Alexander von Däniken: Rudolf Walser, die Universität Luzern will eine neue Wirtschaftsfakultät aufbauen. Ist das sinnvoll?

Rudolf Walser: Die Frage ist: Müssen Unis und Hochschulen, um besser zu werden, überhaupt wachsen? Hier ist grosse Skepsis angesagt.

AvD: Warum?

Walser: Schauen wir uns einmal die Entwicklung der renommierten Unis an. Entweder weisen sie nur ein kleines Wachstum auf, oder die Studentenzahlen sind seit Jahren stabil. Diese Unis verfolgen nämlich eine Qualitäts- und nicht eine Quantitätsstrategie. Ausserdem ist in der Schweiz die Rollenverteilung zwischen Unis und Fachhochschulen immer weniger klar. Das Motto «gleichartig, aber andersartig» verkommt je länger je mehr zu einer hohlen Phrase. Die Vorstellung, dass die Unis Grundlagenforschung anbieten und die Hochschulen Anwendungsforschung betreiben, ist in der Realität längst überholt. Diese Fragen gilt es in der Schweiz, aber auch in Luzern zuerst einmal zu klären.

AvD: Die Uni Luzern argumentiert aber, dass sie wachsen müsse, um nicht im Niemandsland der Schweizer Uniwelt zu landen.

Walser: Diese Argumentation überzeugt mich nicht. Das kalifornische Pendant zur ETH, die Caltech in Pasadena, hat immer um die 2000 Studenten und einen hervorragenden Ruf. Die Uni Luzern muss nicht wachsen. Sie kann auch mit dem jetzigen Bestand von 2700 Studenten einen Spitzenplatz erreichen.

AvD: Was braucht es dazu?

Walser: Einen hervorragenden Lehrkörper, Präsenz in der renommierten Fachliteratur, eine hochwertige Nachwuchsförderung und eine gute Selektion der Studenten.

AvD: Wie? Die Uni soll die Studenten aussuchen?

Walser: Das machen die renommierten Unis auch. Leider haben wir in der Schweiz das Problem, dass die Maturität gleich das Eintrittsticket in eine beliebige Uni darstellt. Es muss zumindest diskutiert werden, ob wir nicht von diesem System abkommen. Beispielsweise sollten die Maturanden die Uni oder Hochschule mit bestem Ruf aussuchen können, während die Uni oder Hochschule die zukünftigen Studenten nach deren Fähigkeiten aussucht. Eine Uni kann also Maturanden abweisen, wenn diese den Anforderungen nicht genügen. So funktioniert es schliesslich auch in der Realwirtschaft.

AvD: Die im Jahr 2001 gegründete Uni Luzern hat drei Fakultäten: Theologie, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie Rechtswissenschaften. Sind drei Fakultäten nicht zu wenig?

Walser: Es würde reichen, wenn die Uni Luzern in den drei bisherigen Fakultäten die Qualität wie oben erwähnt erhöht, um sich einen nationalen oder gar internationalen Ruf zu erarbeiten.

AvD: Die Wirtschaftsfakultät würde den Kanton Luzern gemäss einem Planungsbericht der Uni jährlich 1,44 Millionen Franken kosten. Dabei ist die finanzielle Lage im Kanton angespannt. Lohnt sich die Investition?

Walser: Wenn der Kanton Luzern und die Uni das wollen, sollen sie es machen. Trotzdem bleibt die Argumentation «gute Uni gleich wachsende Uni», die so nicht stimmt, wie ich vorher ausgeführt habe.

AvD: Insgesamt rechnet die Uni für die neue Fakultät mit jährlichen Betriebskosten von rund 10 Millionen Franken. Kann damit die neue Fakultät überhaupt betrieben werden?

Walser: Die Schätzung erachte ich als realistisch, wenn man von den heutigen durchschnittlichen jährlichen Kosten für die Lehre pro Student in den Wirtschaftswissenschaften ausgeht, eine mittlere Inflation von 1,5 Prozent unterstellt und die Studiengebühren konstant hält. Schwierig zu prognostizieren ist jeweils die Finanzierung der Forschung, wo die Drittmittel bekanntlich im Wettbewerb eingefahren werden müssen.

AvD: Die Hochschule Luzern hat bereits eine Abteilung Wirtschaft. Diese würde laut Uni nicht konkurrenziert, da der Fokus auf Grundlagenforschung gelegt werde.

Walser: Diese Angebotstrennung besteht nur in den Köpfen einiger Bildungspolitiker. Die Realität ist spätestens unter dem Einfluss der Bologna-Reform eine andere. Unis und Hochschulen gleichen sich in vielen Disziplinen immer mehr an. Eine Lösung bestünde zum Beispiel darin, den Bachelor an den Fachhochschulen anzubieten und den Master und das Doktorat an den Unis. Denn die angewandte Forschung hat in den Bachelor-Studiengängen der Hochschulen sowieso zu wenig Platz.

AvD:Würde diese Angebotsteilung in Luzern funktionieren?

Walser: Ja, das kann funktionieren. Mehr Sinn macht es allerdings, wenn diese Idee in der ganzen Schweiz diskutiert würde.

AvD: In St. Gallen, Lausanne oder Zürich haben die Wirtschaftsfakultäten einen hervorragenden Ruf. Laut der Uni Luzern ist es aber kein Problem, sich mit der neuen Fakultät der harten Konkurrenz zu stellen, da laut Studien fast alle Studenten aus finanziellen Gründen die nächstgelegene Uni aufsuchen.

Walser: Die Uni St. Gallen stösst trotz Ausbau schon bald wieder an Kapazitätsgrenzen. Unter diesem Aspekt ist die neue Fakultät in Luzern sicher machbar. Ob die Studenten sich allerdings für ein Wirtschaftsstudium an der Universität Luzern entscheiden, hängt aber wieder von der Qualität ab.

AvD: Dazu braucht es in Luzern aber beispielsweise viele Top-Professoren und -Dozenten.

Walser: Genau. Studien besagen, dass die Schweiz wahrscheinlich nur Ressourcen hätte für drei oder vier Unis und Hochschulen mit weltweiter Ausstrahlungskraft. Dann blieben drei oder vier Plätze für Unis und Hochschulen auf europäischem Top-Niveau. Und der Rest müsste sich mit nationaler Qualität begnügen. Solchen Fragen wird aber ausgewichen. Wie übrigens auch jener über die Höhe der Studiengebühren. Bevor keine Grundsatzdiskussion geführt wird, betreiben Uni- und Hochschulstandorte höchstens Pflästerlipolitik.

Dieses Interview erschien am 29. Februar in der «Neue Luzerner Zeitung».
Mit freundlicher Genehmigung der «Neue Luzerner Zeitung».