2011 war ein turbulentes Jahr, reich an grossen Ereignissen. Doch das unterscheidet 2011 nicht von anderen Jahren. Hingegen scheint mir, dass einem diesmal stärker als sonst die Turbulenzen fast ratlos zurück lassen. Der hektische Aktivismus der Politik kann darüber nicht hinwegtäuschen. Die Deutung ist schwieriger geworden. Werden die Krisen sich als Chancen entpuppen oder kündigen sie lange dauernde Probleme an?

Man denke an den schrecklichen Tsunami in Japan mit seinen zigtausenden Toten und dem Unfall im Kernkraftwerk von Fukushima. War dieser, wie es sich viele wünschen, der Anfang vom Ende der friedlichen Nutzung der Kernenergie? Bedeutet das mehr CO2-Ausstoss, mehr Klimaerwärmung? Bedeutet es eine massive Verteuerung der Energie und einen Verlust an Wohlstand? Oder eine Zweiteilung der Welt in Regionen mit und in solche ohne Kernenergie, wobei letztere zumindest indirekt (in Form von grauer Energie), dennoch Kernenergie nutzen? Oder schaffen wir jenen technologischen Durchbruch, der uns von den ökonomischen und ökologischen Vorteilen der Kernenergie profitieren lässt, aber die Risiken reduziert? Schwierig ist auch die Interpretation des „Arab Spring“. In die Freude über die Befreiung der Völker in unmittelbarer Nachbarschaft Europas vom Joch totalitärer Herrscher mischt sich berechtigte Sorge. Bringt der Umsturz wahre Emanzipation, oder folgt eine – islamistische – Form der Unfreiheit und wird die Sicherheitslage für den Westen bedrohlicher als vorher?

Und was bringt die fälschlicherweise als Euro-Krise bezeichnete Banken- und Verschuldungskrise in weiten Teilen Europas? Klar ist nur, dass es keine schmerzlosen Auswege aus dieser Krise geben wird. Offen jedoch ist, ob das gigantische Weiterwursteln gegen die ökonomische Schwerkraft weitergeht oder ob die Einsicht in die Realitäten obsiegt? Ob man sich eingesteht, dass der Euro in seiner jetzigen Form eine Fehlkonstruktion ist und dass die Schuldenwirtschaft sowie der Glaube an die politische Machbarkeit der Wirtschaft grandiose Irrtümer waren? Zu diesen ambivalenten Ereignissen des Jahres 2011 gehört auch die Occupy-Wallstreet-Bewegung. Lebt sie als Ausdruck des Wutbürgertums weiter, verständlich zwar, aber ohne Nutzen? Sammeln sich in ihr immer mehr all jene, die gut im und vom kapitalistischen System leben, es aber gleichzeitig verteufeln? Oder wächst aus ihr noch die Einsicht, dass die Entgleisungen in der Marktwirtschaft nicht einem Zuviel an Markt entspringen, sondern einem Zuviel an staatlicher Intervention und an falscher Regulierung?

2011 als das Jahr ohne klare Perspektiven, in dem kaum wirkliche Zuversicht keimen konnte, nicht in der Politik und nicht in der Wirtschaft. Heilsbotschaften und ihre Verkünder sind kaum in Sicht. Das ist gut so, denn zuversichtlich stimmen könnte einem nur, wenn endlich Realismus und Ehrlichkeit einkehrte. Beides ist nicht wirklich in Sicht, Beschönigung, Vereinfachung, more of the same sind höher im Kurs und versprechen mehr Popularität. Aber 2012 kann ja bringen, was 2011 nicht gehalten hat.

Dieser Artikel erschien im Magazin «bestpicture» von Keystone, Ausgabe 2/2011.