Der Think-Tank Avenir Suisse fordert eine Liberalisierung des Genfer Immobilienmarktes, um der Wohnungsnot Herr zu werden. Zahlreiche Vorschriften verhinderten den Bau neuen Wohnraums.
Der Think-Tank Avenir Suisse hat in einem am Dienstag in Genf präsentierten Diskussionspapier mit dem Titel «Une pénurie fait maison» eine Liberalisierung des Genfer Immobilien- und Wohnungsmarktes gefordert. Nur so werde es möglich sein, die seit Jahren andauernde Wohnungsnot zu beheben. Der Direktor für die Suisse Romande, Xavier Comtesse, erklärte, das Diskussionspapier sei vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber es solle die Verantwortlichen wachrütteln. Die Genfer Wohnungskrise sei hausgemacht und könne gelöst werden. Konkret fordert Avenir Suisse eine Liberalisierung der Immobilienpreise, eine Abschaffung der Bau- und Renovations-Hindernisse, eine Anpassung der allgemeinen Spielregeln auf dem Immobilienmarkt und die zügige Umsetzung städtischer und kommunaler Bauvorhaben, wie beispielsweise in den Stadtvierteln Praille- Acacia-Vernets (PAV), Point de la Jonction und Sécheron-Gare Cornavin, um möglichst schnell neuen Wohnraum zu schaffen. Gleichzeitig sollen aber auch Mittel zur Verfügung gestellt werden, um die Unterstützung einkommensschwacher Haushalte weiterhin sicherstellen zu können.
Keine leeren Wohnungen
Marco Salvi, der das Diskussionspapier ausgearbeitet hat, erklärte, die Einwanderung hochqualifizierter Arbeitnehmer und das neu aufgekommene Interesse am Leben in der Stadt hätten in den vergangenen Jahren zu einem starken Bevölkerungswachstum in der Agglomeration Genf geführt. Gleichzeitig seien in den vergangenen Jahren jedes Jahr etwa 1500 bis 2000 Wohnungen zu wenig gebaut worden, was zu einer starken Wohnungsnot geführt habe. Inzwischen betrage der Leerwohnungsbestand in der Agglomeration nur noch 0,3%. Um die Wohnungsnot zu beheben, müssten während der nächsten zehn Jahre 3000 Wohnungen pro Jahr erstellt werden. Dass die Wohnungsnot bisher keine schwerwiegenderen Folgen gehabt habe, sei einzig darauf zurückzuführen, dass Genf das Problem habe exportieren können. Inzwischen lebten etwa 25 000 Schweizer und ausländische Kader, die im Raum Genf arbeiten, im benachbarten Frankreich.
Starre gesetzliche Regeln
Besonders stark behindert wird der Bau neuer Wohnungen nach Angaben von Salvi durch die staatliche Fixierung der Bodenpreise bei der Umzonung von Landflächen und die daran gekoppelten Bestimmungen, welche die Festsetzung der Mietzinse der auf solchen Grundstücken erbauten Wohneinheiten regeln. Diese Bestimmungen schreckten viele Investoren ab und sollten durch eine neue Steuer von 25% auf dem Verkauf von umgezonten Grundstücken ersetzt werden. Mit diesen Steuereinnahmen könnten dann wiederum Infrastruktureinrichtungen wie Strassen und Schulen finanziert werden. Als zweites starkes Hindernis sieht Avenir Suisse die gesetzlichen Regeln bei Hausrenovationen. Mit den Bestimmungen werde die Mietpreisgestaltung nach Abschluss der Umbauarbeiten zu stark eingeschränkt. Dies führe dazu, dass Genf vermutlich den höchsten Anteil an nicht renovierten Mietwohnhäusern habe.
Starker Mieterschutz
Und als drittes wesentliches Hindernis wird schliesslich der äusserst starke Mieterschutz in Genf gesehen. Wer seine Wohnung über einen langen Zeitraum sprich 20 bis 30 Jahre oder länger gemietet hat, zahlt äusserst niedrige Mieten. Dies sei zwar für die betreffenden Mieter interessant, trage aber wesentlich dazu bei, dass alte Personen in unangemessen grossen Wohnungen verblieben und günstigen Wohnraum blockierten. Der starke Mieterschutz für Altmieter hat dazu geführt, dass die negativen Folgen der Wohnungsnot vor allem von Jung- und Neumietern gespürt werden. Wer neu nach Genf zieht oder eben nach langen Jahren aus einer grossen alten in eine neue kleine Wohnung umzieht, muss sehr tief in die Tasche greifen oder wandert eben ins benachbarte Frankreich ab.
Dieser Artikel erschien in der Neuen Zürcher Zeitung vom 29 August 2012.