BaZ: Herr Müller-Jentsch, wie sieht das optimale Gebiet aus?

Daniel Müller-Jentsch: Die ideale Gebietskörperschaft – ob Gemeinde oder Kanton – steht finanziell auf eigenen Füssen, kann also ihre öffentlichen Leistungen und Infrastrukturen selber erbringen, hat eine effiziente Verwaltung und bietet ihren Einwohnern Bürgernähe.

Und die ideale Schweiz, wie ist die strukturiert?

Wir bei Avenir Suisse sind nicht der Meinung, dass die Strukturen von oben herab diktiert werden sollten. Vielmehr sollte die Politik Rahmenbedingungen schaffen, die es Gemeinden und Kantonen ermöglichen, sich so zu organisieren, wie es den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht. Wir brauchen aber auch eine offene Debatte darüber, ob gewisse föderale Strukturen noch zeitgemäss sind. Die politische Karte der Schweiz ist heute weitgehend diejenige des 19. Jahrhunderts. Seit der Gründung des Bundesstaates vor 160 Jahren gab es keine einzige Kantonsfusion, und die Zahl der Gemeinden hat sich nur um 20 Prozent verringert. Einst separate Ortschaften sind jedoch zusammengewachsen, die Leute pendeln über weite Distanzen. Die Lebenswelt der Menschen, die soziale und wirtschaftliche Realität, spiegelt sich nicht mehr in den historischen politischen Grenzen wider.

Fokussieren wir nun auf die Nordwestschweiz und den Grossraum Basel. Welche Gebietsreformen empfehlen Sie für diese Region?

Die Region Basel gehört zu den fragmentiertesten der Schweiz. Hier scheinen die politischen Grenzen am unlogischsten, wenn man sie unvoreingenommen von aussen betrachtet. Die Agglomeration Basel ist ein Stadtgebilde, das sich über drei Länder, vier Kantone und, auf Schweizer Seite, 74 Gemeinden erstreckt. Diese Zersplitterung bedingt teure Doppelspurigkeiten und einen hohen Koordinationsbedarf. Es gibt etliche Parallelstrukturen wie Zweckverbände, Konkordate, Metropolitankonferenzen. Man muss sich fragen, ob eine Gebietsreform nicht vieles erleichtern würde. Wenn irgendwo in der Schweiz eine Kantonsfusion ernsthaft geprüft werden sollte, dann im Raum Basel.

Wäre es tatsächlich so viel besser, wenn die im Alltag der Leute zusammengehörenden Gebiete fusionierten? Wo liegt denn das Sparpotenzial?

In der Verwaltung oder bei Investitionen in die Infrastruktur kann es Einsparungen geben.

Welche Nachteile müsste man im Gegenzug in Kauf nehmen?

Ein Nachteil ist die Bürgernähe, die verloren gehen kann, genauso wie die direktdemokratische Kontrolle und die bisherige Identifikation der Leute. Das muss man ernst nehmen. Deshalb braucht es für Gebietsreformen ein gut vorbereitetes Projekt und oft langjährige Debatten. Bei jeder Fusion muss man genau prüfen, in welchem Verhältnis die Vor- und Nachteile stehen.

Derzeit wird in beiden Basel auch die Option je eines Vollkantons geprüft. So wie die Schweiz funktioniert, haben kleine Kantone mehr Gewicht in Bern.

Ein Hindernis für Kantonsfusionen ist tatsächlich, dass man politisch in Bern an Gewicht verliert. Aber bei der Zusammenlegung zweier Halbkantone zu einem Vollkanton verlöre man ja keine Ständeratsstimmen. Die Städte sind in Bundesbern politisch untervertreten relativ zu ihrer Bevölkerungszahl, ihrem wirtschaftlichen Gewicht und den Ressourcen, die sie in den Bundespool einbringen. Das ist aber ein anderes Problem.

Bei einer Fusion geht ein Stück direkter Demokratie verloren, anderseits bringen ja auch Zweckverbände und Konkordate einen Demokratieverlust mit sich.

Die Gemeindeautonomie ist ein hohes Gut, aber es gibt diesbezüglich auch eine Mythenbildung. Viele Kleingemeinden erhalten einen erheblichen Teil ihrer Ressourcen aus dem Finanzausgleich und einen Grossteil ihrer Ausgaben verwalten überkantonale Zweckverbände. Weiter haben sie zunehmend Probleme mit der Rekrutierung von Personal und der Professionalität ihrer Verwaltung. Solche Gemeinden kann man nicht mehr wirklich als autonom bezeichnen. Eine Fusion zu grösseren Gebilden kann ihnen Handlungsfähigkeit zurückgeben.

Aber je grösser ein Gebiet ist, desto schwerfälliger wird es.

Die Hälfte der 2600 Gemeinden hat weniger als 1000 Einwohner. Nach einer Fusion entstünde noch lange kein Moloch. Bis vor zehn Jahren waren Gemeindefusionen noch ein Tabu, inzwischen haben sich so viele Gemeinden zusammengeschlossen wie in den 150 Jahren davor. Die Erfahrungen sind positiv. Allmählich reift die Zeit, auch über Kantonsfusionen zumindest nachzudenken.

Bevor man aber im Raum Basel die Kantone fusioniert, sollte man wahrscheinlich bei den Gemeinden beginnen?

In den stadtnahen Baselbieter Gemeinden pendeln 30 bis 50 Prozent der Erwerbstätigen in die Stadt. Die Agglomeration ist mit der Kernstadt verschmolzen. Idealerweise würde es hier zu Eingemeindungen kommen, so wie es in Lugano passiert ist und in Luzern gemacht wird. Aber in Basel wird selbst diese minimale Reform durch eine Grenze blockiert. Dieses strukturelle Problem wirft die Frage nach der Kantonsfusion auf.

Der politische Widerstand gegen eine Fusion von Basel-Stadt und Baselland ist massiv, an der Urne würde ein Kanton Basel derzeit nicht durchkommen. Macht es unter diesen Umständen überhaupt Sinn, eine Simulation dieser Fusion zu proben?

Eine Simulation böte eine Grundlage für eine sachliche Diskussion. Es geht darum, die Fakten auf den Tisch zu legen. Die Analyse ist auch ohne anschliessende Fusion hilfreich: Sie kann aufzeigen, wo man durch Kooperationen Kosten sparen könnte. Wenn man am Ende der Diskussion sagt, wir wollen eigenständig bleiben, ist das in Ordnung. Aber wenn man die Debatte mit alten Animositäten beginnt, ist das unproduktiv.

Warum denken Sie, dass die politischen Widerstände gegen Fusionen so stark sind?

Es gibt historische Gründe, bestimmt auch psychologische. Von aussen betrachtet, frage ich mich aber, warum man sich kleinräumig zankt, wo man doch in vielerlei Hinsicht zusammengewachsen ist und de facto eine Einheit bildet. Man muss begreifen, dass man nur gemeinsam im nationalen und internationalen Standortwettbewerb bestehen kann. Eine starke Kernstadt strahlt in ihr Umland aus. Nicht nur in die unmittelbaren Nachbargemeinden, sondern in einer zweiten Stufe auch in stadtfernere Baselbieter Gemeinden. Diese haben deshalb ein Eigeninteresse an einer starken Stadt Basel.

Wie soll man sich eine Fusionssimulation überhaupt vorstellen?

Es gibt auf kantonaler Ebene keinen Präzedenzfall. Man würde eine Pionierleistung erbringen, die auch für den Rest der Schweiz von grossem Interesse wäre. Soweit ich es verstehe, geht es darum, für die Budgetposten und Verwaltungseinheiten Synergiepotenziale durchzurechnen. Man kann auch überlegen, wo sich die Qualität der Dienstleistung für den Bürger steigern lässt. Denkbar wäre ein zweistufiges Vorgehen: Zuerst könnte man alle Posten grob durchkämmen, um jene Bereiche zu identifizieren, wo das Einsparpotenzial am grössten scheint. Danach könnte man dort eine vertiefte Analyse machen.

Wenn man Ihre Gedanken weiterspinnt, dann müssten irgendwann auch die Landesgrenzen fallen?

Das halte ich für unrealistisch und aus diversen Gründen nicht für sinnvoll. Das ist eine politische Utopie.

Dieses Interview erschien in der Basler Zeitung vom 15. Februar 2011