Der neue Finanzausgleich des Bundes (NFA) wird fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten von verschiedenen Seiten wieder ins Rampenlicht gerückt. Zunehmend im Kreuzfeuer der Kritik steht der Kanton Bern, dessen sich akzentuierende Ressourcenschwäche zu einem Anstieg der Zuschüsse von 805 Millionen Franken (2008) auf 1,14 Milliarden Franken (2014) führte. In dieser Kritik schwingt – mal unterschwellig, mal sehr explizit – der Vorwurf mit, die Berner Misere sei hausgemacht. Gleichzeitig werden die jüngsten Steuersenkungen, die ebendieser Kanton Bern durchgeführt hat, mit Argwohn betrachtet: Ein Kanton, der so massiv vom Finanzausgleich unterstützt wird, erlaubt sich, die Steuern zu senken?
Diese Kombination von Vorwürfen lässt vor allem auf eines schliessen: Auf eine falsche Vorstellung über die Funktionsweise des NFA als Beispiel eines modernen Finanzausgleichs. Der Ruf nach Reduktion der Ausgleichszahlungen bei selbstverschuldeter Ressourcenschwäche ist zwar durchaus nachvollziehbar, doch ist es alles andere als offensichtlich, warum diese im Kanton Bern eher der Fall sein sollte als in den Kantonen Freiburg, Wallis, Glarus, Jura und Uri, die pro Kopf ähnlich hohe oder sogar deutlich höhere Zuschüsse empfangen. Der Ressourcenausgleich garantiert ihnen allen eine Ressourcenausstattung von 85 Prozent des gesamtschweizerischen Mittelwerts – bewusst unabhängig von jeglichen Fragen nach Selbst- oder Fremdverschuldung der Ressourcenschwäche. Denn solche Fragen lassen sich kaum objektiv respektive nur mit prohibitiv hohem Kontrollaufwand beantworten und auch dann nur unter grossen Eingriffen in die Kantonssouveränität.
Wie der Kanton Bern sein Steuersubstrat erhöhen will
Gerade wer den Vorwurf der Selbstverschuldung äussert, sollte den Berner Steuersenkungen nicht skeptisch gegenüberstehen, sondern sie loben. Dass Mindereinnahmen bei Steuersenkungen durch den Finanzausgleich kompensiert werden, ist ein häufig gehörtes Missverständnis. Der Finanzausgleich stützt nicht auf die effektiven Steuereinnahmen ab, sondern auf das Steuersubstrat. Genau das versucht der Kanton Bern mit seinen Steuersenkungen zu erhöhen.
Ob es ihm gelingen wird, ist eine andere Frage. Ob es sich für ihn auszahlen wird, nochmals eine andere. Kurzfristig hat er mit Sicherheit einen Einbruch der effektiven Steuererträge zu verkraften, mittelfristig werden diese nur dann ihren Ausgangswert überschreiten, wenn die prozentuale Zunahme des Steuersubstrats grösser ist als der prozentuale Rückgang von dessen Ausschöpfung. Auch wenn dies der Fall sein sollte, wird Bern den Gürtel aller Wahrscheinlichkeit nach enger schnallen müssen, denn eine Zunahme des Steuersubstrats um 1 Franken bedeutet bei der jetzigen Position des Kantons Bern im Ressourcenausgleich eine Abnahme der Zuschüsse aus diesem Topf um rund 80 Rappen. Vom Anstieg der Ressourcenstärke blieben also nur 20 Prozent in der eigenen Tasche, der Rest ginge an die anderen Empfängerkantone. Dass der Kanton Bern unter diesen Bedingungen trotzdem das Experiment Steuersenkung eingeht, ist ihm hoch anzurechnen.
Dieser Artikel erschien am 10. Oktober 2013 in der «Handelszeitung».