Bei seiner Entscheidung über den Bau neuer Kernkraftwerke nimmt der Stimmbürger unterschiedliche Rollen ein. Als Stromverbraucher ist er an einer sicheren Versorgung und tiefen Preisen interessiert, als Steuerzahler verfolgt er die Interessen eines Investors. Ökonomisch wäre es rational, wenn er sich für neue Kernkraftwerke aber auch deren Privatisierung entscheidet.
Die Schweiz ist kein ausgesprochen guter Standort für Windkraft und Photovoltaik. Gerade bei der Windkraft zeigt sich, dass der Landverbrauch in der dicht besiedelten Schweiz zu hoch und ökologisch kaum vertretbar ist. Das illustriert eine einfache Rechnung. Der grösste schweizerische Windpark im Berner Jura umfasst 16 Windturbinen. Seine Jahresproduktion beläuft sich auf etwa 0.04 TWh – wobei rund 0.03 TWh auf die acht moderneren, 140 Meter hohen Turbinen entfallen. Alleine um das älteste Kernkraftwerk Beznau I zu ersetzen, bräuchte es gegen 800 solcher moderner Windturbinen. Damit relativiert sich das technische Potenzial der Windkraft im Inland. Will die Schweiz ihren Strombedarf vermehrt durch erneuerbare Energien decken, dann müsste sie wohl eher auf die Photovoltaik setzen. Das aber wäre eine teure Strategie, zumal die Kosten der Photovoltaik – im Gegensatz zur Windkraft – noch weit über den Marktpreisen liegen. Die Belastung müssten Verbraucher über die kostendeckende Einspeisevergütung tragen. Der volkswirtschaftliche Nachteil der höheren Energiepreise wäre gravierend. Die erhofften Vorteile durch eine grössere inländische Wertschöpfung dürften dagegen gering sein, zumal die Anlagen vermehrt im günstigen asiatischen Raum produziert werden.
Der Import von Strom stellt theoretisch eine weitere Strategie dar. Dies ist keinesfalls abwegig, immerhin ist die Schweiz schon heute während den Wintermonaten auf Einfuhren angewiesen. Aus Sicht der Systemstabilität hat ein wachsender Importanteil jedoch bedeutende Nachteile. So wird es zunehmend schwierig, die Versorgung lokal aufrechtzuerhalten, gerade wenn es im internationalen Übertragungsnetz zu Störungen kommt. Daneben wird häufig darauf hingewiesen, dass im Zuge des vermehrten Imports das Preisniveau sprunghaft ansteigen würde. Dieses Argument muss jedoch im Hinblick auf die Liberalisierung des Marktes relativiert werden. Aufgrund des internationalen Handels übernimmt der Schweizer Grosshandel bereits heute das Preisniveau der Nachbarländer, wo Gas- und Kohlekraftwerke mit hohen variablen Kosten den Preis an der Börse bestimmen. Je nach Jahreszeit und Importbedarf pendelt daher die Schweiz zwischen dem höheren italienischen und dem tieferen deutschen Preisniveau. Neue Kernkraftwerke im Inland sorgen bestenfalls dafür, dass während dem ganzen Jahr das etwas tiefere deutsche Preisniveau gilt. Längerfristig aber könnte dieses Nord-Süd-Preisgefälle wegfallen, so dass Schweizer Kraftwerke keine erkennbare Wirkung auf den Markt- und damit Endkundenpreis im Inland entfalten. Aufgrund ihrer tiefen Betriebskosten sind die Kernkraftwerke reine «Preisnehmer».
Das heisst, dass neue Kernkraftwerke in erster Linie aus der Perspektive der Versorgungssicherheit vorteilhaft sind. Für den Steuerzahler stellt sich zudem die Frage, ob diese rentabel sind. Immerhin sind viele Kantone über ihre Versorger an den bedeutenden Kraftwerksinvestitionen beteiligt. Deren finanzielle Attraktivität ist eine Funktion von Kosten und Preis. Letzterer dürfte aufgrund des steigenden Anteils von Gaskraftwerken in Europa vermehrt durch das Gas bestimmt werden. Und die Gaspreise ihrerseits können steigen aber auch sinken. Das zweite Szenario ist im Hinblick auf die wachsende Nutzung unkonventioneller Ressourcen wie Schiefergas sehr wohl möglich. Die Gefahr sinkender Gas- und Strompreise muss die Rentabilität von Kernkraftwerken nicht grundsätzlich in Frage stellen, dennoch illustriert sie die finanziellen Risiken der Investition. Im liberalisierten Markt sollten diese nicht von wenigen Kantonen bzw. ihren Steuerzahlern sondern vielmehr durch breiter diversifizierte Investoren getragen werden. Zweifelsohne lassen sich solche finden. Konsequenterweise sollte parallel zu den Kraftwerksinvestitionen auch über eine Privatisierung der Strombranche nachgedacht werden. Dem Stimmbürger würde die Entscheidung an der Urne vereinfacht.
Dieser Artikel erschien in der Handelszeitung vom 26.1.2011