Obwohl die Schweiz im internationalen Vergleich relativ geringe Disparitäten bei der wirtschaftlichen Entwicklung aufweist, sind die Unterschiede zwischen den Regionen teilweise enorm. Am einen Ende des Spektrums befinden sich die Metropolregionen, in denen das Gros der nationalen Wertschöpfung erbracht wird. Dort bedarf es keiner regionalspezifischen Wirtschaftsförderung. Am anderen Ende des Spektrums liegen die potenzialarmen Räume des Berggebiets, in denen klassische Strukturpolitik häufig nicht mehr greift und es eher um die Steuerung von Schrumpfungsprozessen geht.

Metropolregionen als Wachstumspole

Eine Datenerhebung von BAK Basel Economics für Avenir Suisse illustriert die wirtschaftliche Bedeutung der städtischen Zentren . In den vier grossen Metropolregionen werden auf nur 10% der Landesfläche nahezu zwei Drittel (59%) des Schweizer Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftet. Die mit Abstand bedeutendste Metropolregion ist Zürich, mit einem Anteil von knapp einem Drittel (29%) an der nationalen Wertschöpfung. Es folgen die Metropolregion Genf-Lausanne mit 14% und Basel mit 10%. Somit wird alleine in den drei grossen Metropolregionen Zürich, Arc Lemanique und Basel auf kleinstem Raum die Hälfte des Nationaleinkommens generiert. In deutlicher Distanz zu dieser Spitzengruppe findet sich die viertgrösste Metropolregion Bern, mit lediglich einem Zwanzigstel des schweizerischen BIPs.

Lugano-Locarno-Bellinzona wird vom Bundesamt für Statistik (BFS) als 5. Metropolregion ausgewiesen. Bei diesem Gebiet handelt es sich aus nationaler Perspektive jedoch um eine grössere Agglomeration als um eine Metropolregion. Sein BIP-Anteil ist nochmals deutlich kleiner als das der Region Bern und daher nicht Bestandteil dieses Vergleichs.

Eine noch stärkere regionale Konzentration ergibt sich bei der Verteilung der Headquarters der 150 grössten Unternehmen der Schweiz, die Avenir Suisse auf Basis der von der Handelszeitung publizierten Liste «Top 2010 Die grössten Unternehmen der Schweiz» untersucht hat. Dabei zeigte sich eine noch stärkere Dominanz der Metropolregion Zürich mit 43%, gefolgt vom Arc Lemanique und Basel (je 13%) und Bern (7%). In den vier Stadtregionen sind somit gut drei Viertel (76%) der wichtigsten Unternehmenszentralen des Landes angesiedelt.

Auch beim realen BIP- Wachstum der letzten zehn Jahre (2000-2010) erweisen sich die grossen Metropolregionen als wichtige Wachstumsmotoren der Schweizer Wirtschaft. An der Spitze mit einer Steigerung von 30% liegt Basel, gefolgt von Genf-Lausanne (22%) und Bern (20%). Zürich liegt mit 15% etwas unter dem nationalen Durchschnitt von 18%. Die Unterschiede lassen sich teilweise auf Differenzen im regionalen Branchenmix zurückführen: Basel etwa verdankt seinen Spitzenplatz dem starken und zudem relativ konjunkturunabhängigen Wachstum in der Pharmabranche.

Am Finanzplatz Zürich hingegen haben zwei Finanzkrisen (2001 und 2009) und das Swissair-Grounding (2001) die durchschnittlichen Wachstumsraten in der letzten Dekade reduziert. Die für Zürich etwas ungünstige Wahl des Vergleichszeitraums verzerrt somit eine ansonsten gute Performance: In den Jahren zwischen den beiden Krisen (2004- 2007) und auch nach der letzten Krise (2010) wuchs die Region mit einer Rate von 3% jährlich. Die Wachstumskurve von Bern mit einem hohen Anteil an Erwerbstätigen im öffentlichen Sektor war über den gesamten Zeitraum weniger steil und wenige volatil als in den anderen drei Metropolregionen. Ob ein Wachstum des öffentlichen Sektors gesamtwirtschaftlich jedoch als positiv zu bewerten ist, sei dahingestellt.

Die Dominanz der grossen Ballungszentren spiegelt sich auch im Arbeitsmarkt wider. Grafik 2 zeigt, dass der Anteil der Metropolregionen an den Erwerbstätigen in der Schweiz im Falle von Genf-Lausanne und Bern proportional zu ihrer Wertschöpfung ist, bei Zürich leicht unterproportional (26% statt 29%) und bei Basel deutlich unterproportional (7% statt 10%). Dies liegt wohl an der hohen Wertschöpfung pro Arbeitsplatz im Finanzsektor und vor allem bei der pharmazeutischen Industrie. In den letzten zehn Jahren wuchs die Zahl der Erwerbstätigen in Genf-Lausanne und Zürich weit über dem nationalen Durchschnitt, in Bern und Basel hingegen leicht unterdurchschnittlich.

Grosse regionale Unterschiede gibt es bei der Bevölkerungsentwicklung. Bezüglich der Zunahme der Wohnbevölkerung lagen die Metropolregionen Zürich und Genf-Lausanne 2000-2010 fast 50% über dem Landesdurchschnitt. Diese beiden Regionen absorbierten einen erheblichen Teil der starken Zuwanderung seit Einführung der Personenfreizügigkeit. In Basel und Bern hingegen war das Bevölkerungswachstum kaum halb so hoch wie im Schweizer Mittel. Diese enorme Differenz erklärt auch, warum in Genf und Zürich der Druck im Immobilienmarkt und die Debatten über die Ausländerpolitik eine deutlich grössere Brisanz haben als in Bern und Basel.

Während sich Daten zu Einwohnern und Erwerbstätigen für die Metropolregionen präzise und gemeindescharf ermitteln lassen, ist die Berechnung regionaler BIP-Zahlen deutlich schwieriger. In der Schweiz ist dies einzig mit Hilfe des Modells von BAK Basel möglich. Trotzdem ist eine gewisse Unschärfe unvermeidlich. So hängt beispielsweise das relativ schwache Abschneiden Zürichs beim BIP-Wachstum auch damit zusammen, dass diese Metropolregion deutlich grossflächiger ist als die anderen und so die wachstumsstarke Kernstadt weniger ins Gewicht füllt.

Die regionalen BIP-Zahlen sind mit gewisser Vorsicht zu geniessen; aber sie zeigen deutlich, dass sich ein Grossteil der Wirtschaftsleistung im Einzugsgebiet der Grossstädte konzentriert. Auch bei den Wachstumsraten lagen diese Gebiete in der letzten Dekade meist über dem nationalen Durchschnitt. Insbesondere in Zürich und am ArcLdmanique besteht die Herausforderung angesichts der rasanten Bevölkerungszunahme weniger in der Förderung weiteren Wachstums als in der Bewältigung der damit verbundenen Begleiterscheinungen. Dazu zählen Infrastrukturengpässe, steigende Immobilienpreise und die raumplanerische Kanalisierung des Siedlungswachstums.

Schrumpfungsprozesse in potenzialarmen Räumen

Während die städtischen Zentren dank hoher Wachstumsdynamik also kaum Bedarf für aktive Wirtschaftsförderung haben, gibt es in der Schweiz auch periphere Regionen, in denen Strukturpolitik kaum mehr greift. In einigen dieser «potenzialarmen Räume» des Berggebietes sind Abwanderung oder Schrumpfungsprozesse bereits so weit fortgeschritten bzw. die strukturellen Rahmenbedingungen derart ungünstig, dass ein schlichtes «Ansubventionieren» wenig bewirkt, aber sehr viel Geld kostet.

Im Rahmen der Umsetzung der Neuen Regionalpolitik (NRP) forderte der Bund daher die betroffenen Kantone auf, massgeschneiderte Strategien für solche Gebiete zu entwickeln. Mit Graubünden ging erstmals ein Bergkanton diese politisch heilde Aufgabe systematisch und offen an. Das Amt für Wirtschaft und Tourismus des Kantons publizierte 2009 einen Bericht unter dem Titel «Strategien zum Umgang mit potenzialarmen Räumen». Ziel war es nicht, die betroffenen Regionen aufzugeben, sondern Strategien zu entwickeln, um ohnehin ablaufende Schrumpfungsprozesse gezielter zu steuern oder so abzufedern, dass eine Stabilisierung der Gebiete möglich wird.

Zu diesem Zweck wurden zunächst Kriterien zur Identifizierung von potenzialarmen Räumen festgelegt. Hierzu zählen Überalterung, Bevölkerungsrückgang, negative Finanzkennzahlen oder der schleichende Abbau des Service public. Die entsprechenden Kennzahlen wurden für alle Gemeinden des Kantons analysiert, um Gebiete zu identifizieren, wo diese Probleme gehäuft auftraten. Unterschieden wurden dabei zwischen potenzialarmen Räumen 1. Priorität, deren wirtschaftliche Existenz akut gefährdet ist und potenzialarmen Räumen 2. Priorität, deren Situation weniger kritisch ist.

Ausgehend von dieser Bestandesaufnahme wurden im Projekt Strategien zur Schaffung bzw. Aktivierung wertschöpfungsrelevanter Potenziale entwickelt und zusammengetragen. Dazu zählen integrierte Strategien für Tourismus-Ressorts, die Inwertsetzung der Ressource Landschaft durch den Aufbau von Regionalparks und massgeschneiderte Lösungen für Infrastruktur und Service public. Ziel ist es, eine Trendumkehr (d.h. Wachstum) oder zumindest einen Trendbruch (d.h. eine Konsolidierung) zu erreichen. In Gebieten, wo dies nicht gelingt, geht es schliesslich um einen geordneten Rückzug.

Diese konzeptionelle und strategische Pionierleistung von Graubünden ist auch für andere Bergkantone von Interesse. Vor allem ist sie ein wichtiger Beitrag zu einem konstruktiveren Umgang mit Schrumpfungsprozessen. Diese sind in der Schweiz noch immer mit einempolitischen Tabubelegtanders als etwa in Skandinavien oder in Ostdeutschland, wo man sich diesen Herausforderungen Grafik 4 5 Metropoträume Stand 5. Dezember 2000 (auch notgedrungen) seit längerem stellt. Nur so lassen sich wirkungsvollere, weil zielgenauere, Förderstrategien entwickeln und die begrenzten Mittel effektiv einsetzen. Bei der Bewältigung des Strukturwandels kommt den Berggebieten ebenfalls die Wirtschaftskraft der Städte zugute dank vielfältiger Transfermechanismen, wie dem nationalen Finanzausgleich, der huierkantonalen Finanzausgleiche, der Neuen Regionalpolitik, aber auch dank sektoralen Finanzflüsse mit regionalen Auswirkungen, wie den Infrastrulcturfonds oder den landwirtschaftlichen Direktzahlungen.

Dieser Artikel erschien in «Die Volkswirtschaft» im Mai 2011