Auf die Beziehung zwischen dem grossen Bruder Deutschland und dem kleinen Bruder Schweiz warf beim Zermatter Symposium ein Österreicher einen Blick von aussen: Der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sprach über gute Nachbarschaft.

«Nachbarn können sehr mühsam und anstrengend sein», betonte Schüssel. «Und Nachbarn sind sich auch zu nahe: Fernsehen ist viel interessanter als Nahsehen, bei dem man auch jede Falte sieht.» Dazu komme der Neid unter Nachbarn: Die Schweiz gelte als Eldorado, das keinen Weltkrieg durchgemacht und nie sein Geld verloren habe, «eine Freizone gewissermassen». Dieses Bild habe seinen wahren Kern, die Schweiz müsse sich mit ihrem Image in den internationalen Medien auseinandersetzen: «Der Druck hilft, Gerechtigkeit herzustellen.»

Grosse Bedeutung für grossen Nachbarn

Dem kleinen Bruder Schweiz stehe der grosse Bruder Deutschland gegenüber, mit einem unbefangeneren Selbstbewusstsein vor allem bei der jungen Generation: Gemäss Umfragen meinen 66% der Deutschen, ihr Land spiele eine grosse Rolle in der Welt. Aber trotz des Grössenunterschieds habe die Schweiz ihre Bedeutung für Deutschland, so kaufen die knapp 8 Millionen Schweizer gleich viel an deutschen Exporten wie die 1,3 Milliarden Chinesen.

«Die kleinen und die mittleren Länder können keine spezielle Rolle spielen», betonte der ehemalige Regierungschef. Sie genössen dafür eine grössere Freiheit, weil sie nicht unter so starker Beobachtung stünden: Die Schweiz nutze diese Freiheit beispielsweise als Friedensstifterin im Kaukasus. Aber die Kleinen müssten gegenüber den anderen Ländern auch mehr Interesse zeigen. So sollten Deutschland, Österreich und die Schweiz als erfolgreiche Exportnationen in grösseren Zusammenhängen denken und gemeinsam eine kluge Aussenpolitik betreiben. «Warum machen wir nicht miteinander unser erstklassiges duales Berufsbildungssystem zum Exportschlager?»

Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel

Schweiz ist Passivmitglied der EU geworden

Der Gast aus Österreich redete den Gastgebern aber auch ins Gewissen. «Der EWR wäre für die Schweiz ideal gewesen», meinte Schüssel, «der Sonderweg stösst an Grenzen.» Es sei eine Illusion zu glauben, man könne eine Sonderstellung bekommen: «Für mich ist die Schweiz ein Passivmitglied der EU geworden – und sie hat sich entschlossen, den Preis dafür zu bezahlen.»

In der Diskussion wurde Schüssel – nicht von einem Schweizer – gefragt, ob Österreich 1995 nicht gescheiter der Schweiz statt der EU beigetreten wäre. Der Ex-Bundeskanzler lachte nur: «Ihr täts schön schauen – wir hätten die Schweiz verösterreichert.»

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