Um den demografisch bedingten Strukturwandel zu bewältigen, braucht es funktionierende Gebietskörperschaften. Standortexperte Daniel Müller-Jentsch plädiert deshalb dafür, die Kräfte im Kanton noch mehr zu bündeln.
Die Daten zur demografischen Entwicklung Graubündens sind in der Tat dramatisch: zunehmende Überalterung, niedrige Geburtenraten, Abwanderung junger Arbeitskräfte, Entvölkerung der Bergtäler. Einzig die Zuwanderung aus der EU bietet einen Lichtblick. Umso wichtiger ist es, dass die kantonale Politik die Folgen der demografischen Entwicklung schonungslos benennt und die Weichen für notwendige Anpassungsprozesse frühzeitig stellt. Einige Beispiele:
- Das Alpenrheintal ist der Wachstumspol der Bündner Wirtschaft, und die Weiterentwicklung der Agglomeration Chur ist somit für den gesamten Kanton von Bedeutung. Hierzu bedarf es einer besseren Kooperation der Stadt mit ihren Nachbargemeinden, insbesondere bei der Siedlungsentwicklung. Prioritäten wären etwa ein gemeinsames Flächenmanagement(zur Ansiedlung von Firmen und jungen Familien), Massnahmen zur Förderung der städtischen Qualitäten von Chur (etwa durch Schaffung eines HTW-Campus) und die Freihaltung der Naherholungsflächen zwischen den Ortschaften von Zersiedlung. Wie eine gemeindeübergreifende Siedlungsentwicklungsstrategie aussehen kann, hat der Kanton Uri mit dem regionalen Richtplan für die Reussebene gezeigt.
- Auch anderswo im Kanton gilt es, die Kräfte zu bündeln. Mit 178 Gemeinden, 109 Bürgergemeinden, elf Bezirken, 13 Regionalverbänden und 39 Kreisen leistet sich Graubünden eine hochkomplexe Verwaltungsstruktur. Wenn man den demografisch bedingten Strukturwandel bewältigen will, braucht man effiziente und handlungsfähige Gebietskörperschaften. Erste Schritte sind bereits gemacht wie die erfolgreichen Talschaftsfusionen in der Val Müstair (2009) und im Bergell (2010). Eine weitergehende Strukturreform ist jedoch nötig. Die Botschaft der Regierung zur Gemeinde- und Gebietsreform und die geplante Initiative lassen hoffen, dass die Bereitschaft hierzu vorhanden ist.
- Der Zuzug junger Arbeitskräfte und ihrer Familien kann die Überalterung abmildern. Voraussetzung hierfür sind jedoch attraktive Arbeitsplätze. Um diese zu schaffen, muss sich Graubünden auf Branchen konzentrieren, in denen es klare Standortvorteile gibt. Von zentraler Bedeutung ist nach wie vor die Tourismuswirtschaft und diese gilt es weiter zu stärken etwa durch Resort-Projekte, die Verbindung der Skigebiete Lenzerheide-Arosa oder die nachhaltige Bewirtschaftung von Zweitwohnungen. Die Ausweitung der Wertschöpfung im Energiesektor ist ein anderes Beispiel. In all diesen Bereichen haben der Kanton und das Wirtschaftsforum Graubünden Konzepte und Instrumente entwickelt, deren Umsetzung konsequent vorangetrieben werden sollte.
- Das Gleiche gilt für die von der Kantonsregierung entwickelten «Strategie für potenzialarme Räume». Dort, wo Schrumpfungsprozesse stattfinden, muss man konstruktiv und offen mit ihnen umgehen. Um begrenzte Mittel effektiv einzusetzen, bedarf es gezielter Förderstrategien statt Subventionierung nach dem Giesskannenprinzip. Priorität hat die Aktivierung wirtschaftlicher Potenziale. Ein Beispiel ist die Inwertsetzung der Landschaft durch den Aufbau von Regionalparks mit entsprechenden Wertschöpfungsketten. Aber auch Lösungen für die Bereitstellung von Infrastruktur und Service public in dünn besiedelten Gebieten müssen entwickelt werden. Dort, wo Schrumpfungsprozesse nicht aufgehalten werden können, geht es um einen geordneten Rückzug. Der demografische Wandel in Graubünden lässt sich bewältigen aber nur durch gezielte und beherzte Reformen. Die Grundlagen hierfür wurden in wichtigen Politikbereichen bereits gelegt, aber die eigentliche Umsetzung der Reformstrategien steht in vielen Bereichen noch aus.
Dieser Artikel erschien im «Puls. Das Bündner Wirtschaftsmagazin.» vom 26. Juni 2011.
Der Originaltitel lautete: «Reformen rechtzeitig anpacken»