«Wir wollen den Service public nicht abschaffen, sondern besser machen», stellte der liberale Vordenker und Avenir-Suisse-Direktor Gerhard Schwarz gleich zu Beginn der gestrigen Veranstaltung fest. Der Begriff sei heute sehr unscharf definiert und mache «immun» gegen politische Debatten. Dies gelte es zu ändern. Das Buch (siehe Hinweis), das der liberale Think-Tank gestern vorstellte, soll einen Beitrag dazu leisten. Der Begriff Service public wird heute vor allem für die Leistungen der staatlichen Grundversorgung verwendet. Darunter fällt die flächendeckende Bereitstellung von Infrastrukturen und Dienstleistungen, die von allgemeinem öffentlichem Interesse sind.

Umverteilung und Regionalpolitik

«Heute wird unter dem Deckmantel von Service public oft Umverteilung, Regionalpolitik oder staatliche Gewinnbewirtschaftung betrieben», sagt Hauptautor Urs Meister, Ökonom und Projektleiter bei Avenir Suisse. Zudem würden Interessengruppen wie Gewerkschaften oder (halb)staadiche Unternehmen ihre Pfründen verteidigen.

Prominente Beispiele in der Schweiz seien der öffentliche Verkehr, die elektronischen Medien mit der SRG, aber auch die Spitäler (siehe Haupttext), die Strombranche, die Telekommunikation und die Post. Die Liberalisierung in diesen Bereichen sei «auf halbem Weg stehen geblieben», so Meister. Vor allem zwei Argumente würden immer wieder gegen mehr Wettbewerb im Service public angeführt: die Gefahr von steigenden Preisen, weil Private Rendite erzielen wollten, und die Angst um die Versorgung abgelegener Regionen. Dabei werde vernachlässigt, dass die staatlichen Unternehmen schon lange keine Wohltäter mehr seien und ebenfalls Gewinne erzielten. Zudem würden mit den Erträgen aus Service-Public- Leistungen oft andere Leistungen querfinanziert. Die Folge davon seien steigende Infrastrukturkosten und stetige Tariferhöhungen.

Dabei würden Erfahrungen im Ausland zeigen, dass Privatisierungen und Liberalisierungen im Infrastrukturbereich durchaus positive Effekte auf Qualität und Preise hätten. In der Schweiz werde aber immer nur auf einzelne negative Beispiele hingewiesen. Das Problem der Versorgung von Randregionen könne mit entsprechenden Konzessionen und Ausschreibungen gelöst werden. Entscheidend ist gemäss Meister vor allem eines: «Erfolgreiche Liberalisierungen brauchen echten Wettbewerb.»

Doch genau dies sei in der Schweiz bei den erwähnten Bereichen nicht der Schritt 1 Wettbewerbsneutrale Definition und Finanzierung des Service public Beschränkung des Staates auf seine subsidiäre Rolle Outputorientierte Definition des Service public Konsequentere Benutzerfinanzierung Einfache und transparente Finanzierung Fall. So gebe es auf dem Strommarkt beispielsweise keinen echten Markt, weil die Preise gesetzlich reguliert seien. In gewissen Kantonen liegen sie klar unter den Marktpreisen. Das komme faktisch einer versteckten Subventionierung des Stroms gleich.

Gemischtwarenladen Post

Ein anderes Beispiel sei die Post. Diese expandiere zunehmend in Bereiche, die nicht zu ihrem Grundversorgungsauftrag gehörten, indem sie in ihren Filialen auch Versicherungen oder E-Health-Lösungen anbiete. Auch die Kooperation zwischen städtischen Elektrizitätswerken und der Swisscom beim Glasfasernetz sei problematisch. Denn es bestehe die Gefahr, dass man die möglichen Gewinne falsch einschätze und damit die eine Seite plötzlich die andere subventioniere.

Besser halb statt gar nicht

Für Meister ist klar: «Eine halbe Liberalisierung ist schlechter als gar keine. » Halbstaatliche Monopole würden den Wettbewerb behindern – zu Lasten von Effizienz und Innovation. Avenir Suisse präsentierte gestern denn auch eine Roadmap mit Massnahmen hin zu mehr Markt im Service public.

Die Forderungen sind deutlich: Der Staat soll sich auf die Erbringung derjenigen Leistungen konzentrieren, bei denen der Markt nicht in der Lage ist, das politisch gewünschte Resultat zu erbringen. Die Konsumenten sollten die Leistungen möglichst selbst finanzieren, um Umverteilungen und Übernachfrage zu verhindern.

Zudem brauche es stärkere Wettbewerbsregeln, welche die Bevorteilung von staatlichen Betrieben verhindern würden. Zu guter Letzt müssten Produktionsanlagen und die ehemaligen Monopolisten wie Post und Swisscom möglichst privatisiert werden.

Staat muss umdenken

Kommentar von Jan Flückiger

Der Service public hat in der Schweiz einen hohen Stellenwert. Zu Recht: Die flächendeckende Grundversorgung mit Infrastrukturen und Dienstleistungen des öffentlichen Interesses ist eine Kernaufgabe des Staates. Doch muss der Staat diese Leistungen auch durchwegs selber anbieten? Nein. Denn oft könnten Private dasselbe preisgünstiger und besser erbringen. Voraussetzung dazu ist, dass man sie lässt. Solange Bund, Kantone und Gemeinden selber am Service public verdienen, ist die Gefahr gross, dass sie ihre Vormachtstellung verteidigen. Ein gutes Beispiel ist die neue Spitalfinanzierung. Das Parlament hat das System liberalisiert, Fallpauschalen eingeführt und den privaten Spitälern den Marktzutritt gewährleistet. Gleichzeitig nutzen viele Kantone ihren politischen Spielraum, um ihre eigenen Spitäler gegenüber den privaten zu bevorzugen. Dies auf Kosten der Wahlfreiheit der Patienten – und der Effizienz. Es ist nicht die einzige Liberalisierung, die auf halbem Weg stecken geblieben ist. Auch der Strommarkt, die Post, der öffentliche Verkehr und die Telekommunikation sind erst teilweise dem freien Markt ausgesetzt. Nach wie vor verdient die öffentliche Hand mit und setzt dem Wettbewerb entsprechende Schranken. Der liberale Think-Tank Avenir Suisse legt den Finger auf einen wunden Punkt: Wenn schon liberalisiert wird, dann bitte richtig. Und wenn schon staatlich subventioniert wird, dann bitte transparent. Denn zu oft werden unter dem Deckmantel des Service public Privilegien einzelner Interessengruppen verteidigt. Das hat mit Grundversorgung nichts zu tun.

Dieser Artikel erschien in der «Aargauer Zeitung» vom 24. Februar 2012.