Alle schimpfen über die Globalisierung, und alle machen sie irgendwie mit. Das hat gute Gründe, denn die Globalisierung bringt gewaltige Vorteile — in Summe letztlich für alle. Man überlege sich einmal, wie viele Produkte und Dienstleistungen man konsumiert, die es ohne Globalisierung nicht gäbe: Den PC, auf dem dieser Artikel geschrieben wurde, die Zitronen und Orangen für das Weihnachtsgebäck, den Kinofilm, der in Japan spielt, das Auto, ohne das sich viele ihr Leben nicht vorstellen können. Gleichzeitig ginge es vielen Menschen in den ärmeren Ländern viel schlechter, wenn sie nicht für die Märkte des Nordens produzieren könnten. Dass noch zu Beginn der 1980er Jahre mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung (was damals fast 2 Milliarden Menschen entsprach) mit kaufkraftbereinigt $ 1,25 pro Tag oder weniger auskommen musste, und heute nur noch 17% (rund 1 Milliarde Menschen), ist nicht zuletzt der Globalisierung zu verdanken.

Die Globalisierung ist zudem älter, als man denkt. Kartoffel und Tomate verdanken wir den Entdeckern Amerikas, die diese Gewächse einst nach Europa brachten, und Karl Marx und Friedrich Engels haben bereits 1848 im Kommunistischen Manifest die Globalisierung ähnlich beschrieben, wie wir sie heute erleben. «Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. … An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.» Gewiss, Kosten und Tempo des Transports haben sich so verändert, dass die Welt noch enger zusammengewachsen ist. Dazu kommt als neues Phänomen die Kommunikation rund um den Erdball in Sekundenschnelle. Aber im Kern ändert das nichts: Globalisierung ist das neue Wort für Strukturwandel. Ihren Nutzen übersieht und verdrängt man. Sie macht Gewohntes und Bewährtes obsolet, sie erlaubt – und verlangt – in vielen Bereichen eine industrielle Massenproduktion, sie setzt Unternehmer wie Mitarbeiter unter Wettbewerbsdruck. Das ist schmerzhaft und führt zur Forderung nach staatlichem Schutz «vor unlauterer Konkurrenz».

Doch Protektionismus ist, so nachvollziehbar er zunächst scheinen mag, keine nachhaltige Politik: er bevorzugt jene Teile der Wirtschaft, die sich vom globalen Wettbewerb bedrängt fühlen, und vernachlässigt jene, die international wettbewerbsfähig sind. Vor allem aber geht er immer zulasten der Konsumenten. Zudem stößt der Versuch, sich mit Subventionen und Abschottung gegen den Weltmarkt zu stemmen, eher früher als später an finanzielle Grenzen. Darauf sollte man daher gerade im Interesse der Regionen, deren Entvölkerung man bremsen möchte, nicht bauen. Auch zwei andere Strategien sind in einer langfristigen Perspektive nicht erfolgversprechend. Große Industrien oder Dienstleister mögen zwar den regionalen Wohlstand sichern, drohen aber den ländlichen Charakter und damit einen Teil der DNA alpiner Landschaften zu zerstören. Und eine monokulturelle Ausrichtung auf den Tourismus, wie sie (zu) oft erfolgt ist, wird der Vielfalt beruflicher Fähigkeiten in einer Region kaum gerecht und ist wegen ihrer Einseitigkeit sehr krisenanfällig.

Eine überzeugend nachhaltige Strategie ist jene, die viele Handwerksbetriebe des Bregenzerwaldes gewählt haben. Statt über Kleinheit und regionale Enge zu jammern, haben sie daraus Trümpfe gezimmert. Die Kleinheit erlaubt Flexibilität und das Eingehen auf individuelle Wünsche, die regionale Verankerung bringt Nähe und ermöglicht  damit Kundendienst im umfassenden Sinn. Doch würde man sich damit begnügen, würde das den Absatz zu sehr auf die Region beschränken. Um trotz einer relativ kleinen, gewerblichen Struktur eine breitere internationale Ausstrahlung zu erlangen, also an der Globalisierung nicht nur im Einkauf, sondern auch im Verkauf zu partizipieren, braucht es zweierlei. Es braucht zum einen das Spiel auf der Klaviatur der lokalen Identität. Bei Nahrungsmitteln wie Wein oder Käse ist die regionale Herkunft längst markenbildend und preisbestimmend. Gewerbliche Cluster wie die Holzbearbeitung im Bregenzerwald dürften schon jetzt in der Wahrnehmung unbewusst von dieser Herkunftsbezeichnung (analog der kontrollierten Ursprungsbezeichnung AOC oder DOC beim Wein) profitieren, und sie könnten es in Zukunft vielleicht noch mehr tun. Voraussetzung ist jene mittlere Distanz der Betriebe, die den Wettbewerb nicht abwürgt, aber sich der Verfolgung gemeinsamer Interessen nicht verschließt. Zum anderen braucht es eine weit überdurchschnittliche gestalterische Innovationswilligkeit, die die Betriebe und ihre Produkte aus der gewöhnlichen handwerklichen Produktion heraushebt und sie mit der manchmal sehr wohl auf gutem Design basierenden industriellen Produktion mithalten lässt.

Diese Strategie entspricht einer nicht trotz, sondern gerade wegen der Globalisierung wachsenden Nachfrage. Viele Menschen wollen heraus aus der Anonymität der Masse und suchen Individualität und Identität. Das britische Wirtschaftsmagazin «Economist» meinte einmal, die «besten» globalen Marken wie etwa McDonalds seien zugleich auch die «besten» lokalen Marken, weil sie ihr Angebot stets auf die lokalen Kulturen ausrichteten. Aber das Umgekehrte gilt ebenso: man kann auf lokaler Tradition basierende, innovativ weiterentwickelte Produkte in einem breiteren Raum vermarkten und dabei die regionale Herkunft zum Verkaufsargument machen. Das sichert den Wohlstand in der Region, garantiert eine gewisse Vielfalt der Wirtschaftsstruktur, stärkt die lokale Identität und hält sie doch offen für das Neue – Gebhard Wölfles bekanntes Gedicht lässt grüßen.

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift «Werkraum Bregenzerwald» Nº 11/2015.