Sie führen manchmal zu ganz üblen Auswüchsen, die Debatten um die Gebietszugehörigkeiten. Das müsste nicht sein, sagt Daniel Müller-Jentsch (42), Projektleiter bei Avenir Suisse mit den Fachgebieten räumliche Entwicklung, Standortwettbewerb und Zuwanderung. Er fordert mehr Sachlichkeit. Und mehr Mut.
Michael Rockenbach: Sind Sie überrascht, dass die von den Grünen aufgebrachte Forderung nach einem Zusammenschluss der beiden Basel nun auch von den Wirtschaftsverbänden unterstützt wird?
Daniel Müller-Jentsch: Keineswegs. In den Unternehmen denkt und handelt man schon lange in grösseren Zusammenhängen. Die wirtschaftlichen und sozialen Realitäten haben mit den kleinräumigen politischen Strukturen nur noch sehr wenig gemein. Viele Firmen sind weltweit aktiv und auch ihre Mitarbeiter überwinden beim Pendeln tagtäglich Gemeinde und Kantonsgrenzen, ohne dass sie das noch gross wahrnehmen. Es ist darum schon erstaunlich, dass es in der Schweiz seit Gründung des Bundesstaates 1848 noch keine Kantonsfusion gab.
Muss sich die Politik denn immer den wirtschaftlichen Gegebenheiten anpassen und nach Grösse streben? Die Probleme, die ein Gebilde wie die EU hat, sprechen doch eher dagegen.
Der kleinteilige Föderalismus Schweizer Prägung ist zweifellos ein Erfolgsmodell vor allem auch im europäischen Vergleich. Die föderalen Strukturen müssen aber dennoch von Zeit zu Zeit den neuen Realitäten angepasst werden. Es geht nicht darum, das bestehende Modell abzuschaffen, sondern es behutsam weiterzuentwickeln.
Ist es ein Zufall, dass das Thema einer Kantonsfusion nun in der Region Basel aufkommt?
Nein. Die Region Basel ist in der Schweiz das Gebiet, in dem sich die Lebens- und Wirtschaftsräume am stärksten von den politischen Grenzen gelöst haben. Der Metropolitanraum erstreckt sich über Dutzende von Gemeinden, mehrere Kantone und drei Länder. Sehr speziell ist auch, dass die Kernstadt von ihrer Agglomeration durch eine Kantonsgrenze vollständig getrennt wird. Wenn eine Kantonsfusion in der Schweiz irgendwo diskutiert werden muss, dann hier.
Eine Wiedervereinigung der beiden Basel könnte das schweizweit eine Dynamik in die Debatte um Gebietsreformen bringen?
Mir erscheint die Zeit reif, um über Kantonsfusionen zumindest einmal ernsthaft zu diskutieren. Auf Gemeindeebene ist die Neuordnung der alten Strukturen bereits in vollem Gange: In den vergangenen zehn Jahren haben in der Schweiz mehr Gemeinden fusioniert als in den 150 Jahren zuvor und die Erfahrungen mit diesen Gebietsreformen sind überwiegend positiv. Kantonsfusionen dagegen sind tabuisiert. Ich würde mir auch auf dieser Ebene etwas mehr Mut, etwas mehr Aufgeschlossenheit wünschen.
Auf Gemeindeebene sind auch die Probleme grösser. Im ganzen Land gibt es überall Dörfer, denen es fast nicht mehr gelingt, die vielen Ämter zu besetzen. Sie müssen handeln. Den Kantonen geht es dagegen noch immer viel besser.
Das ist tatsächlich so. Die Personalnot ist in den Gemeinden wesentlich grösser und damit auch der Leidensdruck. Das kann auch sein Gutes haben. In Glarus etwa war die radikale Gemeindereform aus der Not geboren, rückblickend ist man aber froh über den Mut der Verzweiflung. Es herrscht weiterhin eine Art Aufbruchstimmung. Gleichzeitig stimmt es, dass die Kantone ihre Aufgaben bisher meist professionell und effizient erfüllen.
Auf Baselland trifft das nur sehr bedingt zu. Der Kanton hat erhebliche Finanzprobleme und eine Regierung ohne wirkliche Strategie zur Lösung der Probleme. Welchen Einfluss wird das auf die Fusionsdebatte haben?
Das ist eine interessante Situation: In den Agglomerationen beobachten wir normalerweise kaum Gemeindefusionen, da die reicheren Gemeinden im Speckgürtel wenig Anreiz haben, sich mit einer ärmeren Kernstadt zusammenzuschliessen. Im Verhältnis der beiden Basel scheint sich dieses Verhältnis nun umzukehren, allerdings auf kantonaler Ebene. Basel-Stadt erscheint plötzlich als attraktive Braut. Welche Kraft dieser Reiz im Hinblich auf die Abstimmung entfalten wird, ist allerdings schwierig zu sagen, weil in Debatten um Gebietsreformen immer auch viel Emotionales mitschwingt.
Es gibt eben Menschen, die befürchten, sie hätten in einem grösseren politischen Gebilde weniger zu sagen.
Das ist im Fall der aktuellen Debatte in der Region Basel unbegründet. Nach einer Wiedervereinigung hätte der neue Kanton 460’000Einwohner. Das entspricht der Grösse von Kantonen wie Genf oder St. Gallen und ist deutlich kleiner als Zürich oder der Aargau. Von einem politischen Moloch kann also keine Rede sein. Hinzu kommt, dass die beiden Basel ja schon jetzt einen gemeinsamen Lebensraum und eine gemeinsame Wirtschaftsregion bilden. Statt sich im kleinräumigen Wettbewerb zu bekriegen, sollte man die Energien lieber darauf verwenden, den eigenen Standort im Wettbewerb mit anderen grossen Wirtschaftsregionen voranzubringen.
Reicht ein Zusammenschluss einzelner Kantone überhaupt? Oder denken Sie schon weiter? An einen Kanton Nordwestschweiz?
Sachte, sachte, kann ich da nur sagen. Nur schon zwei Kantone zusammenzubringen, ist ein langer und heikler Prozess. So etwas muss wachsen, in vielen Gesprächen und Debatten, die durchaus auch kontrovers geführt werden dürfen. Die Erfahrung auf Gemeindeebene lehrt: Fusionsprojekte müssen gut vorbereitet werden, damit die Menschen mit sachlichen Argumenten überzeugt und auch emotional mitgenommen werden können.
Sie sprechen von «kontroversen Debatten». Das ist vornehm ausgedrückt. Die Auseinandersetzung um den Wechsel des Laufentals von Bern zu Baselland dauerte Jahre und war ziemlich hässlich; es gab Bombendrohungen und es brachen ganze Familien und Dorfgemeinschaften auseinander. Haben Sie keine Angst, dass sich die Geschichte in der Debatte um einen neuen Kanton Basel wiederholt?
Man sollte viel lieber an die grosse Chance denken, als sich von der Angst leiten zu lassen. Dabei ist es wichtig, dass alle Fakten auf den Tisch kommen, die Argumente für und wider eine Fusion sorgsam gegeneinander abgewogen werden, ehe der Entscheid gefällt wird, der für die Region Basel und die ganze Schweiz wegweisend sein kann. Diese Region kann jetzt eine Pionierleistung erbringen.
Dieser Artikel erschien in der «Tageswoche» vom 5. April 2012.