Am WFZ-Frühstück hat sich Referent Patrik Schellenbauer mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Fachkräfteinitiative das Zuwanderungsdilemma lösen kann. Seine Ausführungen zeigen, Skepsis ist angebracht.

Weil das Volk die Zuwanderung bremsen will, sollen Frauen, ältere Personen und Flüchtlinge mehr arbeiten. Der Bundesrat bereitet dazu auf mehreren Ebenen Massnahmen vor. Eine davon ist die Fachkräfteinitiative, die das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) 2011 ergriffen hat. Mit ihr wollen Bund und Kantone den inländischen Pool an Arbeitskräften noch mehr mobilisieren, die Ausbildung der Arbeitskräfte fördern, Innovationen pushen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Das klingt auf Anhieb gut, aber kann man damit das Zuwanderungsdilemma lösen?

Am Frühstück des Wirtschaftsforums Zurzibiet (WFZ) im Schloss Böttstein ist Referent Patrik Schellenbauer, Kadermitglied der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse, genau dieser Frage nachgegangen. Mit einer Vielzahl an eindrücklichen Statistiken und Zahlen hat er gezeigt, dass die Lösung des Zuwanderungsdilemmas alles andere als einfach ist und dass die dahinterstehenden Prozesse ziemlich komplex sind. Seiner Meinung nach kann die Fachkräfteinitiative das Zuwanderungsdilemma nicht beheben. Sie könne höchstens helfen, den engen Spielraum zwischen Innen- und Europapolitik zu vergrössern.

Schweizer Jobwunder basiert auf Zuwanderung

Warum die Lösung des Zuwanderungsdilemmas schwierig ist? Patrik Schellenbauer begann zu dieser Ausgangsfrage ganz grundsätzlich: 1994 hatte die Schweiz rund 3,5 Millionen Erwerbstätige, heute, 20 Jahre später, sind es 4,5 Millionen Erwerbstätige. Erstaunlich ist, dass die Zahl der Schweizer Bevölkerung im Arbeitsmarkt in der gleichen Zeit gleich geblieben ist, es also 1994 und 2014 gleich viele Schweizer im Arbeitsmarkt hatte. Noch erstaunlicher: In derselben Zeit hat im grossen Massstab aber keine Verdrängung der Schweizer Bevölkerung aus dem Arbeitsmarkt stattgefunden. Die Schweiz hat in der gleichen Zeit demnach nicht mehr erwerbslose Schweizer erhalten.

Für Patrik Schellenbauer belegen diese Zahlen, dass die Schweiz inzwischen zum globalen Stadtstaat ohne Hinterland geworden ist. Oder anders gesagt: Die Schweiz als Wirtschaftsstandort ist heute grösser als seine demografische Basis. Im Klartext: Die Schweiz ist auf Zuwanderung angewiesen, wenn sie Wohlstand und Wirtschaftskraft erhalten will.

Situation verschärft sich

Mit der Fachkräfteinitiative könne die Schweiz den Effekt zwar abfedern, aber selbst das werde anspruchsvoll. Die Zusammenhänge seien in der Realität oft komplexer als in der Politik behauptet. Ab 2021, so die Zahlen, werde die Erwerbsbevölkerung jedes Jahr um 0,3 bis 0,2 Prozent abnehmen und dies obschon die Bevölkerung in der gleichen Zeit weiter wächst wenn auch weniger stark. Hinzu komme die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative. Das Zuwanderungsdilemma verschärft sich also sogar doppelt. Vor diesem Hintergrund sei die Frage nach dem Wachstumstempo legitim. Absolut keine Lösung sieht Patrik Schellenbauer in Kontingenten, einem «Instrument aus dem Giftschrank», das nur eines, nämlich einen inländischen Kampf um die Kontingente loslöse.

Komplexes Feld

Schellenbauer gelang es am WFZ-Frühstück aufzuzeigen, dass die Fachkräfteinitiative auch darum nur begrenzt greifen werde, weil die Schweiz ihr Potenzial im Bereich der Ausbildung zum Beispiel schon fast ausgeschöpft habe. Der Schweizer Wirtschaft gehe es schon sehr gut und das Bildungsniveau sei ebenfalls schon hoch, da ist eine Offensive schwierig. «Es ist einfacher; schneller und billiger, Arbeitskräfte im Ausland zu rekrutieren als sich mit Kinderbetreuung, Flexibilisierung und Altersmodellen im Inland zu beschäftigen.»

Am ehesten sieht er Potenzial im Bereich der Teilzeitarbeit von Frauen und Männern. In der Schweiz würden die Frauen im internationalen Vergleich in sehr tiefen Pensen arbeiten. Da sei also noch etwas möglich, die Herausforderung liege aber bei den richtigen Anreizen. Zahlenbeispiele aus St. Gallen belegen, dass wenn eine Frau ihr Pensum erhöht, sie einen immer grösseren Teil des Vermögens gleich wieder abgeben müsse. Vor diesem Hintergrund müssten Themen wie Individualbesteuerung und nicht einkommensabhängige Krippen auf den Tisch.

Dieser Artikel erschien in «Die Botschaft» vom 19. November 2014. Mit freundlicher Genehmigung der Botschaft.