Die Schweiz schneidet in vielen internationalen Vergleichen zur Wettbewerbsfähigkeit und zur Lebensqualität jeweils hervorragend ab. Fast ebenso regelmässig kassiert sie aber schlechte Noten hinsichtlich des Wachstums der Arbeitsproduktivität. In den letzten 20 Jahren (von 1995 bis 2014) betrug es laut den Angaben der OECD im Durchschnitt jährlich 1,2%, während europäische Spitzenreiter wie Polen, die Slowakei, Lettland oder Litauen Raten zwischen 3,8% und 4,7% aufwiesen.

Terrainverlust der Schweiz

Gegenüber Volkswirtschaften mit einem ähnlichen Entwicklungsstand wie die Schweiz belief sich der jährliche Rückstand zwar nur auf 0,1 Prozentpunkte (Deutschland und Frankreich), 0,2 Punkte (Österreich) oder 0,6 Punkte (USA). Aber selbst diese Unterschiede kumulieren sich über die Jahre aufgrund der Exponentialität zu beträchtlichen Differenzen. Dementsprechend war die Schweiz 1970 nach Luxemburg und den Vereinigten Staaten noch das drittproduktivste Land der Welt, und bis 1990 konnte sie sich immerhin in der Spitzengruppe der fünf produktivsten Länder halten. Bis 2014 fiel sie dann aber auf Platz zehn zurück.

Man kann für diese Schwäche viele Gründe ins Feld führen. Gewiss spielt der Basiseffekt eine Rolle – ein Land mit bereits hoher Arbeitsproduktivität hat mehr Mühe, diese noch weiter zu steigern als ein Land mit niedrigerem Ausgangsniveau. Auch die Entwicklung hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft mag eine Rolle spielen. Und natürlich ist es, wie so oft in der ökonomischen Wissenschaft, ziemlich schwierig, überhaupt präzise Aussagen zu machen, weil man auf Schätzungen und Annäherungen angewiesen ist.

Staatsnaher Sektor expandiert

Trotz diesen methodischen Widrigkeiten soll hier ein weiterer Erklärungsfaktor eingeführt werden: Die wirtschaftspolitische Grafik dieses Monats nährt die Vermutung, dass das hohe Wachstum der Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung und in den staatsnahen Bereichen (Erziehung, Gesundheit, Heime und Soziales, Energie und Wasserversorgung) sich negativ auf das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität ausgewirkt hat. Diese «staatliche» Beschäftigung ist in der Schweiz nämlich seit 2009 geradezu explodiert (+3,1 Prozentpunkte), während sie in der OECD insgesamt fast stagnierte (+0,2 Prozentpunkte).

Unsere Grafik zeigt eine Schätzung für die Produktivitätsentwicklung des öffentlichen und des privaten Sektors. Weil es ziemlich schwierig ist, die Produktivität des Staates und staatsnaher Branchen zu erfassen, kommt sie in vielen Produktivitätsberechnungen gar nicht vor. Schliesslich fehlen ja meist Marktpreise, und der deswegen oft getätigte Rückgriff auf die Gestehungskosten widerspricht eigentlich dem Sinn einer Produktivitätsmessung fundamental. Dennoch: Aufgrund mangelnder Alternativen stützen wir uns auf die Bruttowertschöpfung und die Zahl der Beschäftigten in Vollzeitäquivalenten. Das lässt zwar keinen unmittelbaren Vergleich der Daten mit den bisher erwähnten Zahlen der OECD zu; man kann aber dennoch davon ausgehen, dass die Grafiken staatliche Wertschöpfung und Arbeitsproduktivität zumindest annähernd abbilden.

Das Ergebnis ist relativ dramatisch: Einer Produktivitätssteigerung im privaten Sektor um 23% zwischen 1997 und 2013 steht ein Abbau der Produktivität im staatsnahen Bereich um 11% gegenüber. Das ist nicht wirklich überraschend, wenn man die zweite Grafik mit dem Beschäftigungswachstum sieht. In den dargestellten 16 Jahren wuchs die Beschäftigung im öffentlichen Bereich jährlich durchschnittlich etwa dreimal so stark wie im privaten Sektor. Aufgrund der Exponentialität führte das über den ganzen Zeitraum hinweg mit 42% sogar zu einem dreieinhalbmal so hohen Wachstum der Beschäftigtenzahl wie im privaten Sektor.

Gesellschaft ohne Gleichgewicht

Aus diesen Entwicklungen lässt sich eine zentrale Schlussfolgerung ziehen. Die zunehmende Entkoppelung von privatem und öffentlichem Bereich sowohl bei der Produktivität als auch bei der Beschäftigung ist nicht von Gutem, sondern besorgniserregend. Man kann zwar argumentieren, dass es für eine reiche und alternde Gesellschaft normal sei, immer grössere Anteile der Wertschöpfung in die Erziehung, die Gesundheit und die Pflege zu stecken. Dennoch wäre eine Gesellschaft, in welcher der private Sektor mit einem immer kleineren Anteil an der Beschäftigung und einer immer weiter auf die Spitze getriebenen Arbeitsproduktivität einen öffentlichen Sektor finanziert, der wenig produktiv ist, aber immer weiterwuchert, wohl kaum im Gleichgewicht.

Zukunftsträchtiger wären eine Personalbremse für den öffentlichen Sektor (etwa eine, die unterproportionales Wachstum für die öffentliche Verwaltung und zwar überproportionales, aber limitiertes Wachstum für Erziehung, Gesundheit und Pflege vorsähe) und Anstrengungen, auch im öffentlichen Bereich das Produktivitätswachstum deutlich zu steigern.

Dieser Artikel erschien in der «Neue Zürcher Zeitung» vom 27. Februar 2016.

Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.