Am 1. August bemühen viele Redner das Begriffspaar von  «Anpassung und Widerstand», meist um dann den Widerstandswillen der Schweiz in der Vergangenheit zu würdigen und in der Gegenwart einzufordern. Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel schreibt im Editorial der letzten Ausgabe seiner Zeitschrift dazu die bemerkenswerten Sätze  «Die Schweizer haben sich jahrhundertelang ihren Umgebungen angepasst, sich dies aber nie offen eingestanden, sondern eine Rhetorik des Widerstands und Eigensinns gepflegt. Wir sind Weltmeister der Anpassung und Weltmeister in der Verdrängung derselben.» Der Widerstand wäre also gar nicht reell, sondern bloss ein Bild, das kaschieren soll, dass wir uns ständig anzupassen haben.

Allerdings stellt sich unmittelbar die Frage: Warum dieses schizophrene Verhalten? Wieso wollen oder können wir der Realität nicht in die Augen schauen? Die These sei hier gewagt: Es liegt nicht an den Bürgern. Diese merken sehr wohl, wie die Globalisierung mit ihren vielfältigen, mächtigen Wirkungen voranschreitet, denn sie sind praktisch täglich mit diesen konfrontiert. Nein, das Problem liegt bei den Eliten in Politik und Wirtschaft.

In der Politik gleist zwar besonders der Bundesrat in letzter Zeit Reformen auf, erklärt diese aber selten in einer Weise, die den globalen Wandel in einem positiven Licht erscheinen lässt. Eher wirkt es so, als würde ihm der Reformwille aufgedrängt, als sei der Status quo der bestmögliche Zustand. Die Parteien dagegen widmen sich vor allem dem täglichen Schlagabtausch in den Medien, sind aber nicht fähig oder willens, die nächsten politischen Geländekammern zu beschreiben und längerfristige Lösungen vorzuzeichnen.

Die Wirtschaftsführer, besonders die sogenannten Expats als Ausdruck der Globalisierung, helfen auch nicht weiter. Sie hätten als Weltbürger zwar ein entsprechendes Wissen und könnten mit ihrem Erfahrungsschatz die politischen Debatten erweitern und befruchten, beteiligen sich aber wenig an der Diskussion über die Zukunft der Schweiz. Sie sind vor allem dann in den Medien präsent, wenn es um ihre persönlichen Interessen, sprich: ihre Saläre, geht.

Politik und Wirtschaft müssen sich ändern

Es rächt sich, wenn sowohl der Bundesrat als politische Elite als auch führende Persönlichkeiten der Wirtschaft die Anpassung der Schweiz an die Erfordernisse der globalen Welt nicht thematisieren wollen oder können. Es geht darum, positive Perspektiven aufzuzeigen. Die Glorifizierung des Status quo sollte durch den Entwurf eines zukunftsgerichteten Wandels abgelöst werden, dem Bild einer Schweiz in Bewegung.

Die Beschreibung eines solchen zukunftsgerichteten Wandels ist im Moment eine Leerstelle. Das wirft kritische Fragen auf:

  1. Warum ist die schweizerische Politik nicht fähig und willens, die nächsten politischen Geländekammern adäquat zu beschreiben und in einer positiven Sprache des Wandels und Fortschritts zu vermitteln? Fehlen uns international weit vernetzte und denkende Politiker? Wenden sich solche global denkende Menschen wegen der erforderlichen «Ochsentour» von der Politik ab? Kommen mit anderen Worten die «Globalisierten» der Politik abhanden?
  2.  Und warum beteiligen sich die Wirtschaftsführer, auch die Expats, so wenig an der schweizerischen Debatte? Sie könnten mit ihren Erfahrungen als weitgereiste, in der Globalisierung und der Interkulturalität verhaftete Menschen die Schweiz weiterbringen. Ist es Scheu, sich einzumischen, zumal, wenn sie nicht hier geboren und aufgewachsen sind? Ist es das Gefühl, nicht verstanden zu werden? Oder ist es vielleicht doch mangelndes Interesse?

 Absagen an eine globalisierte Schweiz

Wir stimmen in nächster Zeit über mindestens fünf Vorlagen ab, die einer globalisierten Schweiz eine Absage erteilen (1:12-Initiative, Mindestlohninitiative sowie voraussichtlich drei Abstimmungen, die die Personenfreizügigkeit mit der EU in Frage stellen). Die Bevölkerung soll dazu gebracht werden, ein Unbehagen in Bezug auf die Globalisierung auszudrücken. Es sind eigentliche Widerstandsinitiativen gegen eine globale Schweiz.

Gäbe es eine für die Bevölkerung stimmige Beschreibung einer Schweiz im Wandel, einer Schweiz in Bewegung, von Wirtschaft und Politik getragen, würden uns die Abstimmungen höchstens ein müdes Lächeln entlocken – zu offensichtlich erschienen die vorgeschlagenen Lösungen als Irrwege. Nur leider ist diese Beschreibung eines positiven Wandels ein Vakuum, und die Anhänger einer rückwärtsgewandten, nicht global orientierten Schweiz füllen dieses bei den fünf Abstimmungen mit ihren eigenen, nicht einlösbaren Versprechen liebend gerne aus.

Wenn es den liberalen, zukunftsoffenen Kräften in der Politik und in der Wirtschaft nicht gelingt, mit grossem Engagement, mit Glaubwürdigkeit und mit Kompetenz die grosse Zukunft einer Schweiz in Bewegung, einer Schweiz in einer globalen Welt stimmig aufzuzeigen, werden sie diese Abstimmungen nicht oder höchstens in Teilen gewinnen. Darum ist zu wünschen, dass all jene, die im Stand sind, den Wandel der Schweiz Richtung Dynamik, Offenheit und Flexibilität positiv zu würdigen, sich auch deutlich und kraftvoll zu Wort melden – nicht nur am 1. August.