Die Schweiz sei nicht nur ein Finanzplatz, stellte der Präsident der Nationalbank (SNB) fest, sondern auch ein Platz für Industrie, Gewerbe, Handel und Fremdenverkehr. Er lasse deshalb nicht zu, dass die Frankenstärke zur brutalen Ausschaltung von Unternehmen oder gar ganzen Branchen führe. Als die Ankündigung nichts nützte, band er den Franken an die Währung des wichtigsten Exportraumes und nahm die Gefahr einer starken Inflation in Kauf. Der Franken schwächte sich ab, die Schweizer Exportindustrie erholte sich von ihrer Krise. Das war nicht 2011, sondern 1978. Der mutige Nationalbankpräsident, der gegen seine monetaristische Überzeugung Inflation zuliess, um die Schweizer Industrie zu retten, hiess Fritz Leutwiler. An diese erfolgreiche Intervention erinnerten die Experten, als die SNB letztes Jahr wieder eingriff, weil der Wirtschaft irreparabler Schaden drohte. Bringt die Verteidigung der Kursuntergrenze von 1.20  Franken für den Euro mit allen Mitteln den erhofften Erfolg?

Noch lässt sich die Frage nicht beantworten; die Lage bleibt kritisch, wie sich auch bei einer Gesprächsrunde von Avenir Suisse vor den Sommerferien zeigte. Unternehmer wiesen darauf hin, dass ausländische Konzerne Arbeitsplätze aus der Schweiz abzögen, dass Firmen einheimische Zulieferer durch Konkurrenten aus dem EU-Raum ersetzten und dass die Kostenunterschiede gegenüber einer Produktion etwa in Deutschland so eklatant seien, dass man keine spitze Kalkulation brauche, um das zu erkennen. Viele Schweizer Unternehmen müssten schon bei einem Euro-Kurs von 1.20 Franken ums Überleben kämpfen. Fiele der Euro darunter und bewegte sich in Richtung Parität zum Franken, müssten sie, wie ein Unternehmer sagte, ihren Standort ins Ausland verlegen. In der Heimat dagegen drohe ihnen der Untergang.

Um die Untergrenze für den Euro- Kurs zu verteidigen, musste die Nationalbank allerdings in den vergangenen Monaten für gewaltige Summen Fremdwährungen kaufen und ihre Bilanz entsprechend aufblähen. Wird und kann sie an der Untergrenze festhalten, selbst wenn der Euro-Raum nach dem allfälligen Austritt eines oder mehrerer Länder in weitere Turbulenzen gerät oder gar zerfällt? Das Noteninstitut habe vorläufig keine Alternative, meinen die meisten Geldpolitikexperten. Die Schweiz, in einem gewissen Sinne das am stärksten industrialisierte Land der Welt, würde aufgrund des Währungsschocks nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden. Das wird die Führung der SNB nicht zulassen, wie sie es schon zu Zeiten von Fritz Leutwiler nicht zugelassen hat.

Doch der Eingriff der Nationalbank gewährt den Unternehmen keinen Schutz; er verschafft ihnen lediglich etwas Zeit, um sich anzupassen zwar ohne Schock, aber sehr wohl unter Stress. Auch bei einem Euro-Kurs von 1.20 Franken müssen sie ihre Produktivität steigern, wollen sie die Produktion in der Schweiz nicht ganz aufgeben. Das zeigt der Vergleich mit den siebziger Jahren ebenfalls. Der Bau von Lastwagen oder von Textilmaschinen liess sich in den folgenden Jahrzehnten nicht im Land halten. Und die Uhrenindustrie überlebte nur, weil sie sich 1983 mit der Fusion der beiden Traditionskonzerne SMH und Asuag neu erfand.

Insgesamt steht der Werkplatz Schweiz heute besser da als 1978, gerade weil er sich in langen Perioden mit einem meist starken Franken im globalen Wettbewerb behaupten musste. Das führte dazu, dass sich Branchen und Firmen mit hoher Wertschöpfung durchsetzen. Noch 1990 hatte die Maschinenindustrie einen grösseren Anteil an den Schweizer Exporten als die zweit- und die drittgrösste Branche, Chemie/Pharma und Uhren, zusammen. Seither hat die Pharmaindustrie ihre Exporte auf 61 Milliarden Franken versiebenfacht und ihren Anteil am Export von 9% auf 30% gesteigert. Sie hat sich zum Wachstumsmotor der Schweiz gemausert. Und für die Zukunft erwarten die Experten eine besondere Dynamik von der Uhrenindustrie, also ausgerechnet jener Branche, die nach der Krise der siebziger Jahre hierzulande beinahe verschwunden wäre. Ein zu starker Franken wird also zu Recht als Problem gesehen, ein starker Franken ist dagegen à la longue eher ein Segen.

 

Dieser Artikel erschien in «Go! Das Aussenwirtschaftsmagazin» 
vom September 2012.