Unsere Analyse zu den Auswirkungen einer möglichen Übernahme der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) hat in der Schweiz für Gesprächsstoff gesorgt. Das ist erfreulich, denn unsere Berechnungen zeigen erhebliche Mehrkosten für die Schweizer Wirtschaft – und das in einer ohnehin angespannten Lage, in der neue US-Zölle zusätzlichen Druck und Unsicherheit schaffen.
In der Diskussion sind verschiedene Fragen aufgekommen: zur Kostenschätzung, zum möglichen Nutzen und zu den Optionen, die der Schweiz offenstehen. Hier beantworten wir die fünf häufigsten:
1. Ist unsere Kostenschätzung von 1,7 Milliarden Franken realistisch?
Die 1,7 Milliarden Franken beziehen sich auf die Gesamtkosten. Rechnet man «nur» die Mehrkosten einer Einführung in der Schweiz, bleiben rund 1 Milliarde Franken. Denn knapp 700 Millionen Franken fallen bei Schweizer Unternehmen mit EU-Geschäft oder Niederlassungen sowie als Zulieferer ohnehin an, da sie sich an die EU-Richtlinie halten müssen – unabhängig davon, ob sie hierzulande übernommen wird.
Die Regulierungsfolgenabschätzung des Bundes schätzt diese Mehrkosten beispielsweise auf 620 Millionen Franken (bzw. 907 Millionen nach alten Schwellenwerten). Der Unterschied zu unseren Zahlen erklärt sich durch eine leicht unterschiedliche Methodik und teilweise andere Kostensätze, die wir gestützt auf Gespräche mit Unternehmen und Fachleuten gewählt haben. Alle diese Parameter sind in der Studie auf Seite 6 ausgewiesen.
Für die politische Debatte entscheidend bleibt die Grössenordnung: Alle uns bekannten Studien zeigen jährliche Mehrkosten im Bereich von mindestens einem hohen dreistelligen Millionenbetrag. Dieses Geld fehlt Unternehmerinnen und Unternehmern dann bei Investitionen und Innovationen.
2. Blenden wir mit unserer Analyse den Nutzen von Nachhaltigkeitsberichten nicht zu stark aus?
Der Fokus unserer beiden Studien liegt tatsächlich auf der Berechnung der Kosten. Wir haben die gesamten Regulierungskosten im Bereich ESG-Berichterstattung analysiert. Beim Nutzen ist die Lage anders: Der konkrete Mehrwert von Berichtspflichten lässt sich nur schwer quantifizieren – wie auch der Bundesrat in seinem Bericht betont. Gerade in einer Zeit, in der die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz unter Druck steht und andere Länder aktiv Bürokratie abbauen, muss aus unserer Sicht der Nachweis des Nutzens neuer, kostspieliger Regulierung klar beim Regulator liegen.
3. Kann sich die Schweiz der ESG-Regulierung der EU überhaupt entziehen?
Es stimmt, dass grosse international tätige Schweizer Unternehmen die EU-Vorgaben bereits heute einhalten müssen. Unsere Berechnungen zeigen jedoch: Eine Übernahme in der Schweiz würde deutlich mehr Unternehmen direkt erfassen – auch zahlreiche KMU, die bisher keine solche Berichte schreiben mussten.
Dieses regulatorische Vorgehen ist nicht zwingend, denn eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Übernahme der EU-Berichtspflicht besteht nicht. Die Schweiz könnte alternative Wege wählen, etwa die Anerkennung internationaler Standards im Inland, ohne automatische Übernahme ins nationale Recht. Genau das schlagen wir in unserer Analyse auch vor.
Damit würde auch das Problem entschärft, dass die Schweizer Regulierung laufend angepasst werden müsste: Derzeit wird sie in Brüssel im Rahmen des angekündigten Bürokratieabbaus bereits wieder überarbeitet.
4. Ist die EU-Richtlinie wirklich so umfangreich und komplex?
Ja. Die EU-Richtlinie ist mit hunderten Indikatoren und detaillierten Offenlegungspflichten eine der umfangreichsten Regulierungen im ESG-Bereich. Deshalb wurde sie auch parteiübergreifend in Europa kritisiert; so etwa vom damaligen deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck, der die Vorgaben als überbordend bezeichnete. Und auch der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, nannte die Regulierungsdichte im ESG-Bereich in seinem Bericht ein ernsthaftes Wachstumshemmnis für Europa. Besonders KMU würden durch indirekte Kosten belastet – worauf auch unsere Analyse zur Schweiz hinweist.
Entsprechend hat die EU-Kommission im Februar 2025 das «Omnibus»-Paket vorgelegt: Der Zeitplan soll verschoben, die Schwellenwerte für betroffene Firmen angehoben, die Anforderungen an Zulieferer begrenzt, die sektorspezifischen Standards gestrichen und die Europäischen Berichtsstandards (ESRS) verschlankt werden. Der Vorschlag befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren. Der Rat der EU hat bereits eine noch weitergehende Lockerung vorgeschlagen, das Parlament muss seine Position erst noch festlegen.
5. Sind wir nicht zu kritisch gegenüber der ESG-Berichterstattung?
Transparenz hat unbestritten einen Wert. Informative und fundierte ESG-Berichte können für Investoren wichtige Informationen liefern und das interne Risikomanagement verbessern. Zudem hat Transparenz einen gesellschaftlichen Nutzen: Sie schafft Vertrauen, ermöglicht Vergleichbarkeit und damit die Wahlmöglichkeit anhand von Nachhaltigkeitsfaktoren. Entsprechend berichten viele Unternehmen schon heute freiwillig und engagieren sich in Initiativen.
Die entscheidenden Fragen sind jedoch:
- Wie gross ist der Nutzen der heutigen Berichterstattungspflicht für die Gesellschaft tatsächlich?
- Wie stark steigt er mit dem Ausbau der Berichtspflichten?
Bei beiden Fragen tappt der Regulator derzeit im Dunkeln. Die Schweiz hat im Nachgang zur Konzernverantwortungsinitiative eine eigene Berichterstattungspflicht eingeführt. Diese ist erst seit 2024 in Kraft und wurde bisher nicht evaluiert. Bevor man nachschärft, sollten die bestehenden Erfahrungen sorgfältig ausgewertet werden.
Nicht überraschend ist auch der konkrete Nutzen zusätzlicher Berichtspflichten bislang nicht ausreichend belegt. Schon die Regulierungsfolgenabschätzung des Bundes zum Nachvollzug der EU-Richtline hält fest, dass zwar Kosten geschätzt werden können, der Nutzen aber offen bleibt.
Genau hier sollte die Politik künftig ansetzen. Denn Nachhaltigkeit ist weit mehr als eine reine Compliance-Aufgabe. Wirksam wird Berichterstattung erst dann, wenn sie nicht Selbstzweck bleibt, sondern echten Erkenntnisgewinn schafft, Verhaltensänderungen bewirkt und letztlich zu konkreten Verbesserungen führt. Eines ist klar: Mehr Berichtsseiten bedeuten nicht automatisch mehr Nachhaltigkeit.