Nico Menzato: Wieso ist die Schweiz für Zuwanderer so attraktiv, Herr Müller-Jentsch?

Daniel Müller-Jentsch: Dafür gibt es viele Gründe. Hohe Löhne, tiefe Arbeitslosigkeit, ein dichtes Netz internationaler Firmen, politische Stabilität, niedrige Steuern und Staatsschulden, wirtschafts-freundliche Politik, erstklassige Infrastruktur, hohe Lebensqualität, zentrale Lage in Europa – und sehr wichtig – Mehrsprachigkeit. Zudem ist die attraktive Schweiz im Vergleich zu vielen kriselnden EU-Staaten in den letzten Jahren noch attraktiver geworden. Hyperattraktiv quasi.

Ist das längerfristig positiv für die Schweiz?

In den letzten Jahren haben die Vorteile der Zuwanderung eindeutig überwogen. Die Schweiz boomte – selbst in der Krise. Doch allmählich verschiebt sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Die negativen Begleiterscheinungen der Zuwanderung – Infrastrukturüberlastung, steigende Immobilienpreise und Zersiedlung – werden spürbarer. Auch Überfremdungsängste müssen ernst genommen werden.

Was kann die Schweiz trotz Personenfreizügigkeit tun?

Einerseits die negativen Begleiterscheinungen anpacken. Denn die sind nicht allein auf die Zuwanderung zurückzuführen. Zersiedelung ist auch die Folge einer zu laxen Raumplanung. Überlastete Verkehrsinfrastruktur ist auch eine Folge des subventionierten, also zu billigen Verkehrs.

Wie kann die Zuwanderung sonst gedrosselt werden?

Mittels Feinsteuerung. Etwa durch Einschränkung des Familiennachzugs, restriktivere Asylpolitik oder Abschaffung von Standortsubventionen durch staatliches Standortmarketing oder firmenspezifische Steuerdeals. Helfen könnte auch der starke Franken, denn er dämpft das Wirtschaftswachstum und somit die Zuwanderung.

All dies würde die Zuwanderung aber nur wenig senken.

Eine gewisse Drosselung würde schon helfen.

Und für eine stärkere Drosselung müsste man die Personenfreizügigkeit kündigen?

Ja, aber der Preis dafür wäre hoch. Man würde die bilateralen Verträge als Ganzes aufs Spiel setzen. Eine Rückkehr zu Kontingenten in der Migrationspolitik würde mehr neue Probleme schaffen als alte lösen.

Noch kurz zu Grossbritannien, wo die starke Zuwanderung ebenfalls beklagt wird. Wieso zieht es so viele Menschen dorthin?

Vier Gründe. Englisch ist Weltsprache Nummer eins. Zweitens: Personen aus dem früheren britischen Kolonialreich – etwa Inder oder Amerikaner – zieht es nach wie vor nach Grossbritannien. Generell ist die Einwanderungspolitik dort gegenüber Personen von ausserhalb der EU recht grosszügig. Und viertens ist die globale Wirtschaftsmetropole London einfach eine attraktive Stadt.

Dieses Interview erschien im SonntagsBlick vom 10. Februar 2013.