Aktuell werden Unterschriften für die Volksinitiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV» gesammelt. Der liberale Thinktank Avenir Suisse hat gestern ein Buch zur Steuerpolitik vorgestellt, in dem dieser Vorstoss kritisiert wird. Gerhard Schwarz, Avenir-Suisse- Direktor und früher stellvertretender NZZ-Chefredaktor, sowie Rudolf Walser, ehemaliger Chefökonom beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und heute ebenfalls bei Avenir Suisse, befürchten Nachteile für Unternehmen durch die geforderte Steuer.

BaZ: Herr Schwarz, Herr Walser – die Unterschriftensammlung zur Initiative für eine Bundeserbschaftssteuer läuft seit August. Unterschreiben Sie auch?

Gerhard Schwarz: Nein.

Weshalb nicht?

Weil eine Erbschaftssteuer in der steuerpolitischen Landschaft der Schweiz schlicht und ergreifend keine Rechtfertigung hat.

Das Steuerrecht ist komplex: Da klingt eine Erbschaftssteuer mit einem Steuersatz von 20 Prozent und einem Freibetrag von zwei Millionen Franken einfach. Das ist doch nichts, was man von vornherein ablehnen müsste.

Im Gegenteil. Wir sollten unser Steuersystem einfach halten und nicht viele verschiedene Steuern haben wie etwa eine zusätzliche Erbschaftssteuer. Und so einfach ist diese auch nicht, weil sie eine Fülle von Ausnahmen hätte und damit eben auch dieser Anforderung nicht gerecht würde.

Rudolf Walser: Vergessen Sie nicht, dass in der Schweiz bereits eine Vermögenssteuer existiert. Diese ist im internationalen Vergleich hoch. Die Schweiz wäre dann im Kreis der OECD-Länder das einzige Land, das sowohl eine Vermögens- als auch eine Erbschaftssteuer in dieser Höhe hätte. Das wäre ökonomisch nicht sinnvoll.

Bei der Initiative zur Erbschaftssteuer steht die Finanzierung der AHV im Zentrum. Ist es denn nicht ein nachvollziehbarer Ansatz, die Altersversorgung der Menschen zu sichern, da diese in der Zukunft immer teurer wird?

Schwarz: Für mich ist gerade das ein zusätzliches Ärgernis an dieser Initiative. Sie widerspricht dem staatsrechtlichen Grundsatz der Einheit der Materie. Ich halte das für eine geschickte, aber letztlich unzulässige Verknüpfung von zwei Fragen: Die eine ist die der Umverteilung, denn um nichts anderes geht es bei einer Erbschaftssteuer. Aber indem diese Frage kombiniert wird mit der AHV-Finanzierung, sagen womöglich mehr Leute Ja dazu, nur weil sie die Probleme der AHV lösen wollen.

Walser: Wir gehen davon aus, dass wir zukünftig viel höhere Finanzierungsbedürfnisse in der AHV haben werden, als dass sie mit den zwei Milliarden aus einer möglichen Erbschaftssteuer gelöst werden könnten. 2025 dürften 2,5 Milliarden Franken fehlen, bis 2030 sogar fünf Milliarden Franken. Wenn wir die AHV nachhaltig auf diese Weise finanzieren wollten, müsste die Erbschaftssteuer sehr schnell erhöht werden.

Sie befürchten Nachteile für kleine und mittlere Unternehmen, KMU, wenn die Initiative Erfolg hätte. Warum?

Eine Erbschaftssteuer beeinträchtigt die Finanzierung der Firmen und deren Innovationsanstrengungen. Konkrete Zahlen gibt es zwar nicht, aber man kann davon ausgehen, dass ungefähr 40 Milliarden Franken jährlich in der Schweiz vererbt werden. Da ist sicher ein ganz grosser Teil an Unternehmensanteilen und Liegenschaften dabei. Deshalb wären nicht nur die KMU, sondern auch grössere Firmen in der Unternehmensnachfolge durch so eine Steuer ganz erheblich betroffen.

Inwiefern?

Ja, wenn Sie von Vermögenswerten über zwei Millionen Franken 20 Prozent abziehen, sind das ganz erhebliche Beträge.

Schwarz: Aus meiner Sicht haben Sie nur zwei Möglichkeiten. Entweder Sie sagen: Unternehmen zahlen diese 20 Prozent. Dann führt das dazu, dass die Erben womöglich etwas verkaufen müssen, was diese sonst aus ökonomischen Überlegungen gar nicht verkaufen würden. Oder Sie nehmen alle Unternehmen von der Steuer aus. Dann entsteht erst recht ein System, das noch bürokratischer, noch aufwendiger wird.

Mir fällt auf, dass die Initiative Ermässigungen vorsieht, wenn Unternehmen innerhalb der Familie vererbt werden. Diese werden aber nicht beziffert.

Schwarz: Das ist politische Schlauheit.

Walser: So kann man im Moment behaupten, man trifft ja nicht die kleinen und mittleren Unternehmen, sondern nimmt nur die ganz Grossen ins Visier.

Apropos Visier. Wen wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen?

Schwarz: Das ist eine Frage, die sich ja nicht nur auf dieses Buch bezieht, sondern letztlich auf die ganze Arbeit von Avenir Suisse. In einem direktdemokratischen System wie dem unseren muss sich ein Thinktank noch ausgeprägter als in anderen Ländern über die Öffentlichkeit an die Entscheidungsträger richten. Zum einen geschieht das über die Medien. Politiker in der Schweiz reagieren noch ein bisschen mehr auf öffentliche Diskussionen als Politiker in anderen Ländern. Wir richten uns mit dem Buch aber auch direkt an die Volksvertreter in Bern.

Dieses Interview erschien in der «Basler Zeitung» vom 21. Januar 2012.
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie im Avenir-Suisse-Buch «Steuerpolitische Baustellen».