Im Kanton Zürich leben unterdessen 1,4 Millionen Menschen. Mit knapp 30‘000 Einwohnern stellt der Bezirk Andelfingen gerade einmal etwas mehr als 2 Prozent davon. Das entspricht weniger als der Bevölkerung der beschaulichen Kleinstadt Uster. Trotzdem besteht der Bezirk aus nicht weniger als 24 Gemeinden. Nur drei davon (Feuerthalen, Henggart und Kleinandelfingen) haben mehr als 2000 Einwohner; Humlikon, Truttikon und Volken zählen gar weniger als 500. Fallen im Rest des Kantons durchschnittlich über 9000 Einwohner auf eine Gemeinde, sind es im Zürcher Weinland gerade einmal 1230.

Das Zürcher Weinland - Heimat von 24 Gemeinden

Uri prüft Reduktion

Zugegeben, der Vergleich hinkt: Der Kanton Zürich ist grösstenteils dicht besiedelt, zudem verzerren die grossen Städte Zürich und Winterthur den Wert nach oben. Der Bezirk Andelfingen ist hingegen ländlich geprägt und weist eine verhältnismässig geringe Bevölkerungsdichte auf. Erhellender ist deshalb der Vergleich des Bezirks mit sechs ländlichen Kleinkantonen. Von ihnen hat Uri die kleinsten Gemeinden: 35‘000 Einwohner verteilen sich auf deren 20.  Das macht im Durchschnitt knapp 1800 Einwohner pro Gemeinde, womit Andelfingen noch deutlich übertroffen wird. In Uri steigt der Konsens, der Kanton sei zu kleinstrukturiert, weshalb die Regierung derzeit eine Gesetzesvorlage ausarbeitet, die eine Reduktion auf 5 bis 7 Gemeinden zum Ziel hat. Auch der Glarner Bevölkerung (39‘000) waren ihre 25 politischen und 18 Schulgemeinden zu viel. Abwanderungsdruck und die Tatsache, dass ein Grossteil der damaligen kommunalen Körperschaften ohne kantonale Unterstützung damals nicht überlebensfähig war, führten dazu, dass sie 2006 die radikale Umstrukturierung auf 3 Einheitsgemeinden beschloss. Verbunden mit der Gemeindereform war auch ein nicht zu unterschätzender «Werbeeffekt» für den Kanton. Gar nie zur Debatte stand und steht die Gemeindestruktur einzig in den Kantonen Obwalden und Nidwalden. Mit gerade einmal 7 bzw. 11 Gemeinden für die 36‘000 bzw. 41‘000 Einwohner sind die politischen Einheiten in diesen Kantonen allerdings um ein Vielfaches grösser als in Andelfingen.

Nur noch vier Gemeinden?

Am besten also nur noch 4 Gemeinden für den  «Kanton» Andelfingen? Nicht unbedingt. Grösser ist nicht automatisch besser. Die Gemeindefusionen in anderen Kantonen waren in den meisten Fällen Reaktionen auf handfeste finanzielle Probleme oder zumindest auf mangelndes Entwicklungspotenzial, nicht das Ergebnis purer Lust auf Grösse. Dieser Reformdruck scheint in Andelfingen aber kaum vorhanden zu sein: Der Bezirk erlebte in den 1990er-Jahren nach dem Bau der S-Bahn hohe Bevölkerungswachstumsraten, die in den 2000ern (auch dank der ausländischen Zuwanderung) aufrechterhalten werden konnten, und die durchschnittliche Verschuldung der Gemeinden konnte in den letzten 10 Jahren deutlich gesenkt werden. Generell ist die Lebensqualität im Weinland, das auch die grüne Lunge des Kantons genannt wird, hoch. Es herrscht ein ausgeprägter Gemeinschaftssinn, der in vielen Bereichen kostengünstige Lösungen hervorbringt (z.B. bei der Altenpflege, Kinderbetreuung), denn die Kleinräumigkeit ermöglicht einen stärkeren sozialen Zusammenhalt als in den grossen Agglomerationen.

Stur an historischen Strukturen festzuhalten und auf eine rosige Zukunft zu hoffen, wäre jedoch genauso verfehlt, denn Tatsache ist unter anderem: Viele Andelfinger Gemeinden beziehen erhebliche Beiträge aus dem kantonalen Finanzausgleich. Seit 2012 bevorzugt dieser kleine Gemeinden nicht mehr gezielt. Auch wenn die Ausgleichsbeiträge insgesamt nicht reduziert worden sind, und für besonders betroffene Gemeinden Übergangsregelungen gelten, wird dies der Bezirk durchaus noch zu spüren bekommen. Die Steuerfüsse lagen schon 2011 deutlich über dem kantonalen Durchschnitt, und während sie im Rahmen der Neuordnung der Spital- und Pflegefinanzierung kantonsweit durchschnittlich um 2,2 Punkte gesenkt werden konnten, verbuchten die Andelfinger Gemeinden im Mittel nur einen Rückgang um 0,6 Punkte.

Noch schwerer wiegt allerdings die Raumentwicklungsstrategie des Kantons, die dem Bezirk umfangreiche Freihaltegebiete vorschreibt und die Ausscheidung neuer Bauzonen nur sehr beschränkt ermöglicht. Die geplante Richtplanrevision wird diese Situation voraussichtlich noch verschärfen. Das Klagen der Andelfinger Gemeinden über dieses Vorgehen ist allerdings nur teilweise berechtigt, denn grundsätzlich wäre durchaus noch genügend Platz vorhanden: 13% der gesamten Bauzonen und gar 23,8% der Arbeitszonen sind noch unüberbaut – diese  Werte liegen deutlich über kantonalen Durchschnittswerten von 10,8% bzw. 20,1%. Das Problem liegt wohl eher darin, dass die freien Flächen sehr zerstückelt sind und darum grössere Projekte verhindern.

Hier könnten Gemeindefusionen Abhilfe schaffen: Die Flexibilität in der Nutzungsplanung würde erhöht werden, da beispielsweise die Optimierung der Platzierung von Industriezonen auf einem grösseren Areal stattfindet. Öffentliche Bauten und Anlagen könnten an geeigneten Orten zusammengefasst und deren Betrieb optimiert werden. Die Nutzungskonflikte zwischen Wohnen, Arbeiten, Verkehr und Naturraum würden entschärft. Dies würde neue Entwicklungsperspektiven bei einem gleichzeitig haushälterischen Umgang mit Boden eröffnen.

Struktur wichtiger als Grenze

Aber wirken sich Fusionen nicht negativ auf den sozialen Zusammenhalt und die Bürgernähe aus? Jein: Das gut funktionierende Dorfleben, das Vereinsleben, die soziale Bande – all das ist nicht hauptsächlich auf die Ziehung der Gemeindegrenzen zurückzuführen, sondern auf die Dorfstruktur und die Mobilität der Bevölkerung. An beidem ändert eine Fusion wenig. Auch zum Thema Bürgernähe der kommunalen Leistungserbringung muss eingewendet werden: Schon heute werden viele kommunale Angebote (Abfall, Abwasser, Feuerwehr, Friedhof, Fürsorge und Vormundschaft, Alters- und Pflegeheim, Sicherheit, Wasser) nicht durch die Gemeinden selbst, sondern durch Gemeindeverbände erbracht. In diesen Bereichen hätten Fusionen deshalb keine nachteiligen Auswirkungen auf die Bürgernähe – im Gegenteil: Durch Fusionen, die eine Rückführung einiger dieser Aufgaben in die Hände einzelner (fusionierter) Gemeinden ermöglichten, könnten die Bürger sogar wieder unmittelbarer an den Entscheidungsprozessen teilnehmen.

Die Idee, eine heile Welt (so sie denn im Weinland noch existiert) könne bewahrt werden, in dem man am Status Quo festhält, ist gefährlich. Oft ist sogar das Gegenteil der Fall: Man muss verändern, um zu bewahren. Auch dem Weinland könnten deshalb Reformen bevorstehen. Reformen, die vom Kanton seit kurzem im Übrigen grosszügig administrativ und finanziell unterstützt werden.

Dieser Artikel erschien in der Andelfinger Zeitung vom 25. Mai 2012.