Für die «arme» Hälfte der Gemeinden ist der Standortwettbewerb irrelevant: Wenn sie dank neuen Steuerzahlern wirtschaftlich erstarken, werden sie im Finanzausgleich automatisch im selben Ausmass bestraft. In anderen Kantonen ist dieses Phänomen noch weiter verbreitet.

Der Finanzausgleich unter den Kantonen NFA ist politisch ein heisses Eisen, nicht zuletzt für den Kanton Bern und seine ominöse NFA-Milliarde. Kaum diskutiert wird hingegen über die 26 Finanzausgleichsysteme innerhalb der Kantone, unter den jeweiligen Gemeinden. Dabei wird über diese Systeme die enorme Summe von 5 Milliarden Franken pro Jahr umverteilt. Dazu kommt, dass in diesen Umverteilungsmaschinerien «ziemlich viel mehr falsch läuft» als beim NFA. Dies sagt Lukas Rühli von Avenir Suisse, der Denkfabrik der Wirtschaft. Rühli hat die 26 Systeme untersucht und seine Schlussfolgerungen in der Studie «Irrgarten Finanzausgleich» zusammengetragen, die gestern vorgestellt wurde.

Eine frappante Erkenntnis: Fast 60 Prozent aller Deutschschweizer Gemeinden können sich wegen des Finanzausgleichs faktisch vom Standortwettbewerb abmelden. Es handelt sich dabei um den «ärmeren» Teil der Gemeinden, meist um eher kleine Orte. Sie profitieren in den meisten Kantonen – auch in Bern – von einer sogenannten Mindestausstattung, einer Art «bedingungslosem Grundeinkommen» für Gemeinden: Sie haben verbindlich Anrecht auf eine minimale Steuerkraft, die über den Finanzausgleich sichergestellt wird. In Bern zum Beispiel zahlt der Kanton allen Dörfern, deren wirtschaftliche Kraft trotz Finanzausgleich unter 86 Prozent des kantonalen Durchschnitts liegt, so viel Geld, bis sie diese Limite erreichen. Das kostet den Kanton jährlich gut 35 Millionen Franken. Der Kanton Zürich geht bei dieser Mindestgarantie noch weiter und verspricht allen Gemeinden ein Niveau von 95 Prozent des Durchschnitts.

Nullsummenspiel

Der Haken dabei: Mit diesen garantierten Zahlungen ist es für die Gemeinden nüchtern betrachtet gar nicht mehr interessant, sich aktiv um neue Steuerzahler zu bemühen. Wenn sie gute Steuerzahler anziehen, erhöht sich automatisch die Steuerkraft der Gemeinde – und folgerichtig sinken im Gegenzug die garantierten Zahlungen an die Mindestausstattung. Ein Nullsummenspiel. Im Extremfall wird jeder zusätzliche Franken an Steuerkraft zu 100Prozent durch Verluste im Finanzausgleich kompensiert. Dies trifft im Kanton Bern auf gut 50 Prozent der Gemeinden zu, wie Rühli in seiner Studie zeigt. Dazu zählen neben kleinen Gemeinden auch grosse Orte wie Moutier, Pieterlen, Roggwil, Sumiswald, Schwarzenburg oder Frutigen.

Für all diese Gemeinden lohnt es sich nicht, sich im Standortwettbewerb anzustrengen. Darin liege eine Gefahr, hielt Studienautor Rühli fest: Das könne dazu führen, dass sich die Unterschiede in der Steuerkraft zwischen den Gemeinden weiter vergrössern, was dem Ziel jedes Finanzausgleichs zuwiderlaufen würde.

Zu starke Umverteilung?

Die Studie fasst die Ergebnisse in einem Kantonsranking zusammen. Bern liegt mit Zürich und Baselland auf Platz 10. Negativpunkte erhält Bern insbesondere wegen des Ausmasses der Umverteilung, das bei knapp einem Viertel der Steuereinnahmen der Gemeinden liege. Das ist für Avenir Suisse zu viel, da die Unterschiede in der Steuerkraft der Berner Gemeinden eher klein sind.

Ein Kuriosum aus Schwyz

Da der Schwyzer Finanzausgleich kleine Gemeinden massiv bevorteilt, avanciert eine arme Kleingemeinde wie Riemenstalden zur «reichsten Gemeinde» der Schweiz. Riemenstalden hat laut Avenir Suisse nach Finanzausgleich pro Kopf mehr Geld zur Verfügung als alle Gemeinden im Land. Sie überholt sogar ihre Sponsoren, die reichen Schwyzer Gemeinden am Zürichsee, wie der Fall Wollerau zeigt.

Gemeinden ausserhalb des Standortwettbewerbs

Die Säulen zeigen, wie gross der Anteil der wirtschaftlich schwachen Gemeinden pro Kanton ist, die sich de facto nicht darum scheren müssen, ob sie neue Steuerzahler anziehen. Bei ihnen wird jeder zusätzliche Franken Steuerkraft, den sie akquirieren, wieder kompensiert, indem sie im Finanzausgleich einen Franken verlieren. Im Kanton Bern befindet sich mehr als jede zweite Gemeinde in dieser Situation. Es handelt sich dabei um kleine Gemeinden, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung gut 20 Prozent beträgt. Auffällig ist, dass sich in der Romandie viel weniger Gemeinden zurücklehnen können.

Dieser Artikel erschien in der «Berner Zeitung» vom 11. Oktober 2013. 
Mit freundlicher Genehmigung der «Berner Zeitung».