Die Heiratsstrafe ist ein Dauerbrenner der Schweizer Steuerpolitik – ein Dauerbrenner, der meist auf Sparflamme gehalten wird; auf Bundesebene geniessen andere Dossiers wie die Reform der Unternehmenssteuern eine höhere Priorität. Doch hin und wieder flammt das Thema auf, wie kürzlich, als die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) neue Schätzungen veröffentlichte, die höhere Zahlen von steuerlich benachteiligten Ehepaaren als zuvor ausweist. Nach dieser Schätzung haben 750’000 Ehepaare bei der direkten Bundessteuer einen steuerlichen Heiratsnachteil, während 767’000 keinen Nachteil oder sogar einen Vorteil davontragen.

Dies wurde von Teilen der Politik schlecht aufgenommen. So hat die CVP gleich mehrere Abstimmungsbeschwerden eingereicht: Sie ist der Meinung, dass mit einer «korrekten Faktenlage» das Ergebnis der Abstimmung zur Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» im Februar 2016 anders ausgefallen wäre. Doch wie wird die Heiratsstrafe gemessen? Und wie «korrekt» und umfassend ist die gegenwärtige Faktenlage?

Hypothetischer Vergleich

Um diese Frage zu beantworten, muss vorerst geklärt werden, was man unter Heiratsstrafe versteht: In der Schweiz werden Ehepaare gemeinsam veranlagt. Folglich entsteht ein Heiratsnachteil bzw. -vorteil, wenn die Steuerrechnung eines verheirateten Paares höher oder tiefer ausfällt, als wenn das Paar hypothetisch individuell besteuert würde. Die Höhe dieser Vor- und Nachteile ist nicht aus den Steuererklärungen direkt ersichtlich; vielmehr muss sie geschätzt werden. Dabei müssen eine ganze Reihe von Annahmen getroffen werden, sowohl über die finanzielle Situation der Haushalte (die Datenlage in der Schweiz ist diesbezüglich dürftig) als auch über das Steuersystem. Zum Beispiel:

  • Aufteilung des Lohneinkommens: Wie ist das Einkommen innerhalb des Haushaltes verteilt? Die ESTV geht pauschal davon aus, dass 70% des steuerbaren Haushaltseinkommens auf den einen Ehepartner anfällt, 30% auf den anderen.
  • Übrige Einkommensquellen: Wie soll das gemeinsam erzielte Vermögenseinkommen (beispielsweise die Eigenmiete aus dem Eigenheim) und andere Einkommensquellen auf die Ehepartner aufgeteilt werden?
  • Abzüge: Wie sollen gemeinsame Abzüge, beispielsweise der Kinderabzug oder der Abzug für die Drittbetreuung der Kinder, den einzelnen Elternteilen zugewiesen werden? Hat die Zuweisung proportional zum Einkommen zu erfolgen, oder werden die Abzüge – wie von der ESTV angenommen – je hälftig aufgeteilt?
  • Erhaltene Sozialleistungen: Sozialleistungen, beispielsweise die Prämienverbilligungen der obligatorischen Krankenversicherung, sind oft vom Zivilstand abhängig. Diese Leistungen müssten zur Bestimmung der Heiratsstrafe ebenfalls unter den Paar aufgeteilt werden.

Was ist unter Heiratsstrafe zu verstehen? – Sicher ist, dass die Mehrheit der Steuerpflichtigen von einem Heiratsbonus profitiert. (Fotolia)

Die Krux mit dem Elterntarif

Dass diese Annahmen keineswegs belanglos sind, zeigt gerade die jüngste Auswertung der Steuerverwaltung. Über die Hälfte der von der ESTV neu ausgewiesenen benachteiligten Ehepaare mit Kindern (185’000 von 306’000) gehen auf die Annahme zurück, dass Ehepaare mit Kindern – wenn sie hypothetisch individuell besteuert werden würden – vom Elterntarif profitieren könnten (siehe Box am Schluss des Beitrags).

Diese Annahme ist aber zumindest diskutabel. Nicht von ungefähr bezeichnet die ESTV die Tatsache als «systemfremd», dass gewisse Konkubinatspaare mit Kindern vom Elterntarif profitieren: Dieser Tarif war zur Entlastung der Einelternhaushalte eingeführt worden, eine Kategorie mit erhöhtem Armutsrisiko. Doch bei der Schätzung der Heiratsvor- und -nachteile wendet nun die ESTV pauschal den Elterntarif auf sämtliche Elternhaushalte an, was die Anzahl der benachteiligten Haushalte stark erhöht. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass in Wirklichkeit nur eine kleine Minderheit der Eltern mit minderjährigen Kindern (je nach Datenquelle sind es 5% bis 10% Prozent der Elternhaushalte) im Konkubinat lebt – trotz hypothetischem Steuervorteil.

Alternativer Ansatz

Wichtiger noch als der Vergleich von hypothetischen Steuertarifen wäre, ob Ehepaarhaushalte in der Schweiz tatsächlich mehr Steuern als vergleichbare Konkubinatspaare entrichten – und zwar unter Berücksichtigung der Steuern auf Kantons- und Gemeindeebene. Eine erste Auswertung von Avenir Suisse hat nämlich gezeigt, dass Mehrbelastungen erst bei einem Familieneinkommen von über 13’000 Franken pro Monat festzustellen sind. Diese Ehepaare, die lediglich 20% der erwerbstätigen Haushalte ausmachen, entrichten rund 600 Mio. Fr. mehr Steuern, als wenn sie im Konkubinat leben würden. Bei den übrigen 80 Prozent ist allerdings die Ehe im Vorteil, insbesondere beim Mittelstand. Über alle Einkommensklassen hinweg resultiert sogar ein Netto-Heiratsbonus von 160 Millionen Franken. Von einer systematischen Diskriminierung der Ehe kann also keine Rede sein.

Nein zum «Goldenen Käfig»

Dass der Heiratsbonus zumindest auf kantonaler Ebene zur Norm geworden ist, liegt unter anderem am Ehegattensplitting, das von vielen Kantonen praktiziert  und von der AHV für die Berechnung der Ehepaarrente verwendet wird. Doch das Splittingmodell nun auch bei der direkten Bundessteuer anwenden zu wollen – wie dies von einigen Parlamentariern immer wieder vorgeschlagen wird – wäre nicht zuletzt aus Sicht der Gleichstellung klar abzulehnen. Es wäre eine Lösung, die mehr Probleme bringt, als sie löst.

Denn wegen der Steuerprogression spart ein Paar durch Heirat beim Splitting umso mehr Steuern, je ungleicher die Einkommen der Partner sind. Das Modell subventioniert somit die traditionelle Rollenaufteilung im Haushalt. Mit dem Splitting würden die Schweizer Frauen ermuntert, sich nach der Heirat noch mehr als heute aus dem Arbeitsmarkt zurückzuziehen – besonders, wenn ihr Ehemann überdurchschnittlich verdient. Das Splitting wird nicht von ungefähr auch «goldener Käfig» genannt. Die gemeinsame Besteuerung der Ehepaare ist somit eine der effektivsten Massnahmen gegen die Gleichstellung.

Ein modernes, zivilstandsneutrales Steuersystem lässt sich nur mit einem Übergang zur Individualbesteuerung erreichen – ein System, das bereits von einer Mehrheit der OECD-Länder praktiziert wird und nachweislich zur Zunahme der Erwerbsarbeit der Frauen geführt hat. Das ist in der Schweiz noch Zukunftsmusik. Vorerst sind alle Pläne des Bundes zur Reform der Familienbesteuerung durch die erwähnten Abstimmungsbeschwerden sistiert. Es gilt die Entscheidung der Gerichte abzuwarten. Hoffentlich wird diese Zeit genutzt, um eine maximale Transparenz zu allen Facetten der Familienbesteuerung zu schaffen.

Elterntarif bei der direkten Bundessteuer
Unter dem gegenwärtigen Steuerregime können unter gewissen Voraussetzungen auch Konkubinatspaare mit Kindern bei der direkten Bundessteuer den Elterntarif beanspruchen. Konkret wird der Elternteil mit dem höheren Einkommen zum Elterntarif besteuert, während beim anderen Partner der Ledigentarif zur Anwendung kommt. Dies kann steuerliche Vorteile haben, denn der Elterntarif ist der mildeste der drei Tarife der direkten Bundessteuer; er besteht aus dem Verheiratetentarif und einem Abzug vom Steuerbetrag in der Höhe von maximal 251 Franken pro Kind.

Dieser Text ist auf dem Blog des BFH-Zentrums Soziale Sicherheit «knoten & maschen» vom 11. 7. 2018 erschienen.

Weiterführende Informationen: Marco Salvi und Luc Zobrist (2013): Zwischen Last und Leistung: Ein Steuerkompass für die Schweiz, NZZ Libro