Die Bevölkerung ist in der Schweiz seit 1980 stetig gewachsen wird dies weiter tun. Aktuell beträgt der jährliche Nettozuzug rund 70’000 Personen und dies auf absehbare Zeit hinaus, wie der Avenir Suisse-Ökonom Daniel Müller-Jentsch im Gespräch mit AWP erklärte. Die Frage steht im Raum, wo diese Menschen alle wohnen sollen und wie gleichzeitig der anhaltenden Zersiedelung des Schweizerischen Mittelandes Einhalt geboten werden kann. Hier setzt das revidierte Raumplanungsgesetz an, über welches am 3. März abgestimmt wird.

Gemessen an den derzeitigen Baulandreserven hätte es noch Platz für weitere 1 bis 2 Mio Einwohner. Doch diese Reserveflächen sind grösser, als das Bundesrecht erlaubt. Müller-Jentsch, der neben seiner Tätigkeit bei Avenir Suisse auch Mitglied in dem vom Bundesrat eingesetzten Rat für Raumordnung ist, sieht daher im revidierten Raumplanungsgesetz Chancen, die Vollzugsdefizite in der Raumplanung zu beseitigen. Die Revision sei aber auch aus liberal-ökonomischer Sicht sinnvoll. Denn jedes Jahr entstehe ein Planungsmehrwert von mindestens 2 Mrd CHF, der per Zufall einigen Wenigen zukomme, so Müller-Jentsch. Er hält es deshalb für legitim, von dem Mehrwert 20 bis 30% abzuschöpfen. Mit diesen Mitteln soll dann die Rückzonung der überdimensionierten Baulandflächen finanziert werden.

AWP: Was ist bei der Raumplanung die grösste Herausforderung?

Daniel Müller-Jentsch: Unserer Meinung nach ist das die Kanalisierung des rasanten Siedlungswachstums.

Wie rasant wächst denn die Schweiz?

Die Einwohnerzahl der Schweiz ist seit 1980 um 1,5 Mio gestiegen. Das ergibt ein langfristiges Trendwachstum von 50’000 Personen pro Jahr. Aktuell beträgt der jährliche Nettozuzug eher 70’000 Personen. Dies bedeutet, dass jedes Jahr eine Stadt der Grösse St. Gallens über das Land verteilt neu aufgebaut werden muss. Und dies auf absehbare Zukunft hinaus.

Für wie viele Menschen hat es hier noch Platz?

Neben der bestehenden Siedlungsfläche gibt es derzeit Baulandreserven in der Grösse von 30’000 bis 40’000 Hektar, was ausreichen würde, um 1 bis 2 Mio Menschen problemlos unterzubringen ohne das in dem bestehenden Siedlungsgebiet verdichtet werden muss.

Wie gross darf die Fläche der Baulandreserven überhaupt sein?

Das seit 1980 im Bundesrecht verankerte Raumplanungsgesetz schreibt eine 15-Jahres-Regel vor, das heisst, das Bauland für einen Bedarf von 15 Jahren in Reserve gehalten werden darf. Gegen diese Regel wurde aber in den letzten Jahren in manchen Kantonen zum Teil massiv verstossen. So besitzen einige Kantone und Gemeinden Baulandreserven, die dem doppelten bis vierfachen des tatsächlichen Bedarfs der nächsten 15 Jahre entsprechen.

Welche Kantone sind das?

Das Extrembeispiel ist der Kanton Wallis. Dort wurde für einen Bedarf von etwa 50 Jahren eingezont. Und im Kanton Waadt haben zwei Drittel der Gemeinden mehr als das doppelte der Fläche eingezont, als nach Bundesrecht erlaubt ist und ein Drittel der Gemeinden hat sogar mehr als das Fünffache des Bedarfs eingezont. Es gibt also ein eklatantes Vollzugsdefizit bezüglich der seit 30 Jahre gültigen Regeln.

Wie soll mit dem revidierten Raumplanungsgesetz der Vollzug gesichert werden?

Inhaltlich bringt die Revision wenig Neues. Es handelt sich bei dem neuen Raumplanungsgesetz eher um ein Ausführungsgesetz des alten, als um ein neues zusätzliches Gesetz. Es gibt eigentlich keine neuen Instrumente, nur eine verbindlichere Fassung von alten Regeln.

Zum Beispiel?

Neu ist beispielsweise, dass die Kantone ihre Bauzone netto nicht ausweiten dürfen, bis sie ihre Richtpläne so angepasst haben, dass sie mit dem Bundesrecht übereinstimmen. Eine weitere Neuerung ist ein bundesrechtliches Minimum für die Mehrwertabschöpfung, falls die Kantone diese nicht selber umsetzen.

Was ist damit gemeint?

Im bisherigen Raumplanungsgesetz werden die Kantone zwar auch verpflichtet, substanzielle Planungsmehr- und -minderwerte auszugleichen. Das hat im Fall der Planungsminderwerte, also bei Rückzonungen, wo die Eigentümer für den Verlust ihres Baulands entschädigt werden, funktioniert. Nicht vollzogen wurde dagegen der Ausgleich von Planungsmehrwert, insbesondere bei Einzonungen, wo der Quadratmeterpreis quasi über Nacht durch staatlichen Planungseingriff von 10 CHF pro Quadratmeter auf 400 bis 1’500 CHF hochschnellt. Neu gilt nach Bundesrecht ein doppeltes Minimum: Mindestens 20% des Mehrwerts und dies zumindest bei Neueinzonungen.

Diese Mehrwertabgabe ist den Gegnern der Vorlage, wie dem Schweizerischen Gewerbeverband, ein Dorn im Auge. Warum überhaupt eine neue Steuer?

Wie gesagt, neu ist die Mehrwertabgabe ja nicht. Und klar: Avenir Suisse ist in der Regel gegen neue Abgaben und Steuern. Aber in diesem Fall handelt es sich um ein unverdientes Einkommen in dem Sinne, dass die Wertsteigerung des Grundstücks nicht durch eine wertschöpfende Handlung des Grundstückeigentümers verursacht wird. Vielmehr handelt es sich dabei ökonomisch gesehen um eine Rente und diese wird durch einen hoheitlichen Planungsakt verursacht und fällt quasi per Zufallsprinzip einigen wenigen Menschen zu, die meisten davon Landwirte.

Über welche Grössenordnung reden wir hier eigentlich?

Landesweit entsteht allein durch Neueinzonung ein Planungsmehrwert von mindestens 2 Mrd CHF jährlich. Und es ist unserer Meinung nach aus liberal-ökonomischer Sicht legitim, dass ein Teil dieses Planungsvorteils auch der Allgemeinheit zu Gute kommt. Zudem besteht in der heutigen Situation eine Asymmetrie, da im Falle von Planungsminderwert, also bei Rückzonungen, der Eigentümer voll entschädigt werden muss von der Allgemeinheit, also dem Steuerzahler. Die Planungsminderwerte zu sozialisieren, während die Planungsmehrwerte privatisiert werden, macht weder ökonomisch noch planerisch einen Sinn. Wir plädieren nicht für eine komplette Abschöpfung, halten aber eine Teilabschöpfung von 20 bis 30% des Mehrwerts für legitim.

Sie hatten es bereits erwähnt: Es wurde bislang zu viel Land eingezont, was mit dem revidierten Gesetz rückgängig gemacht werden soll. Aber führen nicht die Rückzonungen zu einer zusätzlichen Verknappung des Baulands und damit zu steigenden Mietpreisen, wie die Gegner der Vorlage befürchten?

Ich kann diese Befürchtung nicht nachvollziehen. Mit der Einführung des revidierten Raumplanungsgesetzes bleibt die 15-Jahre-Regel erhalten, so dass immer und überall nach Bundesrecht eingezont werden kann, wenn ein Bedarf besteht. Es gibt also ein vollkommen elastisches Angebot. Zu Preissteigerungen kann es nur in peripheren Lagen kommen, wo überdimensionierte Bauzonen rückgezont werden. Aber dort wurden die Preise ja auch bisher künstlich niedrig gehalten – durch ein Baulandangebot, dass auch nach altem Raumplanungsgesetz nicht bundesrechtskonform ist.

Warum sind überdimensionierte Bauzonen in der Peripherie ein Problem?

Wenn man diese Bauzonen einfach volllaufen lässt, entstehen Kosten in Milliardenhöhe um die Gebiete infrastrukturell zu erschliessen. Und für diese Kosten muss der Staat aufkommen, sprich die Allgemeinheit. Die Rückzonung ist zwar teuer, die Nicht-Rückzonung kommt den Steuerzahler aber viel teurer.

Bleiben wir gleich bei den Folgekosten der Rückzonung: Die sollen über die Abschöpfung des Mehrwerts bei Einzonungen finanziert werden, so die Vorlage. Wenn aber mehr aus- als eingezont wird, funktioniert doch das Prinzip nicht …

Doch, denn rückgezont wird in peripheren, schlecht erschlossenen Lagen mit übermässigem Angebot und geringer Nachfrage; das heisst dort, wo das Bauland billig ist. Eingezont werden soll dagegen in zentrumsnähe, wo Bauland knapp ist und die Preise hoch sind.

Und – geht die Rechnung auf?

Ich habe das am Beispiel des Kantons Zürich durchgerechnet. In guten Agglomerationslagen kostet Bauland zwischen 1’200 und 1’500 CHF pro Quadratmeter und dort, wo die grossen Reserven liegen – wie im Weinland oder Zürcher Oberland – liegt der Quadratmeterpreis um die 400 CHF. Wir reden hier also von einem Verhältnis von 1 zu 3 bis 1 zu 5! Mit anderen Worten: Eine Abschöpfungsquote von 20 bis 30% würde ausreichen, um 1 zu 1 zurückzuzonen.

Dieses Interview erschien in «awp Finanznachrichten» vom 28. Januar 2013.