Gross war der Aufschrei unter bürgerlichen Parlamentsmitgliedern und den Wirtschaftsverbänden, als der Bundesrat letzte Woche erneut den harten Lockdown anordnete. Betriebsschliessungen und die Ausweitung der Quarantänebestimmungen nach dem Prinzip des Schneeballsystems wurden verfügt. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind immens, die individuellen Freiheitseinschränkungen empfindlich.
Ökonomisch fragwürdig ist die Verhältnismässigkeit der Massnahmen, insbesondere die Kosten zum angepeilten Nutzen. Denn bis heute basieren Entscheide der Behörden auf einer ungenügenden Datenlage. Die Ansteckungsorte der Infektion sind nur annäherungsweise bekannt. Pandemiebekämpfung nach dem Prinzip Hoffnung?
Offensichtlich ja, weder das Contact-Tracing noch die Covid-App bestehen den Praxistest. Es überrascht daher nicht, dass sich im Vorfeld der bundesrätlichen Beschlussfassung die nationalrätliche Wirtschaftskommission gegen die weitgehende Schliessung von Läden und gegen eine Homeoffice-Pflicht aussprach.
Auch zahlreiche Kantone votierten gegen diese Restriktionen. Doch der Bundesrat entschied bekanntlich anders – die Ohnmacht in den bürgerlichen Parteizentralen ob der Machtlosigkeit ihrer Parlamentarierinnen und Parlamentarier war mit den Händen zu greifen. «Kaltschnäuzig» habe sich der Bundesrat über die Entscheide der WAK hinweggesetzt, liess die SVP geharnischt verlauten.
Doch die Wirkungslosigkeit parlamentarischer Interventionen ist selbstverursacht. Gegenüber dem Parlament und seinen Kommissionen hat der Bundesrat lediglich eine Informations- und Konsultationspflicht. Weitgehende Massnahmen zur Pandemiebekämpfung kann die Landesregierung in Eigenregie anordnen. Grundlage ist das Covid-19-Gesetz, verabschiedet von demselben Parlament im September 2020 (und bereits wieder angepasst im Dezember 2020). Die Schweizer Volksvertretung hat sich damit im Verlauf der Pandemiekrise gleich zweimal aus dem Rennen genommen. Mitte März, als die erste Welle losbrach, verfügten die Ratsbüros beider Kammern vorsorglich den Abbruch der Frühjahrssession.
Gegen das Covid-19-Gesetz hat der vor einem Jahr noch inexistente Verein «Freunde der Verfassung» das Referendum ergriffen – erfolgreich. Auch wenn der Bundesrat rasch harte und restriktive Massnahmen zur Bekämpfung des Covid-19-Virus verfügte, mit der Volksabstimmung lässt man sich Zeit. Das Datum hat die Regierung auf den 13. Juni 2021 festgelegt und nicht auf den nächsten ordentlichen Abstimmungstermin vom 7. März. Das ist dem rechtlich festgelegten Fristenlauf geschuldet. Bis zum Sommer sollte aber (hoffentlich) die Pandemie besiegt sein, infolge umfassender Impfung der Bevölkerung mit wirksamen Vakzinen.
Damit die Bevölkerung, geschult in direkt-demokratischer Abstimmung, die von «Bundesbern» angeordneten und zunehmend umstrittenen Massnahmen mitträgt, braucht es aber jeweils vorab die Auseinandersetzung, den inhaltlichen Streit in beiden Kammern. Das gilt für die weiteren Monate, ebenso wie bei der Bekämpfung der nächsten Krise. Das Parlament tut gut daran, sich als Volksvertretung wieder stärker in die Entscheidungsfindung einzubringen.
Dieser Beitrag ist am 24. Januar 2021 in der «Handelszeitung» erschienen.