Wirtschaftswachstum steht heute – wie schon zu Beginn der 1970er-Jahre – wieder in der Kritik: Verschiedene Kreise fordern eine Abkehr vom «Paradigma des Wachstums». Während ein Teil der Wachstumsskeptiker düstere Prognosen eines versiegenden Wachstums an die Wand malt, betonen andere die unerwünschten Begleiterscheinungen einer fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung. Ein komplettes Versiegen des Wachstums ist jedoch weder realistisch noch wünschenswert. Die Lösung für die aktuellen Probleme der Industrieländer liegt nicht in einem Verzicht auf Wachstum, sondern vielmehr im Verzicht, auf Kosten anderer und kommender Generationen zu leben.
Gerade in den letzten Jahren stellte sich vermehrt die Frage, ob Volkwirtschaften immer weiter wachsen können. An düsteren Prognosen eines versiegenden Wachstums fehlt es nicht. Eine langfristige Betrachtung der Wachstumsentwicklung stützt solche Prognosen jedoch nicht. Zwar kann seit den 1970er-Jahren ein gewisser Rückgang des Trendwachstums festgestellt werden. Dafür verlief die wirtschaftliche Entwicklung weniger volatil als in der Vergangenheit: Boom- und Rezessionsphasen fielen weniger heftig aus und erlaubten einen stabileren Wirtschaftsverlauf. Es gibt gute Gründe, weshalb kein komplettes Versiegen des Wachstums zu erwarten ist. In den Industrieländern ist heute der wichtigste Wachstumstreiber der technische Fortschritt. Dieser lässt sich – wie die Geschichte zeigt – nicht erzwingen, aber auch nicht gänzlich unterbinden. Wahrscheinlich ist, dass auch in Zukunft kleinere und grössere Innovationen getätigt werden, die zu einem gewissen Wachstum führen – unabhängig davon, ob dieses als gut, schlecht, zu hoch oder zu tief empfunden wird.
Wachstum als Notwendigkeit?
Dass Wachstum unerwünschte Begleiterscheinungen haben kann, ist unbestritten. Forderungen, deshalb möglichst auf Wachstum und Wohlstand zu verzichten, schütten jedoch das Kind mit dem Bade aus, denn dadurch würden auch Innovationen verhindert, die zu einem besseren Wohlergehen der Menschheit beitragen. Hand aufs Herz: Wer würde sich schon ernsthaft Zeiten ohne Farbfernsehen, Computer, Handy und Waschmaschine zurückwünschen? Zeiten, in denen es für viele Krankheiten noch keine Behandlungen gab und die Kinder- und die Müttersterblichkeit hoch waren? Und wer könnte es moralisch vertreten, solche Vorteile des technischen Fortschritts für sich zu beanspruchen, sie jedoch Menschen in weniger entwickelten Regionen zu verweigern?
Eher nachvollziehbar sind hingegen Bedenken gegenüber einem «Wachstumszwang »: Zentrale gesellschafts- und wirtschaftspolitische Bereiche sowie Institutionen sind heute auf stetiges Wachstum angewiesen. Fällt es zu gering aus, besteht die Gefahr, dass einzelne Länder ihre Staatsverschuldung endgültig nicht mehr tragen können, sich die Finanzierungslücken in Altersvorsorge, im Gesundheits- und Bildungswesen nochmals verschlimmern und der soziale Ausgleich gefährdet wird.
Wachstums nicht künstlich anheizen
Ein Anheizen des Wachstums über expansive Geld- und konjunkturstimulierende Fiskalpolitik ist hierbei keine Antwort auf diese Herausforderungen, denn solches Wachstum kann niemals nachhaltig sein. Erst der Verzicht auf strukturerhaltende Massnahmen ermöglicht ein qualitatives Wachstum. Die beste Wachstumspolitik ist deshalb die Beseitigung aller das Wachstum und das Unternehmertum behindernden Regulierungen unter gleichzeitiger Aufhebung aller spezifischen, auf einzelne Regionen, Märkte, Produkte und Unternehmen fokussierten Förderung.
Diese Absage an gezielte staatliche Lenkung darf jedoch nicht als Votum für Untätigkeit missverstanden werden. Die geschilderten Probleme der heutigen Industrieländer müssen umgehend angepackt werden und zwar mit konkreten Massnahmen. Eine wirksame Schuldenbremse würde helfen, überbordende Staatsverschuldung und Finanzierungslücken in den Vorsorgewerken in den Griff zu bekommen. Eine liberale Ausgestaltung des Arbeitsmarktes und eine umsichtige Bildungspolitik können dazu beitragen, Arbeitslosigkeit zu verhindern und den sozialen Ausgleich zu fördern. Höhere Kostenwahrheit im (öffentlichen und privaten) Verkehr könnte die Belastung der Infrastruktur mindern und die Umweltqualität verbessern. Marktgerechte und zeitlich ausdifferenzierte Elektrizitätspreise würden korrekte Knappheitssignale aussenden und zu einem effizienten Umgang mit Ressourcen beitragen.
Viele der von den Wachstumsskeptikern angesprochenen Probleme könnten so einer Lösung zugeführt werden. Diese Lösungen liegen allerdings nicht im Verzicht auf Wachstum, sondern viel eher im Verzicht, auf Kosten anderer und auf Kosten kommender Generationen zu leben.
Dieser Artikel erschien im Magazin «Die Volkswirtschaft» vom 5. Februar 2015.