Wie ein Magnet zieht die Schweiz aus aller Welt Firmenhauptsitze, Privatvermögen und Arbeitskräfte an. Diese Attraktivität beschert unserem Land sein Wachstum und seinen Wohlstand, aber auch Probleme. Ein Leporello von Avenir Suisse wägt Chancen und Risiken im Standortwettbewerb ab.
Ist unser Land zu attraktiv für Menschen und Unternehmer aus aller Welt? Die Schweiz feiert im zunehmend härteren globalen Standortwettbewerb zwar Erfolge wie nur wenige andere Regionen, etwa Hongkong, Singapur oder London. Aber angesichts der Auswirkungen wie Siedlungsdruck, Verkehrsstaus und Dichtestress fragen sich immer mehr Schweizer: Bezahlt unser Land einen zu hohen Preis für seine Attraktivität? Antworten auf die Frage gibt eine neue Publikation von Avenir Suisse. Das Leporello «Magnet Schweiz. Die Schweiz im internationalen Standortwettbewerb» weist auf beeindruckende Fakten hin. Unser Land ist dank seiner Sicherheit und Stabilität weiterhin der bevorzugte Hort für Vermögen und Vermögende. Von den weltweit rund 7,4 Billionen US-Dollar an privaten Vermögen, die offshore, also grenzüberschreitend, verwaltet werden, betreuen die Schweizer Banken mit 27 Prozent den grössten Anteil. Das Anlegen von mehr als 2000 Milliarden Franken Vermögen schafft hoch bezahlte Arbeitsplätze im Private
Banking sowie in den damit verbundenen Dienstleistungen bis hin zu Medizin, Tourismus und Luxusgüterindustrie. Und wegen der tiefen Steuersätze und der hohen Lebensqualität folgen viele Vermögende ihren Vermögen: Jeder zehnte Milliardär lebt in der Schweiz und sorgt damit für Aufträge und Arbeit.
Wirtschaft der Denker und Lenker
Nicht nur Privatpersonen wissen die
Vorzüge der Schweiz zu schätzen, sondern auch Weltfirmen. Unser Land weist seit je eine weltweit einzigartige Dichte von bedeutenden Unternehmen auf. Auf der aktuellen Liste der Global 500 des US-Wirtschaftsmagazins «Fortune» stehen 15 Schweizer Firmen, also fast 2 pro Million Einwohner die Niederlande auf dem zweiten Platz kommen auf 0.8 Weltfirmen pro Million. Die international tätigen Unternehmen in der Schweiz, also Einheimische und Ausländer zusammen, schaffen ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung und bieten ein Drittel der Arbeitsplätze an. Und dieser
Anteil wächst weiter: Von 2003 bis 2009 zogen 269 ausländische Firmen mit ihrem Hauptquartier in die Schweiz.
Die Schweizer Wirtschaft entwickelt sich also immer stärker zur «Denker-und-Lenker-Ökonomie», in der Spezialisten
in weltumspannenden Unternehmen Tätigkeiten mit der höchsten Wertschöpfung erbringen. Unser Land verfügt nicht über genügend Arbeitskräfte dafür: Von 2002 bis 2007 entstanden 350’000 zusätzliche Arbeitsplätze, diese wurden aber zu 60 Prozent mit Zuwanderern besetzt. Seit 2004 werden aufgrund der Einführung der Personenfreizügigkeit (PFZ) Inländer nicht mehr bevorzugt; seither hat sich die Qualifikation der Zuwanderer grundlegend verändert: Sie kommen ins Land, um zu arbeiten, und dies vorwiegend in hochqualifizierten Berufen. Gegenwärtig wandern jährlich fast gleich viele Beschäftigte mit höheren Bildung ein, wie die Schweiz selber ausbildet.
Wachstumsstopp ist keine Lösung
Das führt zu Problemen, die ernst zu nehmen sind. Die Schweiz braucht vor allem in der Raumplanung und beim Verkehr weitsichtige Lösungen, dank denen auch zehn Millionen Menschen im Land zusammenleben könnten, ohne dass es die Lebensqualität verliert, die seine Attraktivität ausmacht. Die wirtschaftliche Entwicklung zu bremsen oder gar zu stoppen, ist aber keine Lösung. Was sie der Schweiz bringt, zeigt die Grafik: Seit 2004, also seit der Öffnung des Arbeitsmarktes, geniesst unser Land einen «Wachstumsbonus» es entwickelte sich seither in jedem Jahr, auch während der Krise, deutlich besser als die Euro-Zone. Das Leporello, das sich von der neuen Website von Avenir Suisse
herunterladen oder dort bestellen lässt, kommt deshalb zum Schluss: Die Schweiz muss ihre Attraktivität bewahren, sie also immer wieder neu erarbeiten und weiterentwickeln
Kommentar: Das Unbehagen ernst nehmen
Warum ist die Schweiz ein Magnet für Ausländer? Weil sie ein Land ist, dem es sehr gut geht und in dem es sich sehr gut lebt. Zur einzigartigen Lebensqualität tragen aber gerade auch die Einwanderer bei, seit je. Ausländer schufen berühmteste Schweizer Traditionsfirmen, von Nestle bis ABB. Und Ausländer treiben nicht nur die Wirtschaft an, sondern halten die Das Unbehagen ernst nehmen Schweiz insgesamt mit am Laufen, so etwa die 3000 deutschen Ärzte.
Was die Ausländer der Schweiz brachten und bringen, lasst sich mit Zahlen und Fakten belegen, aber das genügt nicht, um das Unbehagen wegzuwischen, das sich mittlerweile auch im Schweizer Mittelstand breitmacht. Dieses Unbehagen ist real und es ist menschlich. Deshalb sollte man die Sorgen vor Überfremdung nicht als hinterwäldlerisch oder gar fremdenfeindlich abtun, wie dies seit Jahrzehnten geschieht. Die Schweiz, mit einem Viertel nicht im Land geborener Menschen, beweist seit je eine einzigartige Fähigkeit, Einwanderer aufzunehmen. Aber Wirtschaft und Politik dürfen diese Bereitschaft hinsichtlich Ausmass und Tempo der Einwanderung nicht überfordern.
In einer schwierigen Gratwanderung müssen wir dafür sorgen, dass die Schweiz für Einwanderer offen bleibt und gleichzeitig ihre Identität behält. Dazu gehört einerseits, von den Zuwanderern eine hohe Integrationsbereitschaft zu verlangen, bei aller urbanen Weltläufigkeit auch in den am stärksten betroffenen Ballungszentren Zürich und Genf: Wir dürfen Anpassung erwarten, was die Sprache, aber auch das Zusammenleben in Familie und Öffentlichkeit angeht. Anderseits müssen wir sicherstellen, dass alle in der Schweiz weiterhin gut leben können, und darauf achten, dass der unbestreitbare Nutzen der Zuwanderung nicht ganz anders unter den Ansässigen verteilt wird als der unvermeidliche Preis, den jeder Nutzen fordert. Nur so bleibt unser Land ein Magnet für Findige und Tüchtige aus aller Welt.
Dieser Artikel erschien in der «Zürcher Wirtschaft» im Juni 2011.