die Schweizer Staatsverschuldung relativ zum Bruttoinlandprodukt (BIP) reduzierte sich seit Einführung der Schuldenbremse von 55% (2003) auf unter 40% (2010). Damit gelang eine beeindruckende Trendwende, denn noch in den 1990er Jahren war die Schuldenquote der öffentlichen Haushalte in der Schweiz kontinuierlich von 32% (1990) auf 55% gestiegen (siehe Abbildung).

In vielen anderen Industrieländern hingegen stieg die Staatsverschuldung auch in den Boom­jahren weiter und als die Krise kam, gerieten die öffentlichen Haushalte gänzlich ausser Kontrolle. Im Jahr 2010 verstiessen sämtliche Euro-Staaten gegen die Regeln des Stabilitätspaktes. Inzwischen erscheinen sogar jährliche Budgetdefizite von über 10% des BIPs in Ländern wie den USA, Grossbritannien, Spanien oder Irland fast schon normal. Der Weltwährungsfonds schätzt, dass die durchschnittliche Schuldenquote in den Industrieländern von 78 Prozent (2007) auf 106 Prozent (2010) emporschnellte. In mehreren Staaten erscheint ein Staatsbankrott inzwischen möglich. Es wird vermutlich eine ganze Generation dauern, um die Schulden dieses Konjunkturzyklus wieder abzutragen.

Keynesianischer Endpunkt ist erreicht

Inzwischen haben die meisten Industrieländer eine «Schuldensätti­gung» bzw. einen «keynesianischen Endpunkt» erreicht. Bei der Verschuldung jenseits dieses Schwellenwertes – Rogoff und Reinhart schätzen ihn auf 90% Staatschulden relativ zum BIP – entfalten weitere Defizite eine toxische Wirkung. Erstens kommt es zu einer Spirale zwischen Zinslasten und Neuver­schuldung. So zahlt in Deutschland 2010 alleine der Bund über 40 Mrd. € Zinsen auf die Schulden der Vergangen­heit. In normalen Jahren fliesst die Neuverschuldung also quasi unmittelbar in den Schuldendienst. Zweitens steigen die Risikoprämien für Staatsanleihen rasant an, wie derzeit in den PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien). Drittens antizipieren Haushalte und Firmen wirtschaftliche Schwierigkeiten und höhere Steuern. Sie drosseln Konsum und Investitionen und neutralisieren so den Nachfrageimpuls höherer Staatsausgaben.

Eine verbindliche Schuldenbremse ist nicht nur ein geeignetes Instrument, um Erwartungen zu stabilisieren und diesen Teufelskreislauf zu durchbrechen. Sie scheint auch unabdingbar, um Regierun­gen zu einem nachhaltigen Haushalten zu zwingen. Die Kurzfristorientierung der Politik sorgt dafür, dass sich die Befürworter antizyklischer Fiskalpolitik immer nur während der Abschwung­phasen zu Wort melden. Wenn die Wirtschaft wieder wächst, wird das Prinzip des Antizyklischen rasch verges­sen, um weitere Schulden aufzutürmen. So gab es zwischen 1969 und 2007 fast 40 Jahre lang über alle Konjunkturzyklen hinweg keinen einzigen ausgeglichenen Bundeshaushalt – von Überschüssen in guten Zeiten ganz zu schweigen. Auch die Demontage des Stabilitätspaktes auf europäischer Ebene zeigt, dass man Regeln für nachhaltige Haushaltspolitik nicht den Politikern überlassen kann.

Einen ähnlich schmerzhaften Lernprozess hat man auch in der Geldpolitik durchlaufen. Nachdem die Politik in den 1970er Jahren kurzfristige Wachstumsimpulse immer wieder durch langfristige Inflation erkaufte, entschloss man sich, ihr dieses Instrument zu entziehen. Heute würde niemand mehr vom Grundsatz her die Unabhängigkeit der Zentralbanken in Frage stellen. In der Fiskalpolitik gibt es einen analogen Trade-off, und auch hier hat die Politik immer wieder kurzfristige Wahlgeschenke auf Kosten zukünftiger Generationen finanziert. Dieses strukturelle Problem lässt sich nur durch eine Schuldenbremse – oder aber durch einen wirklich wasserdichten Stabilitätspakt auf europäischer Ebene – lösen. Die Schweiz hatte das Glück, dieses Instrument vor der Krise einzuführen. Auch in Deutschland geniesst die Schuldenbremse inzwischen parteiübergreifenden Zuspruch. Vermutlich wird die aktuelle Staatsschuldenkrise diesem wichtigen Instrument auch in anderen Ländern zum Durchbruch verhelfen.

Dieser Artikel ist die Aktualisierung eines am 1. November 2010 in der
Financial Times Deutschland publizierten Beitrags. Aus Anlass des bevorstehenden
Zermatter Symposiums wurde er hier nochmals veröffentlicht.