Es gibt in der Schweiz bereits ein erfolgreiches Beispiel für Mobility Pricing, und zwar in Form einer Strassenmaut für Lastkraftwagen (LKW). Lastkraftwagen über 3,5 Tonnen zahlen seit 2001 die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA). Anders als die LKW-Maut in Deutschland und Österreich gilt die LSVA auf allen Strassen und nicht nur auf Autobahnen. Leistungsabhängig ist sie, da sie sich nach der Zahl der gefahrenen Kilometer richtet, aber auch nach dem zulässigen Gesamtgewicht des Fahrzeugs (relevant für die Belastung der Strassen) und nach der Emission (relevant für die externen Effekte). Dank dieser Preisstruktur nimmt die Schweiz bezüglich Kostenwahrheit und Preisdifferenzierung im Güterverkehr auf der Strasse eine Führungsrolle in Europa ein.
Die besonderen Gebühren für LKW sind insofern gerechtfertigt, als ein beladener Lastwagen die Strasseninfrastruktur bis zu 10 000mal stärker verschleisst als ein PKW. Obwohl die Gebühren anhand von drei Faktoren differenziert werden, sind sie so ausgestaltet, dass der Kontrollaufwand relativ gering ist: Anders als das geladene Gewicht, das bei jeder Fahrt gemessen werden müsste, wird das zulässige Gesamtgewicht in den Fahrzeugpapieren ausgewiesen. Das gleiche gilt für die Emissionsklasse des Fahrzeuges auf der Basis eines europäischen Klassifikationssystems. Keine Differenzierung gibt es bei der LSVA hingegen bezüglich des Zeitpunktes der Fahrt und der spezifischen Strecke – was zwecks Stauvermeidung jedoch wünschenswert wäre.
LSVA als erfolgreiches Beispiel für Mobility Pricing
Anders als bei der LKW-Maut in Deutschland wird nicht zwischen Strassenkategorien unterschieden, sondern nur die Länge der gefahrenen Strecke gemessen. Dies reduziert den technischen Aufwand für die Erfassung. Sie erfolgt im Normalfall durch Erfassungsgeräte («on-board-unit»), die vom Fuhrunternehmen gekauft und installiert werden. Diese Geräte sind für Schweizer LKW obligatorisch und für ausländische optional. Für damit ausgestattete Fahrzeuge wird bei der Zollverwaltung ein LSVA-Konto eröffnet, die Rechnungsstellung erfolgt monatlich. Die Erfassungsgeräte selber sind kostenlos, der Einbau bei einer zertifizierten Werkstatt kostet circa 600 Franken. Die «on-board-unit » liest und speichert die Tachodaten, enthält zur Kontrolle aber auch ein GPS-Modul. Es gibt keine durchgehende Erfassung der gefahrenen Routen. Für Transitfahrten und Kurzaufenthalte ist kein Gerät erforderlich. Stattdessen können ausländische Fahrer am Grenzübergang ein Ticket lösen, auf dem der Kilometerstand registriert wird. Bezahlt wird beim Verlassen des Landes, nach abermaliger Kontrolle des Tachos. Für in- und ausländische Fahrzeuge gelten, gemäss den Regeln des Landverkehrsabkommens mit der EU, die gleichen Gebühren.
Ein zentrales Motiv für die Einführung der LSVA war eine Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene. Die Grundlage für die Einführung der Abgabe war die 1994 durch einen Volksentscheid angenommene Alpeninitiative. Aufgrund ihrer geographischen Lage ist die Schweiz ein wichtiges Transitland für den Verkehr zwischen Nord- und Südeuropa, und dieser Durchgangsverkehr ist mit Externalitäten in ökologisch sensiblen Gebieten verbunden (Staus, Emissionen, Lärm). Alleine zwischen 1981 und 2001 hatte sich der LKW-Verkehr am Gotthardstrassentunnel – der Haupttransitstrecke – vervierfacht. Dieser Trend wurde durch die Einführung der LSVA und anderer flankierender Massnahmen erfolgreich gebrochen (Abb. 5).
Eine Mengenbegrenzung des Transitverkehrs traf in der Europäischen Union (EU) auf Skepsis, eine Steuerung über eine Strassengebühr hingegen nicht – zumal mit dem Bau der Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen (NEAT) am Lötschberg und Gotthard die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine Verlagerung auf die Schiene geschaffen werden. Im Rahmen des Landverkehrsabkommens mit der EU verpflichtete sich die Schweiz auch zur Übernahme der Prinzipien aus der EU-Wegekostenrichtlinie, die regelt, welche Faktoren leistungsabhängig mit einem Preis versehen werden können.
Die LSVA bringt derzeit jährliche Einnahmen von 1,5 Milliarden Franken, die zur Infrastrukturfinanzierung verwendet werden. In den 12 Jahren seit Einführung der LSVA (2001 bis 2012) hat sie beachtliche 14,2 Milliarden Franken an Finanzmitteln für Verkehrsinvestitionen mobilisiert (Abb. 6). Zwei Drittel der Einnahmen erhält der Bund, und diese Gelder fliessen in diverse Bahnprojekte – die «Bahn 2000», NEAT, Lärmsanierung, Verbindungen zum europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz. Das übrige Drittel geht an die Kantone, wo es für den Bau und Unterhalt der Strassen verwendet wird.
So erfolgreich sich die LSVA aus finanzieller Sicht darstellt, ein politisches Ziel ihrer Einführung wurde bisher nicht im gewünschten Mass erreicht, nКmlich die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene. Ziel der vom Volk 1994 angenommenen Alpeninitiative war die Begrenzung des Transitverkehrs. Um dies zu erreichen, wurde ein umfangreiches Bündel an Massnahmen beschlossen: Neben der Einführung der LSVA waren dies der Bau der NEAT, die Modernisierung der Bahninfrastruktur, mehr Wettbewerb im Güterverkehr auf der Schiene («Bahnreform»), Zulassung grösserer LKW und die Förderung des kombinierten Verkehrs.
Gemäss dem Verkehrsverlagerungsgesetz von 2001 sollten zwei Jahre nach ErЪffnung des Lötschbergbasistunnels 2007 maximal 650 000 LKW pro Jahr die Schweizer Alpen durchfahren. Obwohl es gelang, die Zahl der alpenquerenden Fahrten zu reduzieren, liegt ihre Anzahl noch deutlich über dem gesetzten Ziel. Das Bundesamt für Verkehr schätzt derzeit, dass das Erreichen des Verlagerungsziels erst zwei Jahre nach der für 2016 geplanten Eröffnung des Gotthardbasistunnels möglich sein wird. Um dies sicherzustellen, hat der Bund die Einführung eines zusätzlichen Steuerungsinstruments geprüft: eine «Alpentransitbörse».
Alpentransitbörse führt zum Ziel
Voraussetzung für eine Alpentransitbörse wäre eine Mengenbegrenzung der alpenquerenden Fahrten – zum Beispiel die ursprünglich anvisierten 650 000 Fahrten pro Jahr – und eine Versteigerung der entsprechenden Kontingente («Transitrechte»). Eine solche Plafonierung wäre zwar ein Eingriff in den Verkehrsmarkt, aber durch die Versteigerung bzw. den anschliessenden Handel würden die begrenzten Kapazitäten zumindest möglichst effizient genutzt – nämlich von jenen Fuhrunternehmern, die den grössten Nutzen und somit die höchste Zahlungsbereitschaft haben. Eine Versteigerung der Transitrechte hätte noch einen weiteren Vorzug: Die durch eine Verknappung verursachten Preissteigerungen würden nicht in zusätzliche Profite für die Fuhrunternehmen umgemünzt, sondern in Einnahmen für den Staat. Diese könnten zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur verwendet werden und damit den Steuerzahler entlasten. Dies wäre durchaus auch fair, denn über eine Versteigerung wird eine «Monopolrente » abgeschöpft, die durch die politisch vorgegebene Verknappung erst geschaffen wird.
An eine Alpentransitbörse wäre freilich nicht vor Eröffnung des Gotthardbasistunnels zu denken, weil erst dieser eine Verlagerung des Güterverkehrs in grösserem Massstab ermöglicht. Zudem müssten die Festsetzung der Kontingente und ihre Versteigerung mit den anderen Alpenländern koordiniert werden, um Ausweichverkehr zu vermeiden.
Das grösste praktische Hindernis für eine Alpentransitbörse ist jedoch das EU-Recht, mit dem eine Kontingentierung und Versteigerung von Transitrechten nicht vereinbar ist. Bundesrätin Doris Leuthard will daher ein alternatives Instrument prüfen lassen: ein «Toll+-System», ein zeitlich gestaffeltes Gebührensystem für Transitfahrten, das zu Stosszeiten höhere und zu Randzeiten tiefere Abgaben vorsieht. Eine solche Weiterentwicklung würde die grösste Schwäche der LSVA adressieren, nämlich eine fehlende Preisdifferenzierung nach Zeiten und Strecken.
Dessen ungeachtet kann die LSVA schon heute als erfolgreiches Beispiel für Mobility Pricing gewertet werden: Erstens ist sie differenziert nach Fahrleistung, Emissionen und Gewicht, d.h. die Nutzer tragen die von ihnen verursachten Kosten und haben einen Anreiz zur Kostenvermeidung. Zweitens brachte sie in den 12 Jahren seit ihrer Einführung Einnahmen in Höhe von 14 Milliarden Franken, die in den Bau und Unterhalt der Infrastruktur flossen und somit nicht vom Steuerzahler berappt werden mussten. Drittens handelt es sich um ein technisch schlankes und effizientes System. Die Installationskosten betrugen 290 Millionen Franken und die jährlichen Gesamtbetriebskosten liegen bei 90 Millionen Franken (circa 5 Prozent der Einnahmen). Viertens trägt sie zur Verkehrsverlagerung und damit zu einer Reduktion der externen Kosten des Transitverkehrs bei.
Ein solches System ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Kein Wunder also, dass das Schweizer Modell in den letzten Jahren Schule gemacht hat: Inzwischen haben auch Deutschland und Österreich eine LKW-Maut eingeführt.
Dieser Artikel erschien in der Sonderbeilage «Der Preis ist der Weg» des «Schweizer Monat» (Oktoberausgabe). Mit freundlicher Genehmigung des Schweizer Monats.