Patrick Schellenbauer, Projektleiter bei Avenir Suisse, betrachtet die Berufslehre als «wichtigen Teil des schweizerischen Gesellschafts- und Berufsmodells ». Nach wie vor wählten zwei von drei Jugendlichen diesen Weg. Gerade das duale Ausbildungssystem, die Verzahnung von Schule und Beruf, sei ein Vorteil. Trotzdem gelte es, mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen.
Bereits hat die Globalisierung das Berufsbildungswesen verändert, indem sie nationale Wertschöpfungsketten aufgebrochen und Produktionsprozesse ins Ausland ausgelagert hat. Dadurch ist der Anteil der Dienstleistungsberufe im Lehrstellenangebot auf 80 Prozent angestiegen. Und während die gewerblichen Ausbildungen noch stark vertreten sind, ist das Lehrstellenangebot in innovativen Berufsfeldern wie IT nach wie vor mangelhaft. «Informatik-, Elektronik-, Polymechanik- oder IT-Lernende sind eben nicht rentabel», sagt Schellenbauer. Unternehmen, die solche Berufsausbildungen anböten, hätten ein «Investitionsmotiv», sie würden sich die Nachwuchsförderung etwas kosten lassen. Dass es andererseits zu wenige Lehrstellenbewerber für anspruchsvolle technische Berufe gebe, liege daran, dass diese (zu) männlich geprägt seien. Unter anderem deswegen habe Avenir Suisse vorgeschlagen, das schweizerische Bildungssystem mit einem sogenannt «dualen Studium» für Maturanden zu ergänzen. Dabei könnten diese wie in der klassischen Lehre den praktischen Teil ihrer Ausbildung in einem Lehrbetrieb machen, während die Fachhochschulen den theoretischen Teil übernehmen würden.
Ist die Vielfalt eine Hürde?
Generell scheint heute auch der direkte Übertritt in eine Berufsausbildung schwieriger geworden zu sein; etwa 30000 Jugendliche machen nach der Schule ein Zwischenjahr. Die Winterthurer Nationalrätin Jacqueline Fehr (SP) erklärte sich dies in der anschliessenden Podiumsdiskussion damit, dass «die Pubertät in der Multioptionsgesellschaft noch schwieriger ist als ohnehin schon». Christoph Schneider, Leiter berufliche Grundbildung bei der Firma Kistler Instrumente, sieht in der Vielfalt den Grund für eine gewisse Orientierungslosigkeit: «Das Angebot ist zu breit, um zu wissen, was richtig ist: Man macht eine Lehre aber hat man dann auch den richtigen Beruf?» Moderatorin Cornelia Kazis hakte nach: «Braucht es mehr und bessere Entscheidungshilfen?» Für Fehr ist klar: «Ausbildungen zusammenzufassen und Möglichkeiten für den Umstieg aufzuzeigen, das wäre ein Anfang.» Auch Erich Stutz, Rektor der Berufsbildungsschule Winterthur, weiss aus Erfahrung, dass viele Lehrstellen bloss «zweite oder dritte Wahl» sind und dass Weiterbildungsmöglichkeiten entsprechend rege genutzt werden.
Wo bleiben die Frauen?
«Warum sind nicht mehr Frauen in anspruchsvollen Berufen zu finden, warum nicht mehr Männer in klassischen Frauenberufen?», wollte Kazis wissen. «Würden Ermutigungsmodelle helfen?» Schneider sieht das als «Kampf gegen Windmühlen», und auch Philipp Gonon, Professor für Berufspädagogik an der Uni Zürich, findet: «Mädchen sind nun mal besser und lieber in der Schule. Und wenn sie einen Männerberuf ergreifen, ziehen sie eine schulisch geprägte Lehrwerkstätte vor.»
Dieser Artikel erschien in «Der Landbote» vom 30. November 2011.