Der Bundesrat hat den vom Schweizerischen Arbeitgeberverband und den Gewerkschaften erarbeiteten Kompromiss zur BVG-Reform in die Vernehmlassung gegeben. In Anbetracht der zahlreichen Alternativen, die seitdem vorgestellt wurden – so etwa die Vorschläge des Schweizerischen Gewerbeverbands SGV, des Schweizerischen Pensionskassenverbands Asip oder das vom Schweizerischen Baumeisterverband, der Swiss Retail Federation und den Arbeitgebern Banken unterstützte Modell – scheint der bundesrätliche Vorschlag wenig zu begeistern. Bei so vielen Optionen braucht es ein wenig Lesehilfe.

Drei Analysekriterien

Als erstes gilt es sich darüber im Klaren zu sein, welches Ziel verfolgt wird. Fast alle Vorschläge zielen darauf ab, den Mindestumwandlungssatz zu senken und diese Senkung durch Massnahmen zur Erhaltung der Rentenleistungen zu kompensieren. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob wirklich nur der Erhalt der Leistungen oder ein allgemeiner Leistungsausbau erreicht würde. Die Gefahr eines zusätzlichen Ausbaus besteht tatsächlich, wenn man um jeden Preis versucht, die Rentenverluste für alle Versichertenkategorien zu kompensieren, also auch für diejenigen Versicherten, die noch 25 Jahre oder mehr einer kaum voraussehbaren beruflichen Laufbahn vor sich haben.

Ein zweites Kriterium ist die Bewahrung des Drei-Säulen-Konzeptes. Dies ist kein politisches Dogma, sondern ein Gebot, wenn wir die Risiken der Altersvorsorge diversifizieren wollen: Die 1. Säule ist den Risiken der Schweizer Wirtschaft und der demografischen Alterung der Schweizer Bevölkerung unterworfen, die 2. und die 3. Säule denjenigen der internationalen Märkte. Der Vorschlag, auf unbestimmte Zeit eine durch Umverteilung finanzierte Zusatzrente von monatlich 100 bis 200 Franken einzuführen, läuft dieser Diversifizierung zuwider.

Und schliesslich dürfen auch die Kosten nicht ausser acht gelassen werden. Zwar ist klar, dass, wo gehobelt wird, Späne fallen, und die Reform den Einsatz erheblicher Mittel erfordert. Aber ein Anstieg der Lohnkosten könnte auch die Arbeitslosenquote in Branchen mit geringer Gewinnmarge in die Höhe treiben. Es darf nicht vergessen werden, dass die beste Form der Altersvorsorge darin besteht, seinen Arbeitsplatz behalten zu können.

Noch ein politischer Parameter?

Die Kosten der Reform werden auch von den Mitteln abhängen, die für die Übergangsgeneration eingesetzt werden. Höhere Lohnbeiträge werden nicht ausreichen, um die Renten der kurz vor dem Altersrücktritt stehenden Menschen zu erhalten, es braucht eine solidarisch finanzierte Lösung. Dies ist auch der Weg, um sich die Zustimmung der vielen Babyboomer zu sichern, die über die Reform abstimmen werden. Mit der Einführung eines Rentenzuschlags wäre dieses Ziel erreicht. Die Massnahme muss jedoch zeitlich begrenzt sein und darf nicht vom Ermessen des Bundesrats abhängen, denn sonst würde ein weiterer politischer Parameter in das BVG eingebaut.

Mit einer technokratischen Reform rund um den Umwandlungssatz, die Altersgutschriften oder den Koordinationsabzug wird man die Massen nicht mobilisieren. (Ryoji Iwata, Unsplash)

Es braucht eine soziale Komponente

Mit einer rein technokratischen Reform rund um den Umwandlungssatz, die Altersgutschriften oder den Koordinationsabzug wird man die Massen kaum mobilisieren können. Die Debatte muss deshalb auf die Ebene von unbestrittenen Solidaritätsprinzipien gehoben werden. So muss die Solidarität zwischen Erwerbstätigen und Rentnern in beide Richtungen funktionieren: Beide Versichertengruppen haben Anrecht auf vergleichbare Erträge. Die vorgeschlagenen Anpassungen sollen dieses Gleichgewicht wiederherstellen.

Ebenso wichtig ist der Einbezug einer sozialen Komponente, zum Beispiel um niedrige Löhne und Teilzeitarbeit – eine Realität für viele unserer Mitbürger und noch mehr Mitbürgerinnen – besser abzusichern. Die bevorstehende Reform dürfte mehr Unterstützung erfahren, wenn sie nicht nur den Bedürfnissen der Pensionskassen, sondern auch denen der Begünstigten Rechnung trägt.

Die Varianten auf dem Tisch zeigen, dass es unterschiedliche Lösungen gibt. Der Bundesrat wäre gut beraten, diese Vielfalt zur Kenntnis zu nehmen. Behauptungen wie «Der Vorschlag der Regierung ist das einzige gangbare Modell» oder «Es gibt keinen Plan B» rufen bei den Bürgern Abwehrreflexe hervor, auf solche Nötigungsversuche reagieren sie meist extrem allergisch.

Der von den Sozialpartnern ausgearbeitete und vom Bundesrat übernommene Kompromiss ist ein wichtiger Schritt im demokratischen Entscheidungsfindungsprozess, kann ihn jedoch nicht ersetzen. Weder auf der linken noch auf der rechten Seite werden die Parlamentarier bereit sein, dieses umstrittene Projekt einfach kommentarlos abzusegnen. Der Bundesrat hat bei der Auswertung der Resultate aus der Vernehmlassung die Pflicht, die Vorteile aller zur Diskussion stehenden Modelle hervorzuheben. Den Politikern obliegt es, diese dann intelli­gent in die Reform zu integrieren.

Dieser Text in der «Schweizer Personalvorsorge», Ausgabe 3/20, erschienen.