Die Schweiz sollte der EU nicht beitreten, aber alle anderen Alternativen prüfen – Bilaterale III, EWR oder eine eigene Lösung.
Einerseits wird in Politik und Öffentlichkeit laut über eine neue Qualität der Beziehungen der Schweiz zur EU nachgedacht, anderseits hat das Konstrukt EU bei der Schweizer Bevölkerung durch die Wirtschafts- und Schuldenkrise weiter an Glaubwürdigkeit und Ansehen verloren. Ein Beitritt der Schweiz zur EU wäre heute noch weniger machbar als vor wenigen Jahren. Doch der bilaterale Weg ist nicht nur politisch realistisch, er ist auch für beide Seiten vorteilhaft. Was will man mehr?
Er erlaubt der Schweiz, relativ diskriminierungsfrei mit und in den Ländern der EU zu geschäften, zugleich aber eine autonome Handels-, Währungs- und Steuerpolitik zu betreiben, einige Eigenheiten zu bewahren und die grösstmögliche Freiheit der Bewohner zu sichern. Für die EU ist das Land im Herzen Europas in jeder Beziehung ein wichtiger Partner, wichtiger, als es die Einwohnerzahl vermuten lässt. Als Mitglied der EU würde die Schweiz ob ihrer Sperrigkeit wohl öfter als Querulant empfunden. Man kann selbst von Vertretern der EU, die offiziell einen Beitritt freudig begrüssen, hinter vorgehaltener Hand hören, dass es sich bei aller Freundschaft vielleicht auf etwas Distanz doch besser lebt. Und dass die Schweiz ihr Haus so gut in Ordnung hält, hat wohl auch damit zu tun, dass sie weiss, wie sehr sie auf sich selbst gestellt ist. Diese Selbstverantwortung ist ein nicht zu unterschätzender Beitrag zu einem stabilen Europa. Der häufige Trittbrettfahrer-Vorwurf wird nur schon dadurch widerlegt.
Aber die Schweiz verhält sich auch in viel direkterem Sinne solidarisch, vom Jahrhundertwerk am Gotthard über Zahlungen (z. B. Osthilfe) bis hin zu Kooperationen (z. B. Flüchtlingspolitik). Man sollte endlich aufhören, zu behaupten, man sei ein Profiteur, wenn man einem Klub, dessen Existenz man begrüsst und mit dem man freundschaftlich umgeht, nicht beitreten will, weil einem so manches am Klubleben nicht passt.
Eine andere Frage ist, ob das die EU auch so sieht oder angesichts der Krise weniger Verständnis für den erfolgreichen Einzelgänger aufbringt. Avenir Suisse bezog sich mit dem Buch «Souveränität im Härtetest» vor allem darauf: Wenn die EU den bilateralen Weg zunehmend als lästig empfindet, ist die Schweiz, obwohl sie für die EU ein nicht zu unterschätzender Partner ist, doch in der schwächeren Position. Dann muss sie sich überlegen, welche Alternativen es jenseits des Vollbeitritts gibt, und vorurteilslos vieles prüfen, nicht zuletzt «Paketlösungen», von den Bilateralen III bis zum EWR. Zudem sollte sie sich klarwerden, dass man bei allen Verhandlungen etwas bekommt, aber auch etwas geben muss. Die Schweiz sollte unbedingt ihr einzigartiges politisches System und Politikverständnis bewahren, also Föderalismus, Gemeindeautonomie, (Steuer-)Wettbewerb der Gemeinden und Kantone, direkte Demokratie, Milizsystem mit wenig Berufspolitikern, Vertrauen des Staates in die Bürgerinnen und Bürger.
Der Schlüsselbegriff im Verhältnis zur EU ist nicht die Souveränität der Staaten, sondern die Souveränität und Freiheit der Menschen, die in diesen Staaten leben. Vor diesem Hintergrund wird das Mitentscheiden in Brüssel eindeutig überbewertet. Mitentscheiden ist nur wichtig, wenn es um Themen geht, die für die Schweiz relevant sind und wenn die Schweiz das Zünglein an der Waage spielen kann. Was ohnehin schweizerischen Vorstellungen entspricht, kann man nämlich ohne Probleme übernehmen.
Umgekehrt würde die Schweiz als EU-Mitglied trotz dem Mitentscheiden immer wieder überstimmt und müsste das dann akzeptieren. Die wichtigsten Vorbehalte gegenüber einem EU-Beitritt sind politischer, nicht wirtschaftlicher Natur. Es geht nicht um schnöden Mammon. Wenn die Schweiz in einigen Fragen, in denen relativ grosser Konsens herrscht, dank ihrer Selbständigkeit ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen kann, ist das schnell einmal einen relativ hohen Preis wert. Zudem dürfte ein einzelner Kleinstaat ausserhalb eines Staatenbundes wohl mehr politisches Gewicht auf die Waage bringen, als wenn der gleiche Kleinstaat Teil eines grossen Staatenbundes wäre.
Die Wünsche der EU nach einer Dynamisierung der Verträge oder nach einem Schiedsgericht sind verständlich. Ziel schweizerischer Verhandlungsführung müsste es aber sein, sicherzustellen, dass die Schweiz auch Nein sagen kann zu gewissen Weiterentwicklungen, ohne dass ihr gleich die Kündigung eines ganzen Vertragspakets oder gar aller Verträge droht. Solche Knebelung wäre sachlich nicht gerechtfertigt. Die verschiedentlich propagierte Verknüpfung von materiellen und institutionellen Fragen in den Verhandlungen ist problematisch, nicht nur wegen des Zeitdrucks bei einzelnen Themen wie etwa der Energie. Die Schweiz sollte der EU nicht mit Häme begegnen, sondern mit Respekt. Würde diese ihrerseits auch die Schweizer Eigenwilligkeit respektieren und die Grosszügigkeit des zahlenmässig Überlegenen gegenüber dem Kleinen praktizieren, müsste sich eine eigenständige Lösung für die Schweiz finden lassen. Das sollte mit noch mehr Überzeugung als bisher das Ziel schweizerischer Aussenpolitik sein.