Mit der LSVA ist auf Schweizer Strassen bisher nur der Verkehr der LKW mautpflichtig. Während die Einführung einer landesweiten Strassenmaut für den gesamten Autoverkehr mit relativ hohen Kosten und technischem Aufwand verbunden ist, wäre eine Tunnelmaut ein pragmatischer erster Schritt in Richtung Kostenwahrheit und Verursacherprinzip. Erstens ist der Erhebungsaufwand bei diesen Bauten vergleichsweise gering, denn man benötigt nur zwei Mautstellen an den Eingängen. Zweitens ist bei den meisten Tunneln ein Ausweichen auf mautfreie Alternativstrecken schwierig. Drittens gehören Tunnel zu den teuersten Infrastrukturen überhaupt. Viertens stellen sie oft Engpässe mit hoher Stauanfälligkeit dar, und eine Verkehrsdrosselung oder -verteilung über Preisanreize ist in diesen Fällen besonders sinnvoll.
Ansatzpunkte für eine Tunnelmaut in der Schweiz
Öffentliche Strassen und damit auch Strassentunnel sind in der Schweiz grundsätzlich gebührenfrei. Dies ist in der Bundesverfassung so festgelegt. Es gibt jedoch zwei Ausnahmen: den Tunnel am Grossen St. Bernhard zwischen Martigny (VS) und Aosta (Italien) und den Munt-la-Schera-Tunnel zwischen Punt la Drossa (GR) und Livigno (Italien). Für die Finanzierung von Bau und Betrieb des 5,8 Kilometer langen Tunnels am Grossen St. Bernhard gestattete die Bundesversammlung 1959 auf Antrag des Bundesrats ausnahmsweise die Erhebung von Benutzungsgebühren. Dies ist bis heute die einzige formell bewilligte Ausnahme von der Gebührenfreiheit. Eine Durchfahrt mit dem PKW kostet heute 30.50 Franken.
Für den Betrieb zuständig sind, je zur Hälfte auf dem jeweiligen Staatsgebiet, eine schweizerische und eine italienische Aktiengesellschaft. Diese übernahmen auch zu gleichen Teilen den Bau (1958 bis 1964). Die Hauptaktionäre der Schweizer Gesellschaft sind die Kantone Waadt, Wallis und die Stadt Lausanne, bei der italienischen Schwestergesellschaft sind es die autonome Region Aostatal und die Gesellschaft der Aostataler Autobahnen. Im Gegensatz zum Tunnel am Grossen St. Bernhard hat das Parlament die Gebührenerhebung für den Munt-la-Schera-Tunnel nie formell bewilligt. Der 3,4 Kilometer lange Stollen wurde von den Engadiner Kraftwerken (EKW) gebaut, um Baumaterialien für den Punt-dal-Gall-Staudamm zu transportieren. 1968 wurde der Tunnel für die allgemeine Nutzung geöffnet. Da es sich um eine private Strasse handelt, die ohne Gebühren nicht betrieben werden könnte, wird die Maut vom Staat akzeptiert.
Innerhalb der Schweiz gibt es bisher keine mautpflichtigen Strassentunnel, hingegen ist der Autoverlad am Albula-, Furka-, Lötschberg-, Oberalp- und Vereinatunnel sehr wohl kostenpflichtig. Man kann sich fragen, warum der vermutlich umweltfreundlichere Autoverlad etwas kostet, die umweltbelastendere Nutzung eines Strassentunnels dagegen gratis sein soll.
Die Beispiele zeigen, dass in puncto Tunnelmaut in der Schweiz durchaus Potential besteht. Aber wo fängt man an? Alleine das Nationalstrassennetz hat 230 Tunnel, und es scheint wenig praktikabel, sie alle mit einer Maut zu belegen. Ein naheliegendes Auswahlkriterium wäre die Länge. Man könnte etwa alle Tunnel, die über drei oder über vier Kilometer lang sind, gebührenpflichtig machen – dies wären 26 bzw. 13 an der Zahl. Zusätzliche Kriterien könnten ein hoher Anteil an Transitverkehr, häufige Staus, ein hoher Sanierungs- bzw. Investitionsbedarf und räumliche Bedingungen sein, die die Errichtung der Mautstationen ermöglichen.
Der Gotthardtunnel als mögliches Pilotprojekt
Als Pilotprojekt für eine Tunnelmaut in der Schweiz bietet sich der Gotthard an. Erstens ist er mit 17 Kilometern der mit Abstand längste Strassentunnel des Landes. Zweitens liegt er auf der Haupttransitroute durch die Schweiz; eine Maut würde somit den Transitverkehr mit seinen externen Kosten für die Schweiz treffen. Drittens gibt es am Tunneleingang regelmässige Staus, etwa am Osterwochenende und zu Ferienbeginn. Viertens stehen am Gotthard in den nächsten Jahren grosse Investitionen an. Der Bundesrat schätzt die Gesamtkosten einer Sanierung auf 1,2 bis 2 Milliarden Franken, beim Bau einer zweiten Röhre gar auf 2,8 Milliarden Franken.
Die politische Debatte um die Sanierung des Gotthardtunnels drehte sich bisher vor allem um eine zweite Röhre. Der Bundesrat befürwortet den Bau einer solchen und die anschliessende Sanierung der bestehenden. Dies wäre nur unwesentlich teurer als eine einfache Sanierung, brächte Vorteile bei der Sicherheit und würde eine 2- bis 3jährige Verkehrsbehinderung vermeiden. Um einen Konflikt mit dem Alpenschutzartikel zu vermeiden, sollen nach der Sanierung beide Röhren nur einspurig betrieben werden. Die Alpenkonvention verbietet einen Kapazitätsausbau. Die Gegner befürchten jedoch die Nutzung der zusätzlichen Kapazität, wenn eine zweite Röhre einmal gebaut ist. Egal, welche Sanierungsvariante am Ende obsiegt, die Kosten sollten nicht aus Steuergeldern, sondern durch Benutzergebühren finanziert werden.
Dies wäre auch durchaus möglich. In einer von Economiesuisse erstellten Machbarkeitsstudie (Economiesuisse, 2012) wurde ein Mautkonzept berechnet, wonach eine private Gesellschaft den Tunnel bauen, betreiben und nach 50 Jahren kostenlos an den Staat zurückgeben würde. Die Finanzierung würde sich rechnen, wenn pro Fahrt eine durchschnittliche Maut von 21 Franken für PKW und von 82 Franken für LKW erhoben würde. Für Vielfahrer oder Anwohner wären vergünstigte Tarife denkbar. Für LKW müsste die Tunnelmaut mit der LSVA verrechnet werden, da das Landverkehrsabkommen mit der EU die maximale Gebühr für eine Transitfahrt festlegt.
Auch wenn Sanierung und Betrieb beim Staat verblieben, wäre eine Mautfinanzierung sinnvoll. Da sich der Staat günstiger refinanzieren kann als ein privater Betreiber, wäre in diesem Fall sogar eine geringere Maut ausreichend. Die Tarifstruktur sollte aber nicht nur auf die Finanzierung ausgerichtet sein, sondern auch auf die Lenkung der Verkehrsströme durch zeitlich differenzierte Tarife. So sollte die Maut an Tagen mit regelmässigen Staus (zum Beispiel Osterwochenende) markant höher liegen als zu Zeiten mit geringer Nachfrage – vor allem wenn man aus Respekt vor der Alpenkonvention die Kapazität des Tunnels nicht erweitert. Mit 6,2 Millionen Durchfahrten pro Jahr hat der Gotthardtunnel durchaus noch Reservekapazität – aber nicht zu Stosszeiten. Durch Knappheitspreise liessen sich die Verkehrsspitzen glätten und Kapazitätsengpässe vermeiden.
Sollte es durch die Erhebung einer Tunnelmaut am Gotthard zu einer substantiellen Verlagerung von Verkehrsströmen auf andere Transitstrecken kommen, sollte man auch auf diesen eine Maut einführen – im Gegenzug liessen sich die Tarife am Gotthard reduzieren. Auch in Österreich sind sämtliche alpenquerenden Autobahnrouten schon seit ihrer Eröffnung mautpflichtig.
Österreich weist den Weg
Auf dem österreichischen Nationalstrassennetz gibt es sechs «Sondermautstrecken». Dabei handelt es sich um Tunnel von mehr als fünf Kilometern Länge, die auf alpenquerenden Strecken liegen (s. Abb. 7). Eine Ausnahme unter den Sondermautstrecken nimmt die Brennerautobahn ein, die wichtigste Transitroute des Landes. Sie ist auf der gesamten Strecke mautpflichtig. Die österreichischen Sondermautstrecken sind Teil eines übergeordneten Finanzierungssystems.
Seit 1992 wird das österreichische Fernstrassennetz von der Autobahnen- und Schnellstrassen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) betrieben. Diese gehört zwar zu 100 Prozent dem Staat, wird aber privatrechtlich geführt. Die ASFINAG ist für den Bau und Unterhalt des circa 2200 Kilometer langen, höherrangigen Strassennetzes zuständig, und seit 1997 erhebt sie auch eigenständig Gebühren für die Nutzung von Autobahnen und Schnellstrassen. Die Einnahmen der ASFINAG summierten sich 2012 auf 1,62 Milliarden Euro. Die wichtigsten Einnahmequellen waren die LKW-Maut (1,1 Milliarden Euro), der Vignettenverkauf für PKW (370 Millionen Euro) und die Sondermautstrecken (150 Millionen Euro). Hinzu kommen Bussgelder und Einnahmen aus dem Betrieb von Raststätten (ASFINAG, 2012).
Da die Ausgaben für Betrieb, Erhalt und Neubau nur etwa 1 Milliarde Euro betrugen, erwirtschaftete die ASFINAG 2012 einen Gewinn von 470 Millionen Euro, der unter anderem zur Tilgung von Altschulden (11,5 Milliarden Euro) verwendet wird. Der Finanzierungskreislauf für das Bundesstrassennetz verläuft ausserhalb des staatlichen Budgets. Die Einnahmen aus der Mineralölsteuer (MÖSt) von 4 Milliarden Euro jährlich fliessen hingegen in den allgemeinen Haushalt – ebenso wie die emissionsabhängige Normenverbrauchsabgabe beim Kauf eines Neuwagens, die motorbezogene Versicherungssteuer und die Kraftfahrzeugsteuer für LKW. Bis 1987 wurden die MÖSt-Einnahmen zweckgebunden für den Bau des Bundesstrassennetzes verwendet, das nun jedoch weitgehend fertiggestellt ist.
Am Anfang der österreichischen Mautpolitik stand die Finanzierung der Sondermautstrecken. Als Präzedenzfall diente der Bau der wichtigsten österreichischen Alpenquerung, der Brennerautobahn. Da der Finanzierungsbedarf für dieses Grossprojekt nicht aus Haushaltsmitteln gedeckt werden konnte, wurde 1964 beschlossen, eine neu zu gründende Brenner-Autobahn AG mit dem Bau und Betrieb zu beauftragen. Nach der Eröffnung der 35 Kilometer langen Autobahn wurden die für den Bau aufgenommenen Kredite über eine Maut bedient und getilgt. Aktionäre dieser Sondergesellschaft waren der Staat Österreich und das Land Tirol.
1966 beschloss die österreichische Bundesregierung, die fünf weiteren Alpenquerungen innerhalb des nationalen Autobahnnetzes nach gleichem Modell zu finanzieren. Zwischen 1969 (Tauern Autobahn AG) und 1978 (Karawankentunnel AG) wurden fünf «Sonderstrassenbaugesellschaften» f ür den Bau und den Betrieb der Strecken gegründet. Das Aktionariat setzte sich jeweils aus dem Bund und den betroffenen Bundesländern zusammen. Die Festlegung der Mauttarife liegt jedoch alleine in der Kompetenz der Bundesregierung. Neben diesen Sondermautstrecken gibt es in Österreich auch einige teils privat finanzierte Mautstrassen wie die Silvretta-, die Grossglockner- und die Timmelsjoch-Hochalpenstrassen, die vor allem dem Freizeitverkehr dienen, sowie zahlreiche Strassen zu abgelegenen Alpen, die kostenpflichtig sind.
Die Gesamtlänge der Sondermautstrecken beträgt rund 150 Kilometer, etwa 7 Prozent des österreichischen Autobahn- und Schnellstrassennetzes. Nur am Brenner reichte das Verkehrsaufkommen aus, um die gesamten Bauinvestitionen über Mauteinnahmen zu finanzieren. Mit Ausnahme der Brennerautobahn, die auf der kompletten Strecke mautpflichtig ist, erfolgt die Maut erhebung auf den meisten anderen Sondermautstrecken an dem zentralen Tunnel, aber die mautfreien Anschlussstrecken werden ebenfalls von den Sondergesellschaften betrieben und finanziert.
Die Tarife der Sondermautstrecken variieren zwischen 4,50 und 10,00 Euro pro Einzelfahrt und zwischen 95,50 und 100,50 Euro für eine Jahreskarte (s. Abb. 8). Eine zeitliche Differenzierung gibt es nicht – insofern dienen die Gebühren für die Sondermautstrecken allein der Infrastrukturfinanzierung und nicht der Verkehrslenkung. Für Inhaber einer PKW-Jahresvignette halbieren sich die Preise für die Jahreskarten – d.h. Vielfahrer kommen in den Genuss eines grosszügigen Rabatts. Für Pendler und Behinderte gibt es noch günstigere Tarife – im Falle des Brenners auch für Anrainer. Somit kann man nicht behaupten, dass die Maut soziale Härten verursachen würde.
Für die Zahlung der Maut stehen den Autofahrern verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Es gibt Mautstellen mit Personal oder Automat, an denen in bar oder mit Kreditkarte bezahlt werden kann. Für Inhaber einer Jahreskarte gibt es eine videoüberwachte Sonderspur, auf der das Nummernschild beim Vorbeifahren zur Kontrolle eingelesen wird. Neuerdings ist die Nutzung der Videomaut auch für Einzelfahrten möglich, wenn man sich per SMS rechtzeitig anmeldet. In diesem Fall wird die Maut über die Telefonrechnung beglichen. Fahrzeuge, deren Nummernschild nicht erkannt wird, werden von der Videospur in eine bemannte Spur umgelenkt. Seit Einführung der allgemeinen Maut für LKW sind diese nicht mehr sondermautpflichtig und können auf einer freien Spur die Mautstellen durchfahren.
Dieser Artikel erschien in der Sonderbeilage «Der Preis ist der Weg» des «Schweizer Monat» (Oktoberausgabe). Mit freundlicher Genehmigung des Schweizer Monats.