Reflexionen über einen möglichen moralischen Grundkonsens aus Anlass einer Buchvernissage
Ist die Finanz- und Schuldenkrise auch eine Krise der Werte? Wie könnte ein moralischer Grundkonsens aussehen, den eine gedeihlich funktionierende Gesellschaft und eine freiheitliche Wirtschaftsordnung voraussetzt? Kann es einen solchen überhaupt geben? Diese Fragen standen am Freitag im Zentrum der Vorträge an der Buchvernissage von «Der Wert der Werte», herausgegeben von Karen Horn vom Institut der deutschen Wirtschaft und Gerhard Schwarz vom Think Tank Avenir Suisse.
Schwarz ging in seiner Rede auf Bewegungen wie «Occupy Wall Street» ein, die ihre Kritik auf die Moral von Akteuren in Banken richten. Es gelte, die Protestbewegung ernst zu nehmen und nicht als «billigen Moralismus» zur Seite zu schieben, zeige sie darin doch ein tiefsitzendes Unbehagen in der Gesellschaft. Laut Schwarz sind Markt und Moral kein Gegensatz, vielmehr ergänzten sie sich gegenseitig. Der Avenir Suisse-Direktor setzt sich für Werte als Anreicherung des Liberalismus ein, dabei sei aber der offene Diskurs über sie wichtig. Dies unterscheide Liberale mit Werten von Konservativen und Sozialisten, die ihre Werte der ganzen Gesellschaft überstülpen wollten.
Horn ergänzte, Werte seien immer ein Stück weit subjektiv. Sie ergäben sich aus der Vernunftbegabung, aus der Interaktion zwischen Menschen, aber auch aus religiöser Praxis und göttlicher Eingebung. Laut den Autoren sind Werte das, was Menschen absolut setzen und um ihrer selbst willen anstreben. Der akzeptierte gemeinsame Wertekanon einer Gesellschaft mache in grossen Teilen deren Kultur aus. Im Buch umfasst ein möglicher Dekalog die Grundwerte Gerechtigkeit; gesittete Menschlichkeit; Vergebung; Verlässlichkeit; Hingabe; Freiheit und Verantwortung; Nächstenliebe; Demut; Dienstbereitschaft; Reflexion, Nachdenklichkeit und Besinnung.
Christoph Frei von der Universität St. Gallen äusserte in seiner Rede Besorgnis darüber, dass Werte in der Politik zunehmend missbraucht würden. Ein «störendes Moralisieren» gehöre zum politischen Geschäft. Als Beispiel nannte er die Aussage des französischen Präsidenten Sarkozy von Anfang November, wonach eine Finanztransaktionssteuer moralisch unumgänglich».
Pfarrer Peter Ruch aus Küssnacht am Rigi definierte drei Axiome einer guten und soliden Werteordnung. Zunächst einmal sei dies die Freiheit. Diese sei stets gefährdet und werde durch den «Sozialstaat», der von sich behaupte, er sei moralisch höherstehend, zurückgedrängt. Als zweites Axiom nannte Ruch Frieden. Dieser spiele schon in den Zehn Geboten eine Rolle und sei in Zeiten, in denen der gesellschaftliche Konsens schwinde, in Gefahr. Das dritte Axiom ist Eigentum. Bereits das Gebot «Du sollst nicht stehlen» setze implizit Eigentum voraus, sagte Ruch.
Dieser Artikel erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» am 03.12.2011. Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.