Wie bewerten Sie die Reaktion der Schweiz auf die Kraftwerksunglücke in Japan?

Ich denke, es war ein übereilter Entscheid, sofort im Rahmen dieser Ereignisse eine Energiewende anzukündigen. Umgekehrt ging der Bundesrat wohl davon aus, dass es kurz- und mittelfristig sehr schwierig sein würde, neue Kernkraftwerke vom Stimmvolk ab- segnen zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit einer Ablehnung hat massiv zugenommen. Ich glaube aber, dass bis zum tatsächlichen Ausstieg noch einiges passieren kann.

Ist die Energiestrategie der Schweiz beziehungsweise die Neuausrichtung realistisch?

Mit dem Entscheid zum Ausstieg wird sich zunächst herauskristallisieren müssen, was die neue Strategie überhaupt ist. Im Moment haben wir noch ein Set von möglichen Massnahmen. Die Gewährleistung der Versorgungssicherheit ist im Grunde ohne Kernkraftwerke realisierbar. Wie die Lösung aussieht, wie teuer sie ist und welche Risiken sie hat, das ist eine andere Frage.

Wo sehen Sie die grössten Chancen und wo die grössten Gefahren?

Klar ist: Wenn man aus der Kernenergie aussteigen will, muss man den Strom auf andere Weise produzieren. Oder wir müssen ihn importieren. Auf politischer Ebene besteht der Anspruch, dass wir künftig diesen Strom mit neuen erneuerbaren Energien produzieren. Aber da gibt es einige Hürden, beispielsweise sind die Grenzen eines möglichen Ausbaus der Produktion letztlich eng. Hinzu kommen finanzielle und technische Herausforderungen.

Die Schweiz steht nicht alleine da – das europäische Stromnetz ist verknüpft.

Ich denke, dass es eine stärkere Koordination braucht. Der Zubau von Produktionsanlagen neuer erneuerbarer Energie verlangt eine stärkere Vernetzung. Die Internationalität wird eine immer grössere Bedeutung gewinnen, gerade hinsichtlich des Themas Versorgungssicherheit – die Schweiz ist keine Insel.

«Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft » titelt der Abschlussbericht der deutschen Ethikkommission. Sie sollte die Risiken der Kernenergie für Deutschland neu bewerten. Es sei jetzt «in der ganzen Breite der Gesellschaft», schreibt die Kommission, ein Aufbruch in Richtung einer nachhaltigeren Energiezukunft zu verspüren. Auch in der Schweiz?

Ich würde diese Aufbruchstimmung ein bisschen relativieren. Wenn man sich die Investitionspläne für neue Kraftwerke in Europa anschaut, dann geht die Entwicklung vorderhand weiter Richtung fossile Kraftwerke, vor allem basierend auf Gas. Ich glaube, dass der Spielraum für eine totale Energiewende in Richtung subventionierte neue erneuerbare Energien sehr begrenzt ist. Die finanziellen Mittel für eine Förderung sind sehr eingeschränkt.

Gibt es gesellschaftliche Trends für eine Energiewende?

Es gibt Präferenzen und eine gewisse Grundstimmung in der Bevölkerung. In Umfragen zu den Vorlieben bei der Stromproduktion liegen beispielsweise die Wasserkraft und die Photovoltaik immer ganz oben. Es besteht die Erwartung, dass vor allem neue Technologien unsere Energieprobleme lösen. In der Praxis aber sind die Unsicherheiten über die tatsächlichen Potenziale und vor allem die Kosten nach wie vor gross. Da liegt ein Graben zwischen der Realität und dem gesellschaftlichen Wunsch.

Wie weit liegen Wunsch und Handlungsbereitschaft auseinander?

Die Menschen haben eine gewisse Zahlungsbereitschaft für eine gute Tat. Gerade beim Strom, als sehr homogenes Produkt, ist das allerdings schwierig. Denn man sieht dem Strom nicht an, ob er aus Kernkraft oder Photovoltaik stammt. Am Schluss ist diese Bereitschaft natürlich auch begrenzt, weil viele Verbraucher über den Preis optimieren. Viele werden den günstigsten Strom bestellen, den sie bekommen. Bezogen auf den Preis sind der Aufbruchstimmung damit sehr enge Grenzen gesetzt.

Wie kann man die Bereitschaft der Menschen steigern?

Der blosse Appell, effizientere Geräte einzusetzen oder weniger Strom zu verbrauchen, funktioniert nicht. Es ist ein Teil unserer gesellschaftlichen Errungenschaften, dass wir einen gewissen Luxus bei der Mobilität oder elektrischen Geräten haben. Ich glaube nicht, dass es eine Sache der Individuen ist, das in die Hand zu nehmen – es braucht institutionelle Rahmenbedingungen. Ich glaube weniger an Freiwilligkeit. Am Ende wird eine Veränderung über den Preismechanismus gesteuert. Aber nicht im Stil von: Wenn der Preis hoch genug ist, wird weniger Strom konsumiert. Ich denke vielmehr, dass wir hier ganz neu denken müssen, in einem flexibleren Preismodell. Hier spielen Smart Grids, intelligente Netze, eine Rolle, und es kommt ein neuer Begriff dazu: Smart Pricing. Diese Preismechanismen sind meines Erachtens zentral. Damit liessen sich Anreize schaffen, nicht nur weniger, sondern auch zu bestimmten Zeiten Strom zu konsumieren. Die Strompreise sind im Moment zu wenig flexibel.

Intelligente Netze: Hat man zu spät angefangen, sich über solche Innovationen Gedanken zu machen?

Nein, ich glaube, das ist schon länger ein Thema. Einige Netzbetreiber lancieren bereits Pilotprojekte. Daneben wird auch über den regulatorischen Rahmen in Bezug auf die Netztarife nachgedacht. Doch es geht nicht um die Netze alleine, auch die Endgeräte müssen dafür bereit sein. Ein Tiefkühler braucht zum Beispiel nicht 24 Stunden am Tag Strom. Er könnte Strom beziehen, wenn er günstig ist. Das setzt aber wiederum eine intelligente Vernetzung voraus. Wann ist es so weit? Technisch hätten wir bereits alle Möglichkeiten, nötige Informationen in die Haushalte zu bringen oder Informationen dort abzuholen. Allerdings gibt es institutionelle Hürden. Nebst den Anpassungen der Tarifstrukturen bräuchte es auch eine konsequente Marktöffnung.

Ist die Kernkraft ein Auslaufmodell?

Ich glaube, das ist zu absolut formuliert. Nach den Ereignissen in Japan haben wir sehr rasch gehandelt. In anderen Ländern war das nicht der Fall. Vielfach hält man an der Kernenergie fest und möchte sie sogar ausbauen. Möglicherweise werden sich in der Kernkraft neue Technologien entwickeln, beispielsweise eine vierte Generation von Kraftwerken. Diese hätten in puncto Sicherheit für die Stromproduktion weltweit sehr grosses Potenzial.

Wie wichtig sind alternative Energieangebote?

Für ein Unternehmen kann das durchaus sinnvoll sein. Womöglich gibt es Kunden, die entsprechende Präferenzen und auch die Zahlungsbereitschaft haben. Wichtiger aber ist die Tatsache, dass gewisse neue Technologien relevantes Potenzial aufweisen. Aus unternehmerischer Sicht kann es vorteilhaft sein, entsprechendesKnow-how aufzubauen. Ein solches Engagement ist jedoch auch mit unternehmerischen Risiken verbunden. Dabei stellt sich die Frage, ob öffentliche Versorger die richtigen Investoren sind. Ich glaube, dass es falsch wäre, wenn ein Bundesratsentscheid oder eine nationale Gesetzgebung festlegen würde, welche Technologie die Schweiz in Zukunft mit Strom versorgen soll. Der Staat sollte nur die Rahmenbedingungen vorgeben.

Dieses Interview erschien in «EKZ Naturstrom Magazin» im November 2011.